Ansprache bei der Trauerfeier für OBM i.R. Dr. Hinrich Lehmann-Grube am 14. August 2017

  • 14.08.2017
  • Pfarrerin Taddiken

Ansprache im Trauergottesdienst für Hinrich Lehmann-Grube am 14. August 2017 in der Thomaskirche Leipzig

Liebe Frau Lehmann-Grube, liebe Familien Lehmann-Grube und Westphalen, liebe Gemeinde,

„Der Geist hilft unserer Schwachheit auf", diese Motette von Johann Sebastian Bach hören wir oft in der Thomaskirche. Ihr Mann und Sie, Frau Lehmann-Grube, haben sie auch das eine oder andere Mal vom Thomanerchor gehört. In Ihren Erinnerungen „Als ich von Deutschland nach Deutschland kam", zitieren Sie den Anfang dieser Motette mindestens dreimal. Und es waren immer Situationen, die Sie da beschreiben, für sich und vor allem auch für Ihren Mann, wo man darum nur hoffen konnte: in einer angespannten, in einer verfahrenen Lage, wo man sich gefragt hat: Wie soll das werden - werden unsere, werden seine Kräfte da jetzt reichen?

Ihr Mann Hinrich Lehmann-Grube hatte ja das Glück, sehr viel Kraft zu haben. Es waren manchmal unglaubliche Energieleistungen, die er vollbracht hat - und die er sich vor allem auch selbst abverlangt hat, wir werden davon gleich hören in den beiden Ansprachen, die ihn als OBM und als Menschen, als Ehemann, als Vater, als Familienoberhaupt würdigen. Aber Schwachheit, bei der einem aufgeholfen werden muss? Wie war es damit bei ihm? Ja, doch, trotz seiner Stärke und seiner Fähigkeit, auch dann noch sehr selbstbewusst zu bleiben, wenn etwas nicht gut gelaufen ist: Zuspruch und Ermutigung taten auch ihm gut. Wenngleich: Durch den Geist Gottes? Da war er wie in allen Dingen ganz klar - oder wie Sie es mal gesagt haben, Frau Lehmann-Grube: „ehrlich, schnörkellos und von herzlicher Grobheit". Dass er mit dem christlichen Glauben wenig am Hut habe - und persönlich „das alles" nicht glauben könne, das hat er mir in einem unserer ersten Gespräche gleich ganz klar und offen gesagt. Randsiedler? Hm, eigentlich noch nicht mal. Das alles hielt ihn aber nicht davon ab, zuzuhören, was ich denn so denke oder glaube und das erzählen andere auch. Und das hat ihn auch nicht davon abgehalten, sich seinerzeit für die Restaurierung der Thomaskirche einzusetzen in einem Maß, für das wir heute noch nur dankbar sein können. Es hielt ihn nicht davon ab, Gemeindeglied der Thomaskirche zu bleiben. Es hielt ihn auch nicht ab zu fragen, was macht die Lutherkirche, die er von seiner Wohnung aus sah und den sich immer weiter entwickelnden Campus forum thomanum, den er für eine sehr gute Idee gehalten hat. Und es hielt ihn nicht davon ab, auch dafür noch etwas zu geben.

Vielleicht hatte das mit dem zu tun, was Sie als eine seiner größten Stärken beschrieben haben: Er hat einfach jeden Menschen ernst genommen mit dem, was er zu sagen hatte. Er konnte zuhören. Und ist denjenigen mit großem Vertrauen begegnet, von denen er den Eindruck hatte: Auf seinem Gebiet, da kann der was. Oder die. So hat er es verstanden, auch andere mitzunehmen, jenseits von Meinungsverschiedenheiten und erst recht von Befindlichkeiten. Wertschätzung, an das Gute im Menschen glauben, das war seins.

„Intrige", haben Sie erzählt, war bei ihm nicht im Programm, das konnte er sich irgendwie nicht vorstellen. Diese Überzeugung gepaart mit der kompletten Abwesenheit sowohl von Statusbewusstsein als auch jedweder Angst, das ließ ihn eine enorme Stabilität ausstrahlen: in der Familie und im Beruf. Er war kein Freund von Andeutungen, sondern ein Mann der klaren Worte. Wenn man es mit Jesu Worten aus der Bergpredigt sagen will: „Eure Rede sei ja ja oder nein nein, alles andere ist vom Übel", dann war das sicher ein biblischer Satz, den er als vernünftig bezeichnet hätte. Auf Ja oder Nein bisweilen bis zur Sturheit beharren, auch das gehörte zu ihm. Wie gesagt, wir werden davon hören.

Warum jetzt im Predigtteil dieses Gottesdienstes dieses Werk von Bach, bzw. dieses Wort aus dem Römerbrief, das sich gerade mit der Tatsache unserer menschlichen Schwäche auseinandersetzt? „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf, denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebühret?" Nun, er wollte das vielleicht auch gar nicht wissen, das mit dem Beten. Und dass er seine zunehmende körperliche Schwäche vielleicht nicht in dem Umfang in den letzten Monaten seines Lebens wahrgenommen hat bzw. darunter hat leiden müssen, wie andere das müssen, da kann man vielleicht nur sagen: Gott sei Dank. Es soll auch kein Korrektiv sein, dieses Wort, nach dem Motto: Nur wo Schatten ist, kann auch Licht sein und jeder hat auch seine Schwächen, das wäre wohl heute zu platt, ihm, Hinrich Lehman-Grube wahrscheinlich erst recht. Dass man neuer Kräfte immer wieder bedürftig ist, das wusste er schließlich nur immer wieder selbst zu gut, so hat er die Abende mit seinem Streichquartett immer sehr genossen. Und vor allem eben auch, dass er in Ihnen, liebe Frau Lehmann-Grube und in Ihnen, liebe Familie, in Ihnen als Kindern und Enkeln immer ein Gegenüber wusste. Und vor allem auch, was mindestens genau so wichtig ist: Rückhalt. Dass Sie hinter ihm standen, egal, ob Sie es gut fanden oder nicht, was er da mitbrachte nach Hause an Themen oder an Stimmungen.
Nein, es ist weniger ein Wort für ihn, auch wenn er es sicher ganz gut in gesungener Form hören konnte und mit dem Singen hatte er es ja schließlich auch. Dieses Wort und diese Motette sind heute vor allem etwas für uns, so hat Bach sie einmal gedacht: als Trost für Menschen wie uns, die heute einfach sehr, sehr traurig sind. Dass die „Trübsal uns nicht abtreiben", wie es hier heißt, sondern die Kräfte des Lebens die Oberhand behalten. Dass wir doch spüren können, in welchem Geist der Gemeinschaft wir hier heute zusammen sind und uns, ob wir nun gläubig oder halbgläubig oder gar nicht, uns auf das besinnen, was für unser Miteinander so wichtig ist und wofür Hinrich Lehmann-Grube sich aktiv einbringen wollte: Dass alle Menschen ihren Lebensmut behalten können. Dass sie „fröhlich und getrost" bleiben können, wie es in der biblischen Sprache der Bachmotette heißt. Und das bedeutet nichts anderes als gewiss zu bleiben, dass es sich lohnt, sich für das einzusetzen, was mit im Zentrum der biblischen Botschaft steht, bei den Propheten zuerst, aber auch bei Jesus selbst: für Gerechtigkeit, für den Frieden zwischen Gott und den Menschen und vor allem auch zwischen dem Mensch und den Menschen. In einer Stadt wie Leipzig und darüber hinaus. „In deinem Dienst beständig bleiben", so beschreibt das Martin Luther im abschließenden Choral unserer Bachmotette, weil das, auch gerade dieser Dienst an den Menschen, für ihn Gottesdienst war, das hat man seinerzeit noch nicht unterschieden. Und man war überzeugt: Die eigentliche Kraft dafür, die kommt nicht aus uns selbst. Die ist ein Geschenk Gottes, die ist ein Geschenk seines Geistes, wir können sie uns nicht selbst schenken oder erwirtschaften. Und mit diesem Geschenk, mit dieser schöpferischen Gabe beschenkt er uns immer wieder von neuem, auch durch die Traurigkeit hindurch. Diese Kraft ist stärker als der Tod, sie schafft Neues, auch über das hinaus, was wir uns vorzustellen getrauen oder glauben können. Kraft, die den Tod zu überwinden weiß und ihm schon jetzt den letzten Anspruch auf uns verweigert. Trauen wir dieser Kraft Gottes, dass sie uns aufrichtet in dem, wie es uns jetzt geht. Und trauen wir dieser Kraft Gottes auch, dass Hinrich Lehmann -Grube darin bewahrt bleiben möge mit all dem, was er uns war und auch bleiben wird. Bei Gott und so lange wir leben, auch in unserer Erinnerung. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org