Ansprache im Braunschweiger Dom über Johann Sebastian Bach "Herr Bleibe bei uns"

  • 02.02.2020 , letzter Sonntag nach Epiphanias, Darstellung des Herrn – Lichtmess
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Am 2. Februar predigte Pfarrerin Britta Taddiken im Braunschweiger Dom in der Reihe „Bachzeit 2020“. Zur Aufführung kam die Kantate BWV 6 „Herr, bleibe bei uns“.

 

Chor

Bleib bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget.

Arie Alt

Hochgelobter Gottessohn, lass es dir nicht sein entgegen, dass wir itzt vor deinem Thron eine Bitte niederlegen: Bleib, ach bleibe unser Licht, weil die Finsternis einbricht.

Choral Sopran

Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ, weil es nun Abend worden ist, dein göttlich Wort, das helle Licht, laß ja bei uns auslöschen nicht.

In dieser letzt'n betrübten Zeit verleih uns, Herr, Beständigkeit, dass wir dein Wort und Sakrament rein b'halten bis an unser End.

Rezitativ Bass

Es hat die Dunkelheit an vielen Orten überhand genommen. Woher ist aber dieses kommen? Bloß daher, weil so wohl die Kleinen als die Großen nicht in Gerechtigkeit vor dir, o Gott, gewandelt und wider ihre Christenpflicht gehandelt. Drum hast du auch den Leuchter umgestoßen.

Arie Tenor

Jesu, laß uns auf dich sehen, dass wir nicht auf den Sündenwegen gehen. Lass das Licht deines Worts uns heller scheinen und dich jederzeit treu meinen.

Choral

Beweis dein Macht, Herr Jesu Christ, der du Herr aller Herren bist; beschirm dein arme Christenheit, dass sie dich lob in Ewigkeit.

 

 

Die Emmausjünger (Lukas 24,13-35) Evangelium für den zweiten Osterfesttag

Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. 14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. 15 Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. 16 Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. 17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. 18 Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? 19 Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; 20 wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. 21 Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. 22 Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, 23 haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. 24 Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht. 25 Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! 26 Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? 27 Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war. 28 Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. 29 Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. 30 Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. 31 Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. 32 Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? 33 Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; 34 die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen. 35 Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach.

Liebe Gemeinde,

ich bin jetzt im zehnten Jahr in Leipzig – aber ich habe es noch nie zur Weihnachtszeit bis ins Erzgebirge geschafft. Am heutigen 2. Februar feiert man dort ausgiebig das Ende der Weihnachtszeit. Um 18.00 Uhr werden in den Kirchen die Weihnachtspyramiden angehalten. Die Weihnachtsbäume verlöschen mit dem Ruf: „Licht aus!“ Nun, in diesem Jahr ist es wieder nichts geworden, denn ich bin ja hier. Was auch schön ist, mindestens genauso schön. Denn: Mit Blick auf die Kantate für den zweiten Osterfesttag könnte man meinen, lieber Gerd-Peter Münden, Ihr seid hier in Braunschweig Eurer Zeit weit voraus.

Nun, aber wie wir gleich sehen und hören werden, gibt es in der Tat gute Gründe dafür, diese Kantate in der liturgisch und vielleicht auch anderweitig lichtlosen Zeit aufzuführen. „Bleibe bei uns, denn es will Abend werden“ – so bitten die Emmausjünger den Auferstanden. Noch haben sie ihn nicht erkannt. Aber offenbar haben sie schon gemerkt, dass langsam Licht hineinkommt in ihr verdunkeltes Gemüt. Haben angefangen etwas zu verstehen von diesem unbekannten Begleiter Richtung Emmaus. Er legt ihnen alles aus, den „Toren zu trägen Herzens“ und fängt ganz von vorne an: Bei Mose und den Propheten. Die Dinge sortieren im Leben und plötzlich fällt Licht herein – eine Erkenntnis, für die man nicht Christ sein muss. Die Jünger merken, wie gut ihnen das tut und wie sehr sie das brauchen: „Bleibe bei uns denn es will Abend werden.“

Genau darauf spitzt diese Kantate sich zu. Dass wir das brauchen, das unsere zu trägen Herzen wieder auf Trab gebracht werden und anfangen zu brennen. Und so ist unter anderem heute genau der richtige Zeitpunkt, diese Kantate  aufzuführen. „Es will Abend werden“. In Bachs Zeit war die die Nacht, die Dunkelheit ein Symbol für die Sphäre der Verunsicherung und Versuchung. Oder für die eigene Endlichkeit. Das alles klingt in Musik und Worten mit, wie ein roter Faden zieht sich die dringende Bitte hier durch, in all dem geleitet zu sein, die Richtung zu erkennen. Dass das Licht eben nicht aus ist, sondern an, wirklich an. So wird die dringende Bitte der Altarie „Bleib, ach bleibe unser Licht“ im ersten Choral noch gesteigert: „Weil es nun Abend worden ist, dein göttlich Wort, das helle Licht, lass ja bei uns auslöschen nicht.“ Dass es ja nicht ausgehe!  Denn in der Tat ist es so, wie der Bass weiß: „Es hat die Dunkelheit an vielen Orten überhand genommen.“

An einem der dunkelsten Orte der Menschheitsgeschichte wurde in letzter Woche dessen gedacht – in Auschwitz. Es wurde gedacht dessen, wohin es führt. Wohin es führt, wenn wir Menschen zulassen, dass die finsteren Schmuddelecken, die wir alle in uns haben, ungeniert ans Licht kommen: Hass, Häme, andere abwerten um uns gut, groß und richtig zu fühlen, Schadenfreude, Rachegedanken, Größenwahn und das Verlangen, einen Sündenbock für all das zu suchen, womit wir in uns selbst unzufrieden sind. All das hässlich dunkle Potential in uns, das in manchen Bach-Kantaten ja noch viel drastischer bezeichnet wird als in dieser, z.B. als „stinkender Sündenpfuhl“. Hier im Bassrezitativ geht es eher vornehm zu: Dass es so viel Dunkelheit gibt, weil alle „nicht in Gerechtigkeit vor dir, o Gott, gewandelt und wider ihre Christenpflicht gehandelt“ hätten. Aber es ist einfach viel mehr als das. Es ist das, was aus Menschen immer wieder herausbrechen kann. In Auschwitz wurde immer wieder zurecht betont: „Es ist geschehen -  und daher kann es immer wieder geschehen.“ Und Bundespräsident Steinmeier hat in seiner bemerkenswerten Rede im Bundestag gesagt: „Ich wünschte, ich könnte sagen: Wir Deutschen haben verstanden.“ Aber wo sich Hass und Hetze wieder ausbreiten, wenn das Gift des Nationalismus wieder in Debatten einsickert, auch bei uns", dann sei das nicht so einfach. Die "bösen Geister der Vergangenheit" zeigen sich heute im "neuen Gewand", mahnt Steinmeier, sie präsentieren ihr "völkisches, ihr autoritäres Denken als Vision, als die bessere Antwort auf die offenen Fragen unserer Zeit". Ein Appell, genau hinzuschauen bei Licht, der sich in einem Satz bündelt: Seine Sorge sei nicht, dass die Deutschen die Vergangenheit leugneten. Sondern "dass wir die Vergangenheit inzwischen besser verstehen als die Gegenwart".

Ein starker Satz! Licht an, wo es antisemitische Bemerkungen und Übergriffe auf Schulhöfen gibt. Licht an, wo demokratische Prozesse und Errungenschaften verächtlich gemacht werden. Licht an, wo Hass und Hetze in Sprache und Gedanken einsickern. Licht an und erkennen: Wo ist der Punkt, wo das kippt. Wo ist der Punkt, wo andere anfangen mitzumachen. Weit vor diesem Punkt, wo es kippt, gilt es, ihn vorherzusehen und in der Tat zu verstehen, was los ist. Dieser Finsternis dürfen wir keinen Raum lassen. So gilt es heute am letzten Tag der Weihnachtszeit unter dem österlichen Licht dieser Kantate von hier mitzunehmen: Keinesfalls Licht aus, sondern Licht an! Das helle Licht über den Feldern von Bethlehem im Herzen bewahren. Den Ruf der Engel an die Hirten: „Fürchtet Euch nicht“. Fürchtet Euch nicht vor dem Dunkel, tretet ihm entgegen. Lebt im Alltag die Botschaft: Gott ist Mensch geworden, damit wir auch wir es werden. „Lass das Licht Deines Worts uns helle scheinen“, heißt es am Schluss der Tenorarie. Lass es uns bloß scheinen, lass es uns ja scheinen, mag man miteinstimmen. Oder auch in die Bitte der  Emmausjünger: „Bleibe bei uns, denn es will Abend werden.“ Und mögen wir erfahren, wie sie, was Lukas in seiner Geschichte fast wie in einem Nebensatz erzählt. Ein Satz, auf den aber sehr viel Licht fallen sollte, um zu erkennen: Er gilt auch für uns. „Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.“ Amen.

 

Gebet (EG 854)

Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.

Bleibe bei uns und bei deiner ganzen Kirche.

Bleibe bei uns am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt.

Bleibe bei uns mit deiner Gnade und Güte, mit deinem heiligen Wort und Sakrament, mit deinem Trost und Segen.

Bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und Angst, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht des bitteren Todes.

Bleibe bei uns und allen deinen Gläubigen in Zeit und Ewigkeit. (Georg Christian Dieffenbach)

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org