Ansprache in der Online-Motette

  • 18.04.2020
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Sonntag Quasimodogeniti Wie neugeborene Kinder)

Ein Krähenküken fällt aus dem Nest.

Elend, nackt und bloß liegt es am Weg.
Es ist tot.
Überaus deutlich und plastisch wird uns vor Augen geführt, wie der Tod alles zunichtemachen kann:
Hoffnungen auf Zukunft
Familienglück, Pläne, Gemeinschaft und Nähe.
Schönreden bzw. Schönmalen lässt sich der Tod nicht.
Die Endgültigkeit des Todes wird an den durchtrennten Beziehungsbändern offensichtlich.
Darin zeigt er uns seine Macht, der wir ohnmächtig gegenüberstehen.
Das Bild des Leipziger Malers Michael Triegel trägt die Überschrift „Tod und Auferstehung“.

Es entstand vor vier Jahren und war zur Ausstellung „Logos und Bild“ während des Reformationsjubiläums im Jahre 2017 zu sehen.
Martin Luthers eigener Umgang mit dem Sterben und Tod seiner geliebten Tochter Magdalena hat den Künstler inspiriert. Im Gespräch tröstet das dreizehnjährige Kind den verzweifelten Vater.
Dem toten Küken wird eine Kinderzeichnung gegenübergestellt. Ein fünfjährigen Mädchens malt den auferstandenen Christus aus seiner Perspektive. Mich erinnert das Kinderbild an die Zeichnungen der ersten Christen, die noch in manchen Katakomben zu finden sind.
Einfache Linien, wesentliche Symbole mit klarer Aussage.

Besiegt der Kinderglaube die Todesmacht?

BILD von Michael Triegel (s. unten)

Auferstehung zu glauben ist unglaublich, liebe Motettengemeinde. Denn der Glaube will nach dem Verstand fragen und tut es auch. Oft genug macht Letzterer dann einen Strich durch die Glaubensrechnung und schon geht sie nicht mehr auf.
Ich glaube nur, was ich sehe.
Sehr häufig höre ich diesen Satz, mal als Ausrede und mal aus einer gewissen Verzweiflung heraus gesprochen oder mit spöttischer Skepsis.
Da stellen sich mir die Fragen:
„Was sehe ich eigentlich, wenn ich Auferstehungsbilder anschaue?“
„Wohin führt mich solches Anschauen?“
Im vorhin betrachteten Bild „Tod und Auferstehung“ entdecken wir, wie ein Kind das Ostergeschehen sieht. Christus als Sieger.
Er steht über dem Tod im doppelten Sinne.
Mich fasziniert der unverstellte Blick des Kindes auf Ostern. Er mag naiv sein.
Doch genau darin liegt seine Stärke.  
Wir Erwachsene tun uns da eher schwer, weil wir zu viel fragen und zu viel hinterfragen.
Aber eine Anleitung zum Glauben an die Auferstehung wird es nicht geben.
Vielmehr liegen Auferstehung und Tod wie auch Glaube und Zweifel immer wieder im Widerstreit.
Glaubensstärke, liebe Motettengemeinde, wächst durch den Zweifel. Und wie dicht Glaube und Zweifel beieinander sein können, erfahren wir, wenn es ums Leben und Sterben geht.
Martin Luther äußert gegenüber seinem Freund Justus Jonas am 23. September 1542 über den Tod seiner Tochter Magdalena.
„…aber die Kraft der natürlichen Liebe ist so groß, dass wir ohne Schluchzen und Herzensseufzer, ja ohne großes Herzbrechen das nicht können. Denn zu tief im Herzen sitzt uns die fromme, folgsame Tochter, ihre Blicke, ihre Worte, ihr ganzes Wesen, wie sie war im Leben und im Sterben, dass auch Christi Tod … das nicht ganz austreiben kann, wie es doch sollte. So danke Du Gott an unsrer Statt.

Zweifel braucht tröstende Worte, damit er nicht die Oberhand gewinnt.
Den dafür notwendigen Trost vermag kaum jemand sich selber zuzusprechen. Da kann der Glaube noch so groß scheinen. Allzu schnell fällt er in solchen Momenten in sich zusammen.
Umso tröstlicher kann der unverstellte Blick des Kindes sein. Martin Luther erlebte das bei seiner Tochter Magdalena und konnte daraus Kraft gewinnen.
Wie alle Christen zu allen Zeiten leben wir von Ostern her. Ostern aber bedeutet Auferstehung gegen den Tod. Auferstehung heißt, dass Gott nicht nur ein Gedanke ist, sondern Wirklichkeit in der Liebe Jesu Christi.
Die Ostergeschichten aus der Bibel geben uns in so großartiger Vielfalt Zeugnis davon, dass Österliche Freude den Weg durch das Tal von Tod und Trauer braucht. Nur so kann sie wahrhaftig und damit glaubwürdig sein.

Für uns heute bedeutet das:
den Tod nicht wegzusperren, ihn nicht aus dem Leben auszublenden, sondern sich ihm zu stellen – als Lebende zu Lebzeiten.
„Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“
lesen wir im 1. Korintherbrief im 15. Kapitel.

Solch furchtlos, christliches Fragen hinterfragt gerade nicht die Auferstehung. Es hat seinen tiefen Grund in der Gewissheit, dass uns der Tod nur schrecken kann.
Für ewig binden - das vermag er nicht.
Denn Christus hat mit seiner Auferstehung diese Bindung gelöst.
Als solchermaßen Erlöste, können wir uns den Todesmächten unserer Gegenwart entgegen stellen – mit kritischem Verstand, mit wachem Auge oder deutlichem Einspruch.
Das ist immer wieder anstrengend. Und wir brauchen Wegzehrung, damit wir auf dem Weg eines solch gelebten Glaubens nicht stecken bleiben. 
Mit der Ermutigung Jesu Christi, das Reich Gottes wie ein Kind zu empfangen, (Mk 10,15) bekommen wir solche Wegzehrung. Seine Worte erinnern uns daran, geliebte Kinder Gottes zu sein. Handeln wir danach! 
Für die kommende Zeit wünsche ich uns, wie ein Kind glauben zu können.
Dabei werden wir nicht den Verstand verlieren, sondern ihn vielmehr nutzen, um aus dem unverstellten kindlichen Blick auf den Glauben die richtigen Schlüsse für das Leben zu ziehen.
Und der Friede Gottes, der größer ist als das, was wir mit dem Verstand erfassen können, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark
hundertmark@thomskirche.org