Ansprache in der Online-Motette

  • 25.04.2020
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Liebe Gemeinde,

bestimmt sind sie hier schon oft vorbeigegangen. An der Gute-Hirte-Tür der Thomaskirche. Aber vielleicht sind Sie hier noch nicht stehen geblieben. Es lohnt sich, das mal zu tun. Jesus, der gute Hirte – er hilft dem Schaf, das sich im Gestrüpp verheddert hat. Es kann sich nicht mehr selbst befreien. Ruhig und konzentriert befreit Jesus das Schaf aus der Lage, in die es sich offenbar selbst gebracht hat. Es sieht erschöpft aus. Und angeschlagen – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber der Hirte ist da. Und tut, was zu tun ist.

Es fällt nicht schwer: Wir finden uns in diesem Bild selbst. Im Moment vielleicht besonders. Fühlen uns angeschlagen, wenn wir schlecht geschlafen haben. Verheddern uns in unseren Gedanken. In unseren Versuchen zu planen, wie es denn wohl weiter geht unser Leben in den nächsten Wochen. Kreisen ständig um uns selbst. Und kommen nicht raus aus dem Gestrüpp unserer Gedanken. Vielleicht gehört das mit zu den Dingen, die wir in dieser Corona-Krise zu bedenken haben: Wir betrachten die Welt gern unter dem Aspekt, dass wir sie uns aneignen wollen. Wissen, besitzen, durchschauen, erklären, optimieren – was auch immer. Manchmal durchaus so wie ein Schaf, das die Herde verlässt, weil es seine eigene Weide finden und besitzen will. Aber wie kommen wir klar, wenn wir uns dabei verheddern? Wenn wir nicht weiter kommen und verlieren, was wir fest zu besitzen glaubten? Wenn wir’s nicht durchschauen. Und schon gar nicht optimieren können. Sondern sehen, wie zerbrechlich es ist. Unser Leben. Wie im Moment.

In den Texten des morgigen Sonntags finden wir etwas, was uns gut tut. Woran wir uns orientieren können. Am guten Hirten. An Gott, der in all dem da ist und ruhig und gelassen seine Arbeit tut. Wir haben eben den 23. Psalm gehört in einer Vertonung von Paul Heller. Alles in diesem Psalm geht vom guten Hirten aus. Er lässt uns finden, was wir brauchen. Er führt uns zum frischen Wasser. Er geht hinter uns her, wenn wir dunkle Strecken in unserem Leben zurückzulegen haben. Wo wir traurig sind, deprimiert. Wo uns der Boden unter den Füßen wegzurutschen droht. Der gute Hirte bleibt dicht hinter uns wo das passiert. Und er hat schon einen Ort bereitet, der unser Zuhause sein wird: „Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar“. Was für ein Gegensatz in diesem Psalm zu dem, wie wir oft unterwegs sind. Dass wir es machen wollen, haben wollen, erringen wollen, besitzen. Uns abstrampeln bis wir uns so verfangen haben, dass wir mit uns selbst ziemlich allein sind.

Was uns die Bibel mit dem Bild vom guten Hirten - ob nun im 23. Psalm oder auf Jesus bezogen - offenbar sagen will: Du musst Dein Leben nicht erringen. Du musst Dich nicht rechtfertigen. Renn nicht vorbei an dem, was schon da ist. Das, wovon du wirklich lebst. Genieße es, Dir wird nichts mangeln. Lass Deine Angst nicht über Dich herrschen. Dass Du Dein Leben verpasst, dass Du immer denkst, Du müsstest noch schneller, noch besser, noch schöner, noch erfolgreicher, noch klüger sein. Am Ende führt das dahin, wo dieses angeschlagene Schaf sich verfangen hat. Der 23. Psalm gibt unserem Leben eine andere Perspektive. Sie reicht über dieses Leben hinaus. Es steht schon fest: Wir werden sein im Hause des Herrn „immerdar“. Und immer heißt immer. Aus dieser Gewissheit haben Menschen jahrhundertelang ihr Leben und Sterben gestalten können. Haben in Krisen mit Krisen gelebt. Haben sie integriert in ihr Leben. Auch die Niederlagen. Und den Tod, die Trauer und den Schmerz. Aus Gottvertrauen. Der gute Hirte, er ist da! Er war da und er wird da bleiben. Deshalb ist er oft über den Türen unserer Kirchen zu sehen, auch hier an der Nordseite der Thomaskirche. Ein bisschen verwittert ist er. Aber wie könnte es anders sein? Er ist, wo wir sind, in dieser Welt, wie sie ist. Weil das so ist, können wir leben. In dieser Welt, wie sie ist. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org