Ansprache in der Online-Motette

  • 23.05.2020
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Johann Sebastian Bach (1685–1750; Thomaskantor 1723–1750)

Lobet Gott in seinen Reichen

Himmelfahrts-Oratorium BWV 11 (EA: 19.05.1735, Nikolaikirche)

für Soli, Chor, drei Trompeten, Pauken, Traversflöten, Oboen, Streicher und Basso continuo

1. Chor

Lobet Gott in seinen Reichen,
preiset ihn in seinen Ehren,
rühmet ihn in seiner Pracht!
Sucht sein Lob recht zu vergleichen,
wenn ihr mit gesamten Chören
ihm ein Lied zu Ehren macht!

2. Rezitativ (Tenor)

Der Herr Jesus hub seine Hände auf und segnete seine Jünger, und es geschah, da er sie segnete, schied er von ihnen.

3. Rezitativ (Bass)

Ach, Jesu, ist dein Abschied schon so nah?
Ach, ist denn schon die Stunde da,
da wir dich von uns lassen sollen?
Ach, siehe, wie die heißen Tränen
von unsern blassen Wangen rollen,
wie wir uns nach dir sehnen,
wie uns fast aller Trost gebricht.
Ach, weiche doch noch nicht!

4. Arie (Alt)

Ach bleibe doch, mein liebstes Leben,
ach fliehe nicht so bald von mir!
Dein Abschied und dein frühes Scheiden
bringt mir das allergrößte Leiden,
ach ja, so bleibe doch noch hier;
sonst werd ich ganz von Schmerz umgeben.

5. Rezitativ (Tenor)
Und ward aufgehaben zusehends und fuhr auf gen Himmel, eine Wolke nahm ihn weg vor ihren Augen, und er sitzet zur rechten Hand Gottes.

6. Choral
Nun lieget alles unter dir,
dich selbst nur ausgenommen;
die Engel müssen für und für
dir aufzuwarten kommen.
Die Fürsten stehn auch auf der Bahn
und sind dir willig untertan;
Luft, Wasser, Feuer, Erden
muss dir zu Dienste werden.

7a. Rezitativ (Tenor, Bass)
Tenor
Und da sie ihm nachsahen gen Himmel fahren, siehe, da stunden bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten:
beide
Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet gen Himmels Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren.

7b. Rezitativ (Alt)
Ach ja! so komme bald zurück
Tilg einst mein trauriges Gebärden,
sonst wird mir jeder Augenblick
verhasst und Jahren ähnlich werden.

7c. Rezitativ (Tenor)
Evangelist
Sie aber beteten ihn an, wandten um gen Jerusalem von dem Berge, der da heißet der Ölberg, welcher ist nahe bei Jerusalem und liegt einen Sabbater-Weg davon, und sie kehreten wieder gen Jerusalem mit großer Freude.

 8. Arie (Sopran)

Jesu, deine Gnadenblicke
kann ich doch beständig sehn.
Deine Liebe bleibt zurücke,
dass ich mich hier in der Zeit
an der künftgen Herrlichkeit
schon voraus im Geist erquicke,
wenn wir einst dort vor dir stehn.

9. Choral

Wenn soll es doch geschehen,
wenn kömmt die liebe Zeit,
dass ich ihn werde sehen
in seiner Herrlichkeit?
Du Tag, wenn wirst du sein,
dass wir den Heiland grüßen,
dass wir den Heiland küssen?
Komm, stelle dich doch ein!

(Text: Lukas 24,50-52, Apostelgeschichte 1,9-12, Markus 16,19; 
6: Johann Rist 1641; 9: Gottfried Wilhelm Sacer 1697)

Tja, liebe Gemeinde: Das ist ja so eine Sache mit Christi Himmelfahrt. Wie soll man sich das vorstellen? Komisches Fest. Bringt den eingefleischtesten Christenmenschen in Verlegenheit, wenn er’s erklären soll. Dabei hat sich das der Evangelist Lukas so gut ausgedacht. Wollte seinen heidnischen Lesern mit dieser Geschichte helfen. Sie sollten verstehen, wer dieser Jesus ist. Die hatten mit dieser Vorstellung nämlich gar kein Problem: Jesus fährt auf in den Himmel – also ist klar: Er ist ganz und gar von Gott durchdrungen. Genau das aber ist zum Verstehenshindernis geworden für den aufgeklärten Menschen, dieses Bild. Himmelfahrt. Das verschärft sich noch, weil es im Deutschen ja nur ein Wort gibt: den Himmel für das, was über uns ist und für das, was der Himmel im Wort „Himmelfahrt“ eigentlich meint. Der Machtbereich Gottes. Im Englischen ist das einfacher. Da unterscheidet man „sky“ und „heaven“. Gott ist nicht da, wo der Himmel ist. Sondern der Himmel ist da, wo Gott ist. Und schon in den biblischen Texten zu diesem Fest wird das gesagt: Wo man in den Himmel starrt und meint, Gott dort zu finden, ist man schon auf dem Holzweg. Den Himmel möge man woanders suchen. Und finden. Und zwar hier bei uns, zwischen uns. Wo es hier auf der Welt himmlisch wird. Oder: Wo Vision und Wirklichkeit zusammenkommen. Dafür kann uns Himmelfahrt den Blick schärfen - das Fest, das wir vorgestern gefeiert haben. 
Und darum geht es auch im Himmelfahrtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Sie haben eben den Eingangschor gehört: Großer Jubel, Pauken und Trompeten im Eingangschor. Was dann folgt, sind tieftraurige Jünger, die sich ganz und gar ihrem Abschiedsschmerz hingeben: „Ach, bleibe doch, mein liebstes Leben, ach, fliehe nicht so bald von mir. Dein Abschied und dein frühes Scheiden bringt mir das allergrößte Leiden“. Abschiedsschmerz – oder schon Selbstmitleid? Das ist ja immer die Gefahr – dass man sich selbst am meisten leid tut, nur noch sich selbst sieht, wo man verlassen wird. Und eins überhaupt nicht mehr merkt. Das Wichtigste im Leben. Nämlich das, womit es auch in dieser Kantate beginnt, fast unbemerkt: Jesus segnet seine Jünger. „Segnen“, das kommt von „signatio“ - Zeichen, ein Zeichen dran machen. Jesus macht sein Zeichen an die Jünger. Sein Zeichen, das heißt: „Ich lebe – und ihr sollt auch leben.“ 
Ja, das sollen wir. Leben. Und zwar nach vorne. Uns nicht gefangen nehmen lassen von allem Kreisen um uns selbst, vor allem von unserem Hang dazu uns leid zu tun. Raus aus des Todes Macht. Darum geht es jetzt gleich im zweiten Teil des Himmelfahrtsoratoriums. Die jammernden Jünger werden zu Beginn in ihrer Starre aufgestöbert: „Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet gen Himmel?“ Zwei Männer in weißen Kleidern stellen ihnen diese Frage. Man könnte sagen: Sie wird immer verrückter diese Himmelfahrtsgeschichte. Aber weit gefehlt. Erinnern Sie sich noch an die Ostergeschichte? Da war es nur eine Gestalt in weißen Kleidern, die den Frauen gesagt hat: Geht weg vom Grab. Und findet Jesus im Leben – in Eurem Leben. Und jetzt sind es zwei weiße Gestalten, zum zweiten Mal und endgültig heißt es: Geht ins Leben! Macht Euch auf den Weg. Tut es endlich. Jüngerinnen und Jünger: Ihr seid gesegnet, lebt das, werdet Zeugen für ihn! Gebt Euch nicht Eurem Jammer hin. Sondern lebt seine Haltung, die auch den Feind als Menschen erkennt. Lebt es, dass nie mehr die Mächte des Todes über uns Gewalt haben sollen wie der Hass auf andere, der eben vor allem dem Mitleid mit sich selbst entspringt. Lasst Euch nie, nie von diesen Mächten unterkriegen. Kriegt ihr vielmehr sie in den Griff. Das Leben ist stärker. Die Liebe des Auferstandenen, mit deren Zeichen wir gesegnet sind. So, wie es in der Sopranarie am Ende heißt: „Deine Liebe bleibt zurücke, dass ich mich hier in der Zeit an der künftgen Herrlichkeit schon voraus im Geist erquicke“. Sich da langsam herantasten... auch darum geht’s zu Himmelfahrt: zu leben als Menschen, die verstehen: Wir sind im Glauben erwachsen. Deshalb kann Jesus gehen. Und sie, sie starren nicht mehr in den Himmel. Sie gehen nach Jerusalem. Wo sie leben. Und wo nicht alles toll ist. Ganz und gar nicht. Aber sie tun es als Gesegnete und mit großer Freude. Denn dort - dort ist eben auch der Himmel. Amen. 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche
taddiken@thomaskirche.org