Ansprache in der Weihnachtsmotette Heiligabend 2023 14.00 Uhr

  • 24.12.2023 , 4. Advent, Heiliger Abend
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Motettenansprache am Heiligen Abend, 24.12.2023, St. Thomas zu Leipzig um 14 Uhr

Weihnacht

In allen Häuser ist schon Licht.

Hingegen in den Hauptessachen: Dunkelheit.

Unhörbar, was die Nacht verspricht

an kurzer Freude und an langem Leid.

 

Was hier als Zeichen in der Wiege ruht,

Jahrhundert um Jahrhundert fromm verehrt:

Ein bisschen Fleisch und Bein und Blut

Ist allemal auch uns beschert.

 

Doch alles Feiern gilt dem einen Kind,

das später einmal unter Foltern stirbt.

Trotz allem Licht: Wir bleiben blind:

Auf dass uns nichts den Appetit verdirbt.

 

Günter Kuhnert

 

Liebe Weihnachtsmotettengemeinde,

der Dichter Günter Kuhnert ist ein feiner Beobachter. Er beobachtet, was zu Weihnachten wichtig ist. Und er schaut hinter die glühweinbeschlagenen Scheiben einer süßlich wohlfeilen Kulisse, die mit ihren immer wiederkehrenden Melodien nach drei Wochen Adventszeit nur schwer auszuhalten ist.

Weihnachten ist das Fest des Lichtes.

Nachtdurchbrechendes Licht leuchtet die Alltagsfinsternis der Hirten auf Bethlehems Feldern aus.

Wegweisendes Sternen-Licht bringt die Könige aus der Weihnachtsgeschichte nach Matthäus letztlich zur Krippe. Sterne funkeln am Weihnachtshimmel unserer geschmückten Wohnungen. Dort machen sie Sinn, in literarischen Texten oder Briefen eher nicht.

Am Firmament einer unendlich weiten Schöpfung erinnern sie uns immer wieder an das Schöpfungslicht.

Der Evangelist Johannes beschreibt weihnachtliches Licht als eine Energiequelle, die in die Finsternis leuchtet, aber ohne Erfolg. „Das Licht scheint in der Finsternis aber die Finsternis hat es nicht ergriffen.“

Damit haben wir zugleich das Schicksal des Evangeliums beschrieben. Jeder Christ und jede Christin mit halbwegs ernsthaftem Glauben in ungläubiger Umgebung, wird ein Lied darauf singen können, wie alltagsrelevant der Vers vom göttlichen Licht in ablehnender Finsternis ist.

Göttliches Licht leuchtet hell. Es leuchtet sogar in dunkle Ecken des eigenen Herzens. Nicht, um uns Angst zu machen. Die Weihnachtsbotschaft lautet schließlich „Fürchtet euch nicht“, sondern um zum Vorschein zu bringen, was wir gerne verbergen an ungelebtem Leben, und nicht gegebener Liebe,

an Eigenmächtigkeiten oder Lügen, die den Alltag bequemer machen wollen.

Maria, die junge Frau, hat am eigenen Leibe gespürt, welche Kraft das göttliche Licht hat. Alles wurde umgekrempelt. Ihr gesamtes bisheriges Leben wird plötzlich neu ausgeleuchtet und steht in einem ganz anderen Licht. Maria erlebt die Umkehrung der Verhältnisse. Damit gibt ihre Geschichte allen Verzweifelten und allen, deren Hoffnung sich im Mühlrad der Mächtigen zu Staub zerbröselt hat, eine feste Zusage: Die Gewaltigen stößt er vom Thron und die Reichen lässt er hungrig von dannen ziehen.

Im Weihnachtslicht sehen wir, wie ein kleines Kind als menschgewordene Liebe Gottes alles verändern kann. Nun ist es nichts Ungewöhnliches, wenn ein schreiendes Kind mit voller Windel den Alltag komplett auf den Kopf stellt. Diese Erfahrung teilen alle Eltern. Aber, liebe Gemeinde, das Krippenkind wirkt tiefer.

Es wirkt bis tief in unsere Seele und in unser Herz hinein.

Denn dort will es Wohnung nehme. Es will das menschliche Herz als Wohnort der Seele zu seiner Krippe machen. Dabei ist es vollkommen egal, welchen sozialen Status ich habe. Auch eigenes Vermögen wird nicht in Gold gewogen, sondern in der Währung, die beschreibt, inwieweit ich mich einlasse auf die Botschaft des Kindes. Diese lautet:

Vertraue mir und ich rette dich vor dir selbst.

Die Botschaft des Kindes ist unbequem in einer bequemen Welt. Es spricht vom Frieden, der keine Feinde mehr kennt. Es ermutigt, neue Wege zu gehen, die der Liebe dienen. Und es ruft uns zum Handeln, wenn es sein muss auch gegen alle Gewohnheiten.

Vielleicht bleiben wir deshalb zu Weihnachten besonders gerne blind trotz allem Licht,

damit uns nichts den Appetit verdirbt.

Wer hört schon gerne zu Weihnachten Nachrichten vom Krieg, vom Abschlachten und Vergewaltigen?

Wer hält sich nicht gerne die Ohren zu, wenn ein solidarischer eigener Standpunkt gefordert wird, angesichts des Terrors, den unsere jüdischen Geschwister erlebten und erleben?

Weihnachten war unwirtlich zur Zeitenwende vor gut zweitausend Jahren und es wird immer unwirtlich sein.

Denn unsere Welt ist unvollkommen.

Damit sie nicht auf alle Ewigkeiten hin lieblos bleibt, erinnern wir uns jedes Jahr zum Weihnachtsfest an die Liebe Gottes. Sie wird uns im Christkind geschenkt, dessen Licht in die unvollkommene und damit oft finstere, lieblose Welt scheint. Das Christkind rettet uns vor uns selbst, rettet aus Gottesferne und dem ewigen Nichts.

Öffnen wir unsere Augen, um zu sehen, wo wir die Liebe dieses Kindes weitergeben können.

Öffnen wir unsere Augen, um durch unsere Hände und Füße für andere zum Licht zu werden.

 

Mag sein, dass uns als solchermaßen Sehende,

der eine oder andere Bissen im Halse stecken bleibt.

Es lohnt sich aber, sagt das Licht der Welt, weiter zu sehen als bis zum Rand der weihnachtlichen Festtafel.

Hinter dem Weihnachtshorizont geht es weiter.

Es leuchtet eine neue Hoffnung:

Fürchtet euch nicht, die Augen aufzumachen und euer Leben zu teilen!

 

Amen.