Besinnung am Wochenende

  • 14.07.2018
  • Prof. Dr. Maththias Petzoldt

Vom Fremden zum Mitbürger Eph, 2,19
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Besucherinnen und Besucher, wenn Sie diese Stichworte hören: Fremde, Mitbürger. Die einen werden vielleicht aufstöhnen: Ich kann diese Schlagworte nicht mehr hören. Andere sind davon elektrisiert: Fremde - die wollen wir hier nicht haben. Raus mit ihnen. Andere dagegen: Fremde hier bei uns - das bedeutet: Flüchtlinge in Not suchen Aufnahme vor Verfolgung. Und ganz schnell haben wir es mit den Diskussionen unserer Tage zu tun. Jetzt geht das auch noch hier in der Kirche los, am Wochenende, wo wir mal unsere Ruhe haben wollen.
Doch aus dem Bibelwort, das über der kommenden Woche steht, erfahren wir: Die Denkweise Fremde - das sind die, die nicht zu uns gehören; und Mitbürger - das sind wir, die hier zu Hause sind, Hausgenossen, die sich abgrenzen von den Fremden -diese Denkweise finden wir schon im Neuen Testament vor, in Schriften, die über 2000 Jahre alt sind. Im Epheserbrief, den ein Mitarbeiter des Apostel Paulus an die Christen im griechischen Ephesus geschrieben hat, heißt es: So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. (Kap. 2,19)
Da kommt unweigerlich die Frage auf: Macht auch Gott den Unterschied von: die gehören zu mir, meine Mitbürger, und die anderen sind draußen, Fremde - Macht auch Gott diesen Unterschied? In alttestamentlichen Zeiten hat man zuweilen so gedacht: Hier Israel, das Volk, das Gott auserwählt hat, dort dagegen die Heiden, die nicht dazugehören. Doch da erklärt Jesus Christus, der selber aus dem Volk Israel kommt, er erklärt denen, die ihm nachfolgen: Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Doch die Seinen fragen ihn verwundert: Wann haben wir dich als einen Fremden gesehen und haben dich aufgenommen. Und Christus antwortet: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan (Mt 25, 35.38.40). Wie kennen sicherlich diese Worte aus dem Matthäusevangelium.
Mit diesen Worten hat Christus die Grenzen, die Menschen ziehen, durchbrochen. Er geht auf die Menschen zu, ganz gleich wo sie herkommen, welchen Standes sie sind, oder was sie besitzen. Er geht auch auf die zu, die als die geringsten gelten; er geht er auf sie zu und nimmt sie an; er integriert sie - würden wir heute sagen. Da gibt es für ihn keine Fremden mehr. Und eben dieses Zugehen auf die Mitmenschen in vorbehaltloser Anerkennung, das hat er seinen Nachfolgern aufgetragen; das hat er uns aufgetragen. Den anderen zum Christus werden; die Mitmenschen in die Anerkennung Christi hinziehen - dieses Band der christlichen Nächstenliebe zieht sich seitdem durch die Zeiten und Räume hindurch und hat auch uns erreicht. Auch wir sind von der vorbehaltlosen Achtung Christi erfasst worden -, indem Menschen, mögen es unsere Eltern gewesen sein oder andere Personen, für uns zum Christus geworden sind; indem sie seine vorbehaltlose Anerkennung an uns weitergegeben haben.
Am Beispiel des Apostels Paulus und seiner Mitarbeiter können wir diese Weitergabekette der Achtung Christi sozusagen an den frühen Anfangskettengliedern mitverfolgen. Paulus, erfüllt von dem Evangelium der zuvorkommenden Anerkennung durch Christus, schreibt im Brief an die Galater: Hier ist nicht Jude noch Grieche; hier ist nicht Sklave noch Freier; hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus (Gal 3,28). Die menschlichen Grenzziehungen - auch die zwischen den Juden als den Gliedern des auserwählten Volkes und den Griechen als den Heiden - auch diese Grenzziehung ist durch Christus niedergerissen. Alle sind eins in seiner vorbehaltlosen Achtung.
Und als dann ein Mitarbeiter des Paulus an die Christen im griechischen Ephesus schreibt, sieht das folgendermaßen aus. Und damit kommen wir auch wieder auf den Epheserbrief zurück. Wenige Zeilen vor dem Vers, den wir hörten und der den Spruch für die kommende Woche darstellt, da heißt es: Einst wart ihr - in jener Zeit vor Christus - einst wart ihr als Griechen ausgeschlossen von dem Bürgerrecht Israels und Fremde außerhalb des Bundes der Verheißung, ohne Hoffnung und ohne Gott (12). „Ohne Gott" steht da wirklich am Ende, im Griechischen „atheoi" - also wörtlich übersetzt: „Da wart ihr Atheisten". Nun, Atheisten im heutigen Sinne waren die Griechen damals vor rund 2000 Jahren sicherlich nicht. Die Griechen verehrten viele Götter und bauten ihnen Tempel: Zeus, Hera, Poseidon, Demeter und wie sie alle hießen. In den Augen des Briefeschreibers aber zählt das alles nicht. Denn die Epheser kannten zunächst Christus nicht. Damit waren sie noch nicht von seiner zuvorkommenden Achtung erfasst. Sie waren - wie er schreibt - ohne Hoffnung und ohne Gott. Jetzt aber - so schreibt er weiter - jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst Fremde wart, Nahe geworden durch das Blut Christi (13) Und wenig später folgt dann unser Satz: So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen (19) erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist (20).
So der ganze Zusammenhang jenes Satzes, der als Bibelspruch über der kommenden Woche steht. Wir sehen, Liebe Besucherinnen und Besucher, wie von dem Wirken Jesu an die menschlichen Grenzziehungen von hier - wir und dort - die Fremden, wie diese Grenzziehungen niedergerissen werden, bis hin zu der schwerwiegenden Ausgrenzung der Heiden aus dem erwählten Volk Israel. Jesus von Nazareth, selbst Jude, reißt diese Grenzziehung nieder. Christus geht auf die Menschen zu, gleich welcher Herkunft sie sind, und schenkt ihnen seine Achtung. Eine große Anerkennungswelle kommt damit in Gang, an den Briefen des Paulus und seines Mitarbeiters sehen wir die Anfänge davon, wie das Evangelium dann durch die Welt zieht. Diese Welle trägt seither durch die Jahrhunderte hindurch und über die Erdteile hinweg, so dass sie auch uns erreicht hat. Auch in unser Leben ist Christus getreten. 2000 Jahre sind seit jenen Anfängen vergangen. Und räumlich leben wir weit ab von den einstigen Wirkungsstätten Jesu - in einem Land leben, wo inzwischen viele ohne Gott ihr Dasein zubringen. Aber all das hält Christus nicht davon ab, auf uns Menschen zuzugehen und mit seiner Anerkennung uns zu Gottes Mitbürgern und Hausgenossen zu machen, ohn‘ unser Verdienst und Würdigkeit, wie einst der Apostel Paulus geschrieben hat und Martin Luther viele Jahrhunderte später das neu in Erinnerung gebracht hat.
So von seiner Freundlichkeit umfangen macht es auch uns Freude, auf Fremde zuzugehen und sie vorbehaltlos zu achten, so wie Christus uns achtet. Oder wer ein wenig fremdelt gegenüber Menschen, die anderswo herkommen, der bekommt Mut, auf sie zuzugehen; Mut durch die Freundlichkeit, die Christus uns entgegengebracht hat.
Dagegen bedeutet es geradezu einen Schlag ins Gesicht Jesu Christi, wo Hass gegen Fremde geschürt wird, oder wo Flüchtlinge verunglimpft werden, etwa als Asyltouristen. Als Christus im Matthäusevangelium sagt: Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen, da stehen ihm nicht nur die gegenüber, die ihrerseits fremde Menschen beherbergt haben und denen Christus antwortet: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Sondern ihm stehen auch andere gegenüber. Die fragen ihn: Wann haben wir dich als einen Fremdling gesehen? Und Christus antwortet: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. (Mt 25,45)
Liebe Besucherinnen und Besucher, freuen wir uns, dass uns die Achtung Christi erreicht hat! Seien wir froh und dankbar, dass wir durch ihn zu Mitbürgern und Hausgenossen Gottes geworden sind! Geben wir diese Freundlichkeit weiter, gerade auch an die, die als Fremde zu uns kommen und Schutz bei uns suchen.
Amen.