Gedanken zum Tag

  • 02.04.2020
  • Pfarrer i. R. Christian Wolff

Krise und Angst

Ja, wir befinden uns in einer Krise. Ja, nicht wenige Menschen treibt die Angst um. Sie greifen deswegen begierig nach Anweisungen wie nach einem Strohhalm, der Sicherheit verspricht - so jetzt nach der Atemschutzmaske. Schon deutet sich eine Art Volksbewegung an: Nähen gegen Corona. Ja, beides zusammen, Angst und Krise, ergibt eine lähmende Mischung. Gestern titelte die LVZ „150 Euro Bußgeld bei Verlassen der Wohnung“ und veröffentlichte ganzseitig eine Bastelanleitung für Atemschutzmasken. Muss jetzt jeder, der sich auf die Straße wagt, Angst haben: Darf ich das? Droht mir ein Ordnungsgeld? Und ist der, der nicht mit näht, ein Spielverderber? Angst erzeugt auch die Kommunikation der steil zunehmenden Anzahl der am Coronavirus gestorbenen Menschen. Da keine Bezugszahlen genannt werden wie z.B. die, wie viele Menschen in unserem Land durchschnittlich an einem Tag sterben, wirkt das bedrohlich – wie alles, was wir nicht einordnen können. Ebenso wird jede Maßnahme mit dem Argument versehen „Es geht um Leben und Tod“. Das soll signalisieren: bloß kein Einwand! Doch um Leben und Tod geht es immer - auch wenn ich eine Straße überquere. Jedes menschliche Leben findet mit dem Tod ein Ende. Wäre es deswegen nicht angebracht, nicht nur die Intensivstationen zu erweitern, sondern auch die Palliativmedizin, die Hilfe zum Sterben, zu stärken? Leider gerät über allem aus dem Blick, was Krise eigentlich bedeutet: Sie stellt den Wendepunkt einer Entwicklung dar. Wir befinden uns mit der Coronakrise nicht am Anfang einer Entwicklung, sondern an dem Punkt, an dem wir uns zu fragen haben: Was ging der Krise voraus? Können wir Entwicklungen benennen, die als Vorboten der jetzt ausgebrochenen Krise gelten können? Welche Lebensweisen haben unser Immunsystem derart geschwächt, dass Viren zuschlagen können? Vom Infektiologen Louis Pasteur (1822-1895) stammt der Ausspruch: „Das Bakterium ist nichts, das Milieu ist alles.“ Ja, es kommt darauf an, dass wir uns angstfrei dem stellen, welche Veränderungen jetzt anstehen, um zukünftig dem Virus kein Milieu zu bieten. Genau das ist gemeint, wenn wir Christen von Buße und Umkehr sprechen. Zeit genug haben wir ja dafür.

Christian Wolff, Thomaspfarrer i.R.
www.wolff-christian.de