Segen und Fluch

„Siehe, ich lege euch heute vor den Segen und den Fluch: den Segen, wenn ihr gehorcht den Geboten des HERRN, eures Gottes, die ich euch heute gebiete; den Fluch aber, wenn ihr nicht gehorchen werdet den Geboten des HERRN, eures Gottes.“ (5. Mose 11,26-28)

Als wäre es für diesen Tag extra ausgesucht, so liest sich das Losungswort für den 23. Mai 2020, den Verfassungstag: Heute vor 71 Jahren trat das Grundgesetz in Kraft. In ihm wurde viel aufgenommen von den 10 Geboten, die einst Mose von Gott empfing. Nun wendet sich Mose an die Menschen und weist sie darauf hin: Wenn ihr die Gebote Gottes haltet, wird Segen auf eurem Leben liegen. Wenn ihr sie missachtet, wird es zu Verwerfungen kommen. Das entspricht durchaus unseren Erfahrungen: Wenn Menschen in einer Familie, in einer Stadt, in einem Land zusammenleben, sich auf Regeln und Gesetze, auf Verfassungen oder eine Menschenrechtscharta verständigen und diese auch einhalten, dann wird es zu weniger Ungerechtigkeit, zu weniger Gewalt, zu weniger Krieg kommen. Doch leider gilt auch das Umgekehrte: Wenn einzelne oder Völker Vereinbarungen missachten, um ihre egoistischen Interessen durchzusetzen, kommt es zu schwerwiegenden Konflikten, schlimmstenfalls zu kriegerischer Gewalt. Wir spüren hoffentlich alle, dass das Grundgesetz für sich genommen ein Segen ist nicht nur für unser Land. Dass die Würde des Menschen unantastbar ist, dass die Persönlichkeitsrechte besondere Beachtung finden, dass Religions- und Meinungsfreiheit garantiert sind, dass wir mit so unterschiedlichen Menschen gleichberechtigt zusammenleben können und dass wir uns auf all diese Rechte berufen können, ist ein großes Glück. Aber wir wissen auch, wie schwer es ist, dies für alle Menschen zu garantieren. Wir wissen, wie schnell Regierungen, Institutionen und einzelne Bürger/innen dem nicht gerecht werden. Daraus kann ein Fluch werden – muss aber nicht. Denn die Gebote, das Grundgesetzbleiben bestehen, auch wenn dagegen verstoßen wird. Darum liegt der eigentliche Segen darin, dass wir nicht nur über die 10 Gebote verfügen, sondern über eine Verfassung, die uns ein demokratisches Zusammenleben ermöglicht.

Christian Wolff, Pfarrer i.R.
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