Motettenansprache

  • 25.06.2022
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette am Samstag, 25. Juni 2022

Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, 47 und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes; 48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. 49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. 50 Und seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen, die ihn fürchten. 51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. 52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. 53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. 54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, 55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.

 

Liebe Gemeinde,

wir haben gerade den Lobgesang der Maria gehört. Das sog. „Magnificat“, auf Deutsch „Meine Seele erhebt den Herrn“. Vielen ist dieser Lobgesang aus den Freitagsmotetten bekannt, wenn die Thomaner ihn in der gregorianischen Version singen. Seit Jahrhunderten im Vespergottesdienst Nachmittag/Abend, so auch heute. Im Mittelpunkt steht Maria. Die junge Maria. Die Jung-frau. Ich weiß, dass viele diesen Text mögen, das Magnificat. Aber dass sie mit Maria an der Stelle ihre Probleme bekommen, wenn es im Glaubensbekenntnis heißt: „Geboren von der Jungfrau Maria“ haben.  Einige sagen: Da habe ich nun gar keinen Zugang zu. Andere mögen grübeln: Na, es wird wohl irgendwie etwas Symbolisches sein, klar, schließlich hat man in der Antike vielen besonderen Menschen auch eine besondere Geburt zubilligen wollen, Alexander dem Großen z.B. - auch er ist der Überlieferung nach ein jungfräulicher Spross. Andere wissen um die innerbiblische Überlieferungsgeschichte vom Alten zum Neuen Testament. Mit dem damit einhergehenden Übergang aus der hebräischen zur griechischen Sprach-und Vorstellungswelt wurde aus der „jungen Frau“, hebräisch „Alma“, eine „Jungfrau“, griechisch „parthenos“. Trotzdem werden viele von uns heute sagen: Wenn dieser Satz „geboren von der Jungfrau Maria“ aus dem Glaubensbekenntnis gestrichen würde: Mir würde nichts fehlen. Aber genauso werden andere sagen: Mir ist das heilig, was da erzählt wird von Maria, es gehört für mich zu dem großen Geheimnis der Menschwerdung Gottes.

Vielleicht kann uns das „Magnificat“ allen etwas geben. Unzählige musikalische Vertonungen gibt es davon wie die vierstimmige Fassung von Heinrich Schütz, die wir eben gehört haben. Oder eben auch die Vertonung von Johann Sebastian Bach, die manche hier im Ohr haben dürften. Er legt dieses Lied wunderbar aus. Bei ihm ist es nämlich nicht nur ein Lied einer jungen Frau, einer Jungfrau, sondern ein Lied der Menschheit. Er beginnt mit der seinerzeit größtmöglichen Orchesterbesetzung und fügt dem sozusagen normalen vierstimmigen Gesang eine fünfte Stimme hinzu. Denn in dem, was in diesem Lied der Maria zur Sprache kommt, geht es über das Übliche hinaus – aber es ist dennoch eine Erfahrung, die wir alle machen können. Und die uns vielleicht einen neuen Blick auf dieses Symbol der Jungfrauengeburt verschaffen kann. Denn  Jungfrauen – das können wir alle werden. Wie bitte? „Wie soll das zugehen?“ Nun ja, genau mit dieser Frage hatte es bei Maria, auch angefangen, als der Engel ihr die Geburt ihres Sohnes angekündigt hat. In der mittelalterlichen Malerei ist oft dieses Wort aus dem Lukasevangelium „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären…“ als Spruchband dargestellt, das sich vom Mund des Engels in das Ohr der Maria hineinwindet. Maria hört den Engel. Sie glaubt ihm, sie nimmt seine Worte in sich auf und lässt das Gehörte in sich reifen. So wie es in der Weihnachtsgeschichte so wunderbar formuliert ist, die wir heute in sechs Monaten schon wieder hören werden: „Und Maria bewegte all diese Worte in ihrem Herzen.“ Die Jungfrauengeburt ist ein wunderbares Symbol für die Empfängnis des Wortes Gottes durch unser menschliches Ohr. „Der Glaube kommt aus dem Hören“, heißt es in einem der wichtigsten Worte des Apostels Paulus im Römerbrief. Dieses Wort will in uns Menschen eingehen und dort heranreifen. Neues, ganz Neues, kann in uns und durch uns Menschen geboren werden!

Versuchen wir doch mal, die jungfräuliche Geburt von jeglicher biologischen Verengung befreit zu betrachten. Und zwar ausgeweitet auf uns alle insoweit, dass jede und jeder etwas von Gott in sich aufnehmen kann, völlig egal, ob er oder sie Christ ist, Jude, Muslim, was auch immer. Dass jeder Mensch in der Lage ist, etwas von dem, das er als etwas Größeres als er selbst ist anerkennt, in sich heranreifen lassen und in Welt entlassen kann. Maria können wir dabei als Urmutter dessen verstehen, was sich ganz allein jeweils in uns abspielt - ohne Mitwirkung eines anderen: Sie hat ihr Ohr geöffnet, sie hat das Gehörte wahrgenommen. Und sie lässt es in sich bis zur Geburt des verheißenen Sohns heranwachsen und sich entwickeln. Glauben Sie, dass das möglich ist bei Ihnen – ob Sie an Gott glauben oder auch nicht? Kann das nicht ein gutes und schönes Bild sein dafür, dass sich unverhofft etwas in unserem Leben so verändern und erneuern kann, dass wir mit einem neuen, frischen Geist etwas neu beginnen können? Dass wir – Frauen und Männer – in bestimmter Weise neu und jungfräulich werden können? Ich hoffe es. Und dich denke, solche Hoffnung ist wichtig in einer Zeit, in der wir wenig Antworten haben auf die Frage, wie unsere Welte in wenigen Wochen aussehen wird. Da kann uns die Haltung der Maria nur helfen und zum Ausgangspunkt werden für unser Denken und Tun.

Maria, die junge Frau, eine wunderbare Figur in der Bibel, nicht nur für Katholiken. Sie nimmt ein Wort von Gott in sich auf, bewegt es in ihrem Herzen und bringt es so neu zur Welt, dass es die Kraft hat, diese Welt zu verändern. Vielleicht kann sie so auch ihren Skeptikern von Neuem etwas sagen. Amen.

Gebet

Unser Gott,

am Ende dieser Woche kommen wir zu Dir mit dem, was wir erlebt haben. Wir danken Dir für alles, was uns Mut gemacht und neue Kraft geschenkt hat. Und wir bringen vor Dich, was uns das Herz zerreißt: die Menschen in der Ukraine, die nach wie vor dem Terror eines Angriffskriegs ausgesetzt sind. Die Menschen in Afghanistan, die von dem schweren Erdbeben getroffen worden sind zusätzlich zu ihrem ohnehin schon schweren Leben. Wir bitten für alle, denen es mulmig wird beim Blick nach vorn und was auf unsere Welt und unsere Gesellschaft zukommt. Bitte erhalte uns den Blick der Maria, dass kein Ding bei Dir unmöglich ist. Und dass Du in jeden von uns das Vertrauen setzt, etwas von Deiner Liebe an diese Welt weiterzugeben. Darum bitten wir Dich mit Jesu Worten:

Vaterunser…

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org