Motettenansprache

  • 09.11.2019
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Am heutigen Gedenktag des Mauerfalls vor dreißig Jahren, liebe Motettengemeinde, können wir stolz sein auf die Menschen in unserem Land. Angst wurde überwunden; der sozialistischen Diktatur die Stirn geboten und das alles friedlich ohne Blutvergießen. Ein wahrlich besonderer Moment in unserer deutschen Geschichte.

Der Fall der Berliner Mauer war der vorläufige Höhepunkt der Friedensgebete und friedlichen Demonstrationen im Herbst 1989. Die Protagonisten von damals traten ein: „Für ein offnes Land mit freien Menschen“

Ein erster Teil ihrer Forderungen hatte sich erfüllt. Das Land war offen und die Menschen gingen in bis dahin ungekannter Offenheit aufeinander zu.

Mit dem heutigen Tag verbinde ich drei Sehnsüchte. 

 Die Sehnsucht nach Frieden

 Im Taumel der Maueröffnung und Wiedervereinigung verschwanden Ängste vor Krieg und militärischen Auseinandersetzungen. Hätte damals jemand gedacht, dass sie wiederkommen würden, dass Kriegsgefahr und Kriegslust zu ernsthaften Bedrohungen werden?

Auch die Sehnsucht nach Frieden und Abrüstung hat Menschen 1989 in Kirchen und auf Straßen getrieben.

Neben dem äußeren Frieden spielt ein anderer Friede eine ebenso große Rolle.

In Johann Sebastian Bachs Kantate

„Du Friedefürst, Herr Jesu Christ“ wird im Eingangschor besungen, worauf wir uns verlassen können. Jesus Christus ist die verbindende Brücke zwischen Menschen und Gott. Viele Titel und Bezeichnungen leiten sich aus dem ab, was Christus verkündigt und gelebt hat. „Friedefürst“ ist einer dieser Titel.

Er beschreibt, wie wichtig es ist, jemanden sowohl im Leben als auch im Tod zur Seite zu haben, der für Frieden sorgt. Dabei geht es nicht ausschließlich um den so wichtigen äußeren Frieden. Christus lädt zum inneren Frieden ein. Er lädt uns ein, mit sich und Gott ins Reine zu kommen. Dass ihm diese Einladung wirklich ernst ist, dafür verbürgt er sich mit seinem eigenen Leben. Angstfrei dürfen wir als Menschen auf unsere Beziehung zu Gott schauen. Denn er begegnet uns in Jesus Christus zu allererst als ein uns in Liebe zugewandter Gott und nicht als unbarmherziger Richter über unsere Schuldverstrickungen. Wenn nun Christus uns grundsätzlich wohlgesonnen ist, dann könnte das zu einem tiefen inneren Frieden führen. Aus solchem Frieden heraus, werde ich befähigt, selber friedlich zu wirken. Frieden stiften heißt nicht, Konflikte unter den Teppich zu kehren. Frieden stiften heißt vielmehr, sich aktiv dafür einzusetzen, dass Hass und Gewalt nicht zu bestimmenden Momenten im menschlichen Miteinander werden. Das fängt bei der Sprache an und hört beim Respekt gegenüber anderen Meinungen auf. Frieden stiften heißt auch nicht, alles tolerieren zu müssen. Wo Menschen anderen Menschen ihre Würde und ihre Rechte absprechen, weil sie sich anmaßen, Leben in Wertekategorien einzuteilen, braucht es besonders den christlichen Einspruch. Dass daraus auch Streit entstehen kann, mindert das Friedenstiften in keiner Weise.

Weil sie eine starke Antriebskraft ist, mögen wir uns die Sehnsucht nach Frieden erhalten.

 Die Sehnsucht nach Einheit

 Erkaltete Liebe mündet sehr schnell in Hass und daraus entsteht dann wiederum eine sehr verengte Sichtweise auf sich selbst. Egoismus führt zur Trennung von Werten, die einst lieb und wichtig waren. Mangelnde Bereitschaft, sich Fakten auszusetzen führt zur Abschottung in Echokammern. Lang ist in ihnen der Nachhall dessen, was ich schon immer selber sagte und gerne höre.

Die Erfahrungen von Unfreiheit und Trennung müssten uns doch eigentlich helfen, Trennendes überwinden zu können. Vor dreißig Jahren waren die runden Tische eine Möglichkeit der Kommunikation. Dort musste sich selbst bei konträrsten Positionen in die Augen geschaut und miteinander geredet werden.

Der gemeinsam gesungen Choral „Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen“ hat seine Bedeutung aus dem Herbst 1989 nicht eingebüßt. Vielmehr scheint es dringend geboten zu sein, darum zu bitten, dass wir als Volk und Gesellschaft geeint bleiben und als Kirche ebenfalls. Die Sehnsucht nach Einheit darf nicht verlöschen, weil sonst diejenigen die Spalten wollen, um Macht zu gewinnen, ein ganzes Volk erneut ins Unglück stürzen.

 Drittens: Die Sehnsucht nach Freiheit

 Groß war die Sehnsucht nach Freiheit vor dreißig Jahren. Und ich möchte behaupten, dass nur derjenige, der erzwungene Unfreiheit erfahren hat, wirklich zu schätzen weiß, welchen Wert Freiheit haben kann. Das soll kein Vorwurf sein an die glücklich in Freiheit Geborenen, vielmehr eine Mahnung, dass Freiheit niemals selbstverständlich ist. Wie schnell sie auch in einem freien Land verloren gehen kann, sehen wir dort, wo sich Menschen einlullen lassen von unhaltbaren Konsum- und Wohlstandsversprechen. Wie schnell Freiheit verloren gehen kann, sehen wir dort, wo lieber der Mund gehalten wird, um nicht anzuecken.

Wir dürfen heute frei sagen, was wir denken. Manche vergessen dabei leider nur, die Reihenfolge von sagen und denken.

Mit der errungenen Freiheit haben wir unendliche Möglichkeiten geschenkt bekommen. Nicht jeder will sie nutzen, weil der Nutzen von Freiheit anstrengend ist. Er ist es deshalb, weil Freiheit niemals alleine daherkommt. Und allen, die das uns versprechen, muss misstrauisch begegnet werden. Freiheit ist stets gepaart mit Verantwortung. Schauen wir heute zurück auf dreißig Jahre Freiheit in Deutschland, so müssen wir leider feststellen: Mit der Verantwortung ist es nicht so weit her. Lieber wird gemeckert und geschimpft auf „die da oben“. Mit jedem „Die da oben müssten doch mal“-Satz mache ich mich aber selber klein.

Nein, wir sind nicht die da unten, sondern haben die Gestaltung unseres Lebens in Gesellschaft und Gemeinde selber in der Hand. Und wenn uns etwas nicht passt, dann dürfen wir die friedlichen Möglichkeiten der Veränderung nutzen.

Das ist anstrengend. Viel anstrengender als zu jammern oder den politischen Rattenfängern hinterherzulaufen, die uns vorgaukeln wollen:

„Es wird alles gut, wenn du uns vertraust.

Selber denken brauchst du nicht mehr.

Das übernehmen wir für dich.“

Ganz im Gegenteil. Nichts wird gut, wenn wir nur Menschen und Parolen vertrauen, ohne zu hinterfragen.

Mögen wir die Anstrengungen der Freiheit nicht scheuen. Dafür bitten wir mit den Worten aus dem Schlusschoral der Kantate:

„Erleucht auch unser Sinn und Herz.“ Amen.

 

Gebet

 

Zur Freiheit hast Du uns befreit, Jesus Christus. Dafür danken wir dir und bitten dich um

-Mut, die uns bindenden Ketten nicht als gottgegeben hinzunehmen, sondern sie mit deiner Liebe zu sprengen.

-Klarheit, die uns stark macht, den Früchten des Hasses entgegenzuwirken.

-Kraft, denen beizustehen, die unter die Räder kommen, weil Gerechtigkeit auf sich warten lässt.

-inneren Frieden, der uns befähigt, selber zu Werkzeugen deines Friedens zu werden.

 

Vater unser….

 

Pfarrer Martin Hundertmark

hundertmark@thomaskirche.org