Motettenansprache

  • 04.12.2020
  • Pfarrer Martin Hundertmark

1. Nun komm, der Heiden Heiland,
der Jungfrauen Kind erkannt,
dass sich wunder alle Welt,
Gott solch Geburt ihm bestellt.

2. Er ging aus der Kammer sein,
dem königlichen Saal so rein,
Gott von Art und Mensch, ein Held;
sein' Weg er zu laufen eilt.

3. Sein Lauf kam vom Vater her
und kehrt wieder zum Vater,
fuhr hinunter zu der Höll
und wieder zu Gottes Stuhl.

4. Dein Krippen glänzt hell und klar,
die Nacht gibt ein neu Licht dar.
Dunkel muss nicht kommen drein,
der Glaub bleib immer im Schein.

 5. Lob sei Gott dem Vater g'tan;
Lob sei Gott seim ein'gen Sohn,
Lob sei Gott dem Heilgen Geist
immer und in Ewigkeit.

Text: Martin Luther 1524 nach dem Hymnus »Veni redemptor gentium« des Ambrosius von Mailand um 386

Melodie: Einsiedeln 12. Jh., Martin Luther 1524

Liebe Motettengemeinde,

reisen ist momentan etwas schwierig. Deshalb nehme ich Sie am heutigen Freitagabend mit auf eine geschichtliche Reise ins vierte Jahrhundert. Nein, nicht zur Heiligen Barbara, auch wenn sich das durchaus lohnen würde, sondern an das Ende des vierten Jahrhunderts. Wir schreiben das Jahr 381. Soeben einigten sich die theologisch verfeindeten kirchlichen Parteien auf einen Text. Er ist uns als niccänisches Glaubensbekenntnis bekannt. In die ganzen Diskussionen involviert war ein gewisser Ambrosius. Ambrosius lebte und lehrte als Bischof in Mailand. Dort ließ er Ende des 4. Jahrhunderts die später nach ihm benannte Kirche San Ambrogio bauen. Ungefähr im Jahre 386 verfasste Ambrosius ein Adventslied mit acht Strophen. Martin Luther übersetze sie vom Lateinischen in unsere Sprache. Unter dem Titel „Nun komm, der Heiden Heiland“ ist es ein beliebtes Adventslied geworden, wenngleich sein Text etwas sperrig ist. Aber das hat Theologie manchmal so an sich. Wer es leichter mag, muss zur Schlagerparade gehen.

Wir haben das Lied eben gemeinsam mit dem Thomanerchor gesungen. Worum geht es Ambrosius und Luther. Es geht ihnen ums Ganze. Es geht ihnen um Christus, der Mensch geworden ist, um uns Menschen zu erlösen und dabei aber seine Göttlichkeit nicht aufgegeben hat. Genau da lag lange Jahrzehnte der Streitpunkt. Ein gewisser Arius behauptete z. B., dass Christus nur das erste Geschöpf Gottes sei und nicht selber göttlich. Damit disqualifizierte er Christus nur zum Geschöpf. Sie merken schon, damit würde, hätte sich seine Theologie durchgesetzt, ein gutes Stück vom Weihnachtsgeschehen verlorengehen. Das Weihnachtsgeheimnis besteht doch unter anderem darin: „er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich erbarm“. Gott will in Jesus Christus Mensch werden, um uns zu erlösen. Dafür muss er vom Thron herabsteigen. Allein das ist schon ein großes Wunder. So wundert es nicht, wenn Ambrosius bzw. Luther in der ersten Strophe dichten: „dass sich wunder alle Welt, Gott solch Geburt ihm bestellt.“ Gewiss ist damit auch die Jungfrauengeburt gemeint als großartiges Glaubenssymbol für die Unverfügbarkeit Gottes. Sola Gratia – allein aus Gnade wendet sich Gott dem Menschen zu. Der Mensch kann für seine Erlösung nichts tun, kann sie sich weder erkaufen noch durch Fasten oder Gottesdienstbesuche verdienen. Gott handelt an uns Menschen, nimmt uns in seinen Dienst, so wie er das bei der jungen Frau Maria tut.

Nun wird das Geschehen beschrieben.

Es ist die Kosinuskurve der Christologie.

Aus dem königlichen Thronsaal des Himmels begann der Weg des Gottessohnes hinab auf die Erde. Das göttliche Wort wird Mensch, und uns damit gleich, ohne aber seine Göttlichkeit zu verlieren. Im menschlichen Jesus ist immer auch der göttliche Christus. Der menschliche Weg geht weiter, geht weiter hinab bis in Tod und Hölle. Ganz unten geschieht die österliche Umkehrung. Gott lässt Christus nicht in den Fängen des Todes. Christus aufersteht und steigt wieder hinauf zu Gott in den Thronsaal, dem Ursprungsort seines Seins.

Bei Ambrosius und Luther klingt das so:

„Sein Lauf kam vom Vater her und kehrt wieder zum Vater fuhr hinunter zu der Höll und wieder zu Gottes Stuhl.“

So richtig gut klingt das aber erst in Latein

„Egressus eius a patre

Regressus eius ad patrem

Excursus usque ad inferos

Recursus ad sedem dei.”

Liebe Gemeinde, wenn sie nach der Motette noch weitere Musik von Johann Sebastian Bach genießen wollen, empfehle ich die h-Moll Messe. Denn dort wird das theologische Thema vom göttlichen Christus und menschlichen Jesus auf unvergleichliche und unerreichte Weise von Bach musikalisch umgesetzt.

Mit der nächsten Strophe tauchen wir in die Advents- und Weihnachtszeit ein – zumindest auf den ersten Blick. Krippe, Licht, Dunkel – all das passt in diese Zeit. Aber: Wie konnte die Krippe, jenes grob zusammengezimmertes Holz glänzen? Sie glänzt nur im Auge des Glaubenden, der in ihr eben nicht die Armseligkeit sieht, sondern seine Zukunft und Hoffnung. In unsere Finsternisse des Herzens und der angefochtenen Seelen scheint das Licht Gottes durch Jesus Christus hinein. Damit befinden sich Ambrosius und Luther auf dem Boden der johanneischen Theologie, vom Licht, das in die Welt kam aber die Welt es nicht ergriffen hatte.

Liebe Motettengemeinde, es gibt viele lichtlose Momente. Besonders dunkel wird es dort, wo wir aus reinem Egoismus handeln und das auch noch als Freiheit verkaufen. Ganz finster ist es, wenn andere aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Liebe zueinander oder ihres Glaubens zu minderwertigen Menschen gemacht werden. Und erst recht wird es tiefdunkel, wenn diesbezüglich zu Gewalt aufgerufen wird.

„Dunkel muss nicht kommen drein, der Glaub bleib immer im Schein“ ist die hingebungsvolle Bitte des verunsicherten Menschen, in seiner Seelenfinsternis vom Lichte Gottes umfangen zu werden.

Mit Soli Deo Gloria beendet Bach bekanntlich seine Werke. Bei Luther ist es der trinitarische Lobpreis auf Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist, den er in der Schlussstrophe einfügt.

Eins fehlt noch – der Beginn.

Veni, redemptor gentium – sind die ersten Worte der Ambrosiusstrophe. Luther übersetzt das mit „Nun komm, der Heiden Heiland“. Es ist die Bitte, um Erlösung. Denn ein redemptor ist ein Erlöser.

Im biblischen Sinne, kam der Löser, um Menschen, die überschuldet waren aus ihrer Schuld herauszulösen. Der Erlöser wird also zum Befreier. Die Adventszeit bietet gute Gelegenheiten zum Nachdenken darüber, wovon wir uns befreien müssten? Was bindet uns hier? Was fesselt uns und macht uns unfrei?

Es sind nicht die Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie. Die Christologie fragt tiefer. Sie fragt danach, ob ich als Mensch bereit bin, mich auf diesen Christus einzulassen. Sie ermutigt zum Loslassen all dessen, was mich ausschließlich nur an mich selber bindet. Und sie möchte mir die Augen für meine eigene Bedürftigkeit öffnen, jenseits allen Schaffenswahns. Die Bitte, der Erlöser der Völker möge kommen ist zeitlos. Als wahrer Mensch und wahrer Gott hat er die Kraft, mich zu erlösen von allen lebensfeindlichen Kräften, die nur Unheil anrichten.

Liebe Motettengemeinde, nach so viel Theologie brauchen wir jetzt noch etwas fürs Herz.

Gleich schauen wir heimlich durch das Schlüsselloch in die musikalische Weihnachtsstube und hören die Klänge des Weihnachtsfestes. Sie mögen uns Hoffnung und Zuversicht geben in dieser schwierigen Zeit.

Auf dem Weg hin zur Krippe kommt uns Gott immer schon entgegen. Amen.