Motettenansprache

  • 19.06.2021
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Liebe Motettengemeinde,

das Verhältnis von Herrschenden zu den ihnen anvertrauten Menschen wird recht unterschiedlich wahrgenommen. Mal üben sie Macht aus, ohne dass selbige hinterfragt werden darf. Aus den vergangenen oder gegenwärtigen Diktaturen kennen wir welches Leid daraus hervorgeht – Unterdrückung, Verfolgung, Gefängnis und Tod für Andersdenkende oder Kritiker. Dann gibt es den König, der verantwortlich für seine Untertanen handelt, sie schützt und Sorge dafür trägt, dass sie leben können. In vom Volk gewählten Demokratien repräsentieren Politiker das Volk und treffen Entscheidungen, die ihm dienen sollen. Gleichermaßen müssen sie sich in bestimmten Zeitinterwallen dafür verantworten.

Für den heutigen Samstag finden wir zwei Verse aus dem Matthäusevangelium. Sie begleiten uns über den Tag. Dort heißt es im 20. Kapitel:

„Jesus Christus spricht: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener.“ Mt 20, 25-26

Herrscher tun ihren Völkern Gewalt an – so die Wahrnehmung des Evangelisten. Wer unter der pax romana sein Leben lebte, konnte durchaus besondere Erfahrungen machen, was es heißt, unter dem römischen Frieden leben zu müssen. Nicht immer lässt der Staat, der Frieden ausruft und Friedenssymbole sein eigen nennt, seine Bürger in Frieden ihr Leben eigenständig gestalten. Vor zwei Tagen jährte sich der Volksaufstand am 17. Juni zum 68. Mal. Mutige Männer und Frauen nahmen die ihnen vom Unrechtsstaat DDR aufoktroyierten Arbeits- und Lebensverhältnisse nicht mehr hin. Sie gingen auf die Straße für Freiheit und bessere Lebensbedingungen. Der Aufstand wurde mit Hilfe des kommunistischen großen Bruders aus der Sowjetunion blutig niedergeschlagen, Tausende verhaftet und verurteilt. Die politischen Rahmenbedingungen verschlechterten sich – an Pressefreiheit und frei Meinungsäußerung war nicht mehr zu denken. Mit der Religionsausübung sah es ähnlich aus. Vielmehr wurde den Kirchen durch das Unrechtsregime der Kampf angesagt, junge Gemeinden beschattet oder aufgelöst. Die Liste ist lang und es würde den zeitlichen Rahmen sprengen, hier jedem gerecht zu werden. Allzu schnell geraten die Opfer in Vergessenheit, weil sich Geschichte schön geredet wird oder sie sich in legendenhaften Erinnerungen ergießt.

Jesus Christus ermutigt uns zu einem neuen Zusammenleben. Er nimmt die staatlichen Verhältnisse nicht als Vorbild, sondern als Folie.

Seht, so gehen Herrscher mit ihrem Volk um. Bei euch aber soll es anders sein. Eine Eigenschaft des Zusammenlebens wird besonders in den Vordergrund gerückt: das Dienen!

Gemeint ist das freiwillige dienen, also wenn ich meine Zeit oder meine Kraft in den Dienst für Andere zur Verfügung stelle. Dienen heißt, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse nicht immer in den Vordergrund zu rücken, sondern zu fragen, was der Nächste braucht.

Am Lebens- und Leidensweg Jesu Christi wird deutlich, was das auch in aller Konsequenz heißen kann – Leid oder Nachteile auf sich zu nehmen. Antrieb für solches Dienen ist eine übergroße Liebe zum Menschen.

Ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein ist dem gleichgestellt. Ja, es gibt auch unter den Herrschenden oder Gewählten solch ein Verantwortungsbewusstsein. Die Maskenprofiteure der CDU zählen sicherlich nicht dazu, aber sie repräsentieren zum Glück auch nicht die Mehrheit. Wer alimentiert wird, wer Leistungen von wem auch immer bekommt, ganz gleich auf welcher Ebene, der ist in besonderer Weise dafür verantwortlich, wie er mit seiner Zeit oder Kraft nun umgeht. Und auch das lehren uns die biblischen Erzählungen des Matthäus:

Nicht alle sind gleich, nicht alles ist gleich und deshalb haben diejenigen mit mehr Energie oder größerem Vermögen mehr Verantwortung für andere als jene, die geradeso den Tag bestreiten können.

Es gibt zum Glück viele Beispiele für eine neue und bessere Form gemeinschaftlichen Lebens. Gewalt und Herrschsucht spielen dann keine Hauptrolle mehr, sondern das Fragen nach dem, was ich für meine Mitmenschen tun kann.

Liebe Motettengemeinde,

diese Frage, was kann ich für andere tun, wird in den nächsten Monaten zur Hauptfrage werden.

Und ich hoffe und wünsche uns, dass wir darauf die richtige Antwort finden werden.  Amen.