Motettenansprache

  • 11.09.2021
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Johann Sebastian Bach

Was Gott tut, das ist wohlgetan

Kantate BWV 99 zum 15. Sonntag nach Trinitatis (EA: 17.9.1724)

1. CHOR

Was Gott tut, das ist wohlgetan,

es bleibt gerecht sein Wille;

wie er fängt meine Sachen an,

will ich ihm halten stille.

Er ist mein Gott, · der in der Not

mich wohl weiß zu erhalten;

drum lass ich ihn nur walten.

2. RECITATIVO (BASSO)

Sein Wort der Wahrheit stehet fest

und wird mich nicht betrügen,

weil es die Gläubigen nicht fallen noch

verderben lässt.

Ja, weil es mich den Weg zum Leben führet,

so fasst mein Herze sich und lässet sich begnügen

an Gottes Vatertreu und Huld

und hat Geduld,

wenn mich ein Unfall rühret.

Gott kann mit seinen Allmachtshänden

mein Unglück wenden.

3. ARIA (TENORE)

Erschüttre dich nur nicht, verzagte Seele,

wenn dir der Kreuzeskelch so bitter schmeckt!

Gott ist dein weiser Arzt und Wundermann,

so dir kein tödlich Gift einschenken kann,

obgleich die Süßigkeit verborgen steckt.

4. RECITATIVO (ALTO)

Nun, der von Ewigkeit geschlossne Bund

bleibt meines Glaubens Grund.

Er spricht mit Zuversicht

im Tod und Leben:

Gott ist mein Licht,

ihm will ich mich ergeben.

Und haben alle Tage

gleich ihre eigne Plage,

doch auf das überstandne Leid,

wenn man genug geweinet,

kommt endlich die Errettungszeit,

da Gottes treuer Sinn erscheinet.

5. ARIA DUETTO (SOPRANO, ALTO)

Wenn des Kreuzes Bitterkeiten

mit des Fleisches Schwachheit streiten,

ist es dennoch wohlgetan.

Wer das Kreuz durch falschen Wahn

sich vor unerträglich schätzet,

wird auch künftig nicht ergötzet.

6. CHORAL

Was Gott tut, das ist wohlgetan,

dabei will ich verbleiben.

Es mag mich auf die rauhe Bahn

Not, Tod und Elend treiben,

so wird Gott mich · ganz väterlich

in seinen Armen halten;

drum lass ich ihn nur walten.

 

Bernd Franke (*14.01.1959, Weißenfels)

Noch bist du da (2021)

für vierstimmigen Knabenchor

Auftragswerk des THOMANERCHOR Leipzig zum Amtsantritt des neuen Thomaskantors Andreas Reized– dem Thomaskantor Andreas Reize und dem Thomanerchor herzlichst gewidmet–Uraufführung am 11.09.2021 in der Thomaskirche Leipzig–

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Zuversicht. 2. Timotheus 1:7

Wirf deine Angst in die Luft!

Bald ist deine Zeit um, bald wächst der Himmel, unter dem Gras, bald fallen deine Träume ins Nirgends.

Noch duftet die Nelke, singt die Drossel, noch darfst du lieben, Worte verschenken, noch bist du da. Sei was du bist, gib was du hast.Rose Ausländer

Darauf so sprech ich Amen, und zweifle nicht daran, und streck nun aus meine Hand. (EG 443, 7)

 

Liebe Thomasser, lieber Thomaskantor Andreas Reize, liebe Gemeinde,

so viel Neues heute! Für 18  neue Thomasser ist es die erste Motette in der Thomaskirche, auch für unseren frisch bestallten Thomaskantor! Nachher dann noch ein neues Werk für heute, eine Uraufführung, und ich bin – nicht neu, aber runderneuert. Immerhin! Von all dem her gilt für heute besonders, was an diesem Ort seit 810 Jahren geschieht: „Singet dem Herrn ein neues Lied“. Das kann man auch mal ganz wörtlich nehmen. Auch als Chorgemeinschaft erlebt Ihr Euch ziemlich neu, liebe Thomasser, denn auch die fünfte Klasse hat so eine Besetzung wie heute ja kaum erlebt in diesem - mit Verlaub - blöden Coronajahr. Möge das heute mit nahezu voller Besetzung ein gutes Zeichen sein, dass es weitergehen kann und dass Sie, Andreas Reize, dass Ihr alle Eure im Chorlager in Ochsenhausen so wunderbar begonnene Zusammenarbeit auch in diesem Rahmen und vielleicht noch größer fortsetzen könnt!

Dem Herrn ein neues Lied singen, ja, davon ist diese Motette geprägt, das Programm. Aber natürlich auch von den alten Liedern, die neu gesungen werden. Natürlich Bach. Seine Musik nutzt sich nie ab, seine Motetten und Kantaten bleiben immer neu. Mit den alten Texten, die uns oft erst mal fremd sind. Aber wo wir immer wieder merken: Sie betreffen uns - und sie treffen uns. Verbunden mit der Musik reden sie von uns und zu uns.

Gerade auch die heutige Kantate BWV 99 „Was Gott tut, das ist wohlgetan.“  Bach hat da etwas gemacht, was in seiner Zeit modern war, wenn nicht gar auch neu: Er nimmt ein altes Lied, einen bekannten Choral und interpretiert ihn neu. Und zwar so, dass ein Mensch darüber nachdenkt, was dieses alte Lied mit seinem Leben zu tun hat. Es ist jemand, der offensichtlich einiges hinter sich hat. Und es ist jemand, an dessen Geschick man sein eigenes Geschick spiegeln kann. Wir können heute neu an seine Stelle treten – und uns von seinen Erfahrungen tragen lassen. Trösten. Anregen. So heißt es im Eingangschor: “Er ist mein Gott, der in der Not mich wohl weiß zu erhalten, drum lass ich ihn nur walten.“ Und dann am Ende im Schlusschoral, den wir heute alle mitsingen dürfen, kommt dann auch noch die „rauhe Bahn“ dazu, auf die einen „Not, Tod und Elend treiben“ können. Die „rauhe Bahn“ - liebe vierte Klasse, das ist wie bei unserer Nachtwanderung letzte Woche in Ochsenhausen. Ihr habt Euch in gut und sicher gefühlt mit Euren lila-grün-roten Knicklichtern und in fröhlich schnatterndem Pulk. Aber dann kam der Moment, wo Ihr alles Licht ausmachen solltet und jeder sollte alleine auf schmalem Wege hineingehen in die Dunkelheit. Da war dann irgendwie Schluss mit lustig. Nein, nicht ganz. Andreas Reize ist vorangegangen. Und es war wirklich dunkel. Er war dann auch erst mal weg und ich hab gedacht, hoffentlich taucht er wieder auf, das wäre jetzt echt blöd. Er tauchte auf. Ihm könnt Ihr Euch wirklich anvertrauen. Auch das kann er sehr gut, den Fuß mutig auch in die Dunkelheit zu setzen. Das hat er wirklich hinlänglich bewiesen!

Und ja, genauso wie mit dem dunklen Waldweg ist das in dieser Kantate. Was dieser Mensch in alter Zeit erlebt hat und wir in neuer auch immer wieder, dass es diese Momente gibt: Man steht im Wald im Dunkeln und muss allein losgehen. Wie viel Lebenserfahrung ist hier in der Motette versammelt von Leuten, die das mindestens einmal in ihrem Leben erlebt haben: Dass sie nicht wussten, was kommt da, wenn ich gehe, werde ich hinfallen, oder wird es bald wieder hell, das wissen wir nicht am Anfang. Kein Wunder, dass der Tenor sich im dritten Satz der Kantate selbst Mut zusingt: „Erschüttere dich nur nicht, verzagte Seele, wenn dir der Kreuzeskelch so bitter schmeckt, Gott ist dein weiser Arzt und Wundermann, so dir kein tödlich Gift einschenken kann, obgleich die Süßigkeit verborgen steckt.“  Spricht Bach hier vielleicht selbst? Die erste Frau gestorben, von 20 Kindern gelangten nur 10 ins Erwachsenenalter und auch sonst gab es für ihn jede Menge Schwierigkeiten, die uns Heutige allein schon überfordern würden? Ich finde, man hört etwas von der Umsetzung der Schwierigkeiten in der Solo-Flötenpartie in diesem dritten Satz. Da ist man wahrscheinlich auch als Soloflöte des Gewandhausorchesters froh, wenn man den Part hinter sich hat!

Immer wieder finden wir dieses Schema in den Kantaten und wie gesagt, es ist auch immer wieder neu für uns, dass wir erst mal ratlos vor dem Weg im dunklen Wald stehen.  Was wird aus Afghanistan, aus den Menschen dort? Aus den Frauen, den Männern, den Kindern - heute am 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September bedrängt uns diese Frage immens. Was wird mit der Deltavariante und Corona überhaupt, sind wir schon halb durch den Wald durch oder kommt da noch die große Herbst-und Winterwanderrunde und wir sitzen hier bald wieder mit vielleicht nur 300 Leuten – wenn überhaupt?

Heute, wo so viel Neues ist, können wir auch von Neuem klar werden, was hier insbesondere in den Motetten in der Thomaskirche als gemeinsame Veranstaltung von Stadt und Kirche möglich ist. Alles was hier gesagt und gesungen wird, hat zwei Ziele, die untrennbar miteinander verbunden sind. Zum ersten: „Soli Deo Gloria“, wie Bach es unter seine Werke schrieb. „Allein Gott die Ehre“, damit klar ist: Nie hat menschliche Macht die letzte Macht. Und zum anderen: Dass wir uns immer wieder vergewissern lassen - auch wenn wir ratlos im Wald stehen ist der Grund schon da, der uns trägt und wir uns der Verzweiflung nicht hingeben müssen. Dass es erträglich bleiben kann, wenn wir mit Fuß nach diesem Grund tasten und dann neu weitergehen, immer weiter. Im Altrezitativ heißt es: “Nun, der von Ewigkeit geschlossne Bund bleibt meines Glaubens Grund.“

Es ist wichtig, dass wir uns daran Woche für Woche erinnern lassen. Da hat die Motette eine wichtige Aufgabe an den Menschen dieser Stadt und ihren Gästen zu erfüllen. Denn vielleicht haben wir Heutigen einen Nachteil gegenüber Bach und seiner Zeit. Wir hängen heute weitgehend einem „Lebensprogramm der Verfügbarmachung“ an. So hat das der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa bezeichnet. Wir meinen irgendwie, grundsätzlich ein Recht darauf zu haben, dass alles bei uns glatt läuft. Und dass das uns glücklich machen würde. Macht es aber nicht. Vielmehr kommt uns die Fähigkeit abhanden, im Wald zu stehen und trotzdem loszumarschieren. Und suchen eher Sündenböcke dafür, dass wir uns schon wieder in dieser Situation wieder finden. Die Anschläge vom 11. September 2001 waren da ja übrigens so etwas wie die  Initialzündung für Verschwörungstheorien, jedenfalls, dass sie so in die Mitte der Gesellschaft katapultiert wurden wie sie es heute sind. Was blühen da bis heute für Phantasiegeschichten...quasi die Vorläufer der heutigen Verschwörungstheorien. Tja, es ist so: Wer es nicht aushalten kann, dass es im Wald dunkel ist, klammert sich halt an sein kleines Knicklicht. Das ist aber nur ein bisschen bunt und taugt nicht als Licht in der Dunkelheit.

Bachs altes Lied setzt dem etwas entgegen. Und auch das neue von Bernd Franke: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zuversicht (oder der Besonnenheit)“. Das ist unsere Basis: Dass wir uns  von unseren Momenten der Furcht und Dunkelheit nicht im Letzten beeindrucken lassen müssen, sondern neu weitergehen. Und so heißt es weiter in diesem neuen Lied in Worten von Rose Ausländer: „Wirf deine Angst in die Luft! … bald fallen deine Träume ins Nirgends.“ Aber es gilt: „Noch duftet die Nelke, singt die Drossel, noch darfst du lieben, Worte verschenken, noch bist du da. Sei, was du bist, gib, was Du hast.

Das, liebe Thomasser, lieber Andreas Reize, das wünsche ich Euch, dass Ihr das mit Gottes Hilfe tun könnt. Immer wieder von neuem. Auch und gerade dann,  wenn einem eher nach Pfeifen im Walde zumute ist. Verschenkt Worte und Musik, alte Lieder und neue. Gott segne Euren Dienst an uns. Amen.

Pfarrerin Britta Taddiken