Motettenansprache

  • 04.05.2024
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Ansprache zur Motette am 4. Mai 2024 BWV 86

Liebe Gemeinde, liebe Thomasser,

„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“ ist ein uns allen geläufiges Sprichwort. Mir ist es seit Kindertagen vertraut. Besonders wenn meine gut durchdachten Ausreden, warum es heute gerade nichts wird mit dem Aufräumen des Zimmers, zum Erfolg führten, kam als Antwort „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“ Ich kam also aus der Sache also nicht raus.

Die Tenorarie unserer heutigen Kantate „Wahrlich, wahrlich ich sage euch“ greift das Sprichwort auf und setzt es in Bezug zu Gott. Doch dazu später mehr.

Denn wir schauen zunächst auf die Freunde Jesu. Seine Jünger wollten es schlicht nicht wahrhaben. Er eröffnet ihnen: Unsere gemeinsame Zeit wird in Kürze zu Ende gehen. Johannes, der Evangelist, hat das meisterhaft in seinem Evangelium zum Thema gemacht. Mehre Kapitel widmet er den Abschiedsreden Jesu. Gleichsam testamentarisch gibt Jesus seinen Jüngern Worte mit auf den Weg. Worte, die Orientierung geben mögen. Eine Ahnung davon, wie es weitergehen wird ohne ihren Meister und Freund haben seine Getreuen nicht. So wechseln sich Traurigkeit darüber, dass er bald weg sein wird, immer wieder ab mit der Freude, dass ihnen noch gemeinsame Zeit geschenkt ist. Aber die bange Frage:

Was wird werden? steht immer im Raum.

Ist es zu banal, den fragenden und unsicheren Freunden mit auf den Weg zu geben: Alles wird gut werden, vom Ende her betrachtet?

Es kommt darauf an, wer solche Worte sagt.

Schauen wir uns momentan in den Städten um, begegnen uns vielerlei Versprechen im Sinne eines „Alles wird gut werden“ unter einer Bedingung natürlich: Wenn ihr mich wählt.

Das lustigste Plakat begegnete mir am Mittwoch bei einer Radtour. Da stand als Versprechen:

„Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit.“

Das hat mich sehr an meine Abiturzeit erinnert. Da hatte ich mir auch immer gewünscht, weiterhin Party zu machen und gleichzeitig ohne zusätzlichen Aufwand in Mathematik eine bessere Note zu bekommen.

Wie dem auch sei, liebe Motettengemeinde.

Wir sehen gerade sehr plakativ, wie mit Versprechen versucht wird, Menschen für sich zu gewinnen. Die einen versprechen das Paradies auf Erden, die anderen ziehen sich den Schafspelz übers schwarz-braune Gesinnungsgewand und wollen als Alternative das Land ruinieren. Und wiederum andere versprechen alles besser zu machen, obwohl sie schon seit vielen Jahren an der Macht sind. Was mir bisher noch nicht begegnet ist, sind realistische Versprechungen im Sinne von: Verzichtet auf einen Teil eures Wohlstandes zugunsten eurer Kinder und Enkel oder: Sicherheit gibt es nicht ohne Kosten oder etwa: Denkt nicht nur an euch selbst.

Vielleicht sind wir nicht so affin für realistische Angebote und Versprechungen. Damit, liebe Motettengemeinde, befinden wir uns auf einer Stufe mit den Jüngern und Freunden Jesu, als er ihnen Versprechungen macht. Denn sie wollten nicht wahrhaben, was Jesus zu sagen hatte. Und schon gar nicht wollten sie, dass die wunderschöne Gegenwart in Gemeinschaft sich verändert.

Alles wird gut werden!

Aus dem Munde Jesu klingen die Worte wie eine Verheißung. Unmittelbar stehen seine Trostworte dadurch im großen Zusammenhang der Geschichte zwischen Gott und seinem Volk.

Gott hilft gewiss! Das ist keine Vertröstung, sondern eine Glaubenserfahrung vieler Generationen vor uns. Deshalb gibt es die Ermutigung, sich im Gebet an ihn zu wenden.

 

Gott macht es nicht gleichwie die Welt

Der fundamentale Unterschied zwischen dem, was menschliches Tun hervorbringt und dem, was göttliche Verheißung ist, besteht darin, dass sich letztere nicht an irgendwelche Meinungen anpasst. Gott muss nicht wiedergewählt werden.

Vielmehr erwählt er sich seine Kinder zu seinem Volk. Leere Versprechungen gibt es von Menschen zur Genüge – siehe die vorhin erwähnten Wahlplakate.

Jede und jeder mag sich aber auch selber fragen, wie schnell Versprechungen über die Lippen kommen und wie oft es nur Worte ohne Entsprechung gewesen sind. "Ich habe heute Zeit für dich", sagt der Vater zum Kind, "lass uns was gemeinsam spielen", um dann kurz vor dem ausgemachten Termin aus dem Büro anzurufen, dass er leider später nach Hause kommt.

Versprechungen haben trotz, dass sie gebrochen werden, eine hohe Anziehungskraft. Denn das Kind wird auch beim nächsten und übernächsten Mal voller Freude auf den Vater warten. Werden die Enttäuschungen jedoch dauerhaft, wird die Beziehung Schaden nehmen.

In all dem Versprechungswirrwar unserer Zeit, suchen wir Orientierung, die länger trägt als eine Wahlperiode.

Als Christen ist es unsere Aufgabe, Jesu Werte aus den Abschiedsreden zu leben. Dazu zählt neben dem Liebesgebot auch das Schauen über die eigenen Grenzen.

Wo rassistische und antisemitische Ressentiments bedient werden, braucht es  das klare Nein! Wir stehen dafür ein, dass unseren Mitmenschen das Gebot der Nächstenliebe gilt, wenn sie Hilfe brauchen, ob nun in der Ukraine oder in Israel oder direkt vor der Tür in der eigenen Stadt.

"In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost,

ich habe die Welt überwunden."  

Jesus Christus verheißt seiner Gemeinde, dass er ihr Vertrauen nicht leichtfertig verspielt.

Durch Gottes Kraft, im Johannesevangelium, Tröster genannt, bekommt das eigene Tun eine Quelle, aus der unendlich geschöpft werden kann. Damit steht Jesus Christus in der Reihe der Gottesverheißungen, die über Jahrtausende hinweg, Menschen immer wieder als Leitfaden für ihr Leben dienten.

Das Handeln Gottes zeichnet sich gerade dadurch aus, dass seine Verheißungen erfüllt werden. Dabei werden nicht immer unsere menschlichen Zeitmaßstäbe prägend sein. Aufgeschoben ist auch bei Gott nicht aufgehoben, wie uns die Tenorstimme gleich singen wird.

Der von Jesus Christus verheißene Tröster befähigt uns, Gott zu bitten im Namen Jesu für das, was wir jetzt brauchen - Kraft und Zuversicht ob einer ungewissen Zukunft.

Mut und Stärke, sich nicht von Irrungen und Wirrungen einer Welt, die ihren Fixpunkt sucht, durcheinanderbringen zu lassen. Und vor allem die Liebe Gottes, welche gelebt werden will.

So können Angst, Hass und Gewalt, Perspektivlosigkeit oder Enttäuschung und so mache Seelennot überwunden werden. Dafür braucht es Menschen, die aus ihrem Glauben heraus, Gottes Liebe leben wollen.

Amen.

 

Gebet

Barmherziger Vater im Himmel,

wir liegen vor Dir mit dem, was uns in dieser Woche bewegt hat. Nimm das Belastende von uns. Stärke uns mit Zuversicht für alle vor uns liegenden Aufgaben. Rüste uns aus mit deiner Kraft. Öffne Augen und Hände zur tätigen Hilfe.

Wir rufen zu dir mit den Worten deines Sohnes Jesus Christus.

 

Lesung

22 Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.

23 An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.

24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.

25 Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater.

26 An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will;

27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.

28 Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.