Motettenansprache

  • 12.01.2024
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Motettenansprache am 12.1.2024 – Jesu, meine Freude BWV 227, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr

 

Liebe Motettengemeinde,

 

Das muss mir mal einer erklären: Da solidarisieren sich heute die aufgeweckten Menschen von Fridays for Future bei ihrer Demonstration um den Leipziger Ring mit den Bauern, welche dafür demonstrieren, dass der klimaschädliche Agrardiesel weiter subventioniert wird.

Das ist ja in etwa so, rein theoretisch natürlich, als würde man in Leipzig pauschal gegen Autos wettern und gleichzeitig die Steuermillionen des Autobauers für eigene städtische Lieblingsprojekte verwenden.

Wir brauchen mehr Ehrlichkeit, liebe Motettengemeinde. Denn an unserer Unglaubwürdigkeit zerbricht in unserer Gesellschaft allmählich der Zusammenhalt. Und das ist nicht gut, weil somit Extremisten gestärkt werden. Wir brauchen neben Ehrlichkeit und glaubwürdigem Handeln wieder mehr Konsens in unserer Gesellschaft.

Natürlich ist es legal, dass eine kleine Minderheit von noch nicht einmal zehntausend Lokführern für mehr Wohlstand streikt. Aber ist es auch legitim? Ist es legitim, neben 555 € pauschal mehr Lohn im Monat + Inflationsausgleichszahlung von 3000 € auch noch eine Absenkung der Arbeitszeit ohne Lohnkürzung zu fordern und dafür das ganze Land lahmzulegen? Ist es verhältnismäßig Partikularinteressen gegen eine ganze Gesellschaft durchzusetzen, nur weil man es kann? Mag sein, dass es kurzfristigen Erfolg gibt. Langfristig schadet ein solches Herangehen unserer Gesellschaft und unserem Zusammenleben und letztlich auch unserer Demokratie.

Wir müssen wegkommen vom lauten Geschrei und großen Getöse oder den jammerlichen „Ich-werde-benachteiligt-Rufen“ mit immer dem gleichen Inhalt: Was müssen andere tun, damit es mir gut geht?

Wir brauchen eine Anpackermentalität, die bedeutet, dass sich jede und jeder Einzelne fragt, was kann ich selbst Sinnvolles für eine gutes, für ein friedliches, ein fröhliches und einander tragendes Zusammenleben beitragen?

Wir brauchen Transformation, auch und besonders im Verkehrssektor.

Als christliche Gemeinschaft können wir auch gar nicht anders, als dass wir uns für Gerechtigkeit, für Frieden und für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen.

Denn das ist der sich aus der Bibel ergebende Schöpfungsauftrag Gottes an uns Menschen.

Wir brauchen Transformation, liebe Motettengemeinde. Um sie zu erreichen, stellt sich die Frage, von welchem Geist wir uns leiten lassen, damit möglichst alle mitgenommen werden auf den Pfad der Erneuerung hin zu einer Gesellschaft, in der auch noch unsere Kinder und Enkel leben können.

 

In der Motette „Jesu, meine Freude“ wird der Choral von Johann Franck mit paulinischen Versen des Römerbriefes verknüpft. Geist und Fleisch stehen sich gegenüber als zwei um uns Menschen ringende Kräfte. Sie wollen unser Leben beeinflussen und bestimmen.

Textdichter und Komponist ermutigen uns, sich vom lebendigen Geist leiten zu lassen.

Johann Franck und Johann Crüger arbeiteten mit dem Erfahrungshorizont eines dreißig Jahre andauernden schrecklichen Krieges, in dem Menschen jeglichen moralischen Kompass verloren hatten. Vielleicht war es jener dunkle Hintergrund, auf dem der Trost des Liedes besonders hell leuchten konnte.

Und Johann Sebastian Bach vermochte es, diesem Trost durch Musik und das Einflechten der Römerbriefverse zu verstärken.

Niemals dürfen die todbringenden egoistischen Geister das Leben von uns Menschen bestimmen. Dafür lohnt es sich einzusetzen und im äußersten Fall sogar Leid auf sich zu nehmen. Lügen, Diktatoren, Unterdrücker dürfen nicht gewinnen. Das gilt im Kleinen wie im Großen.

 

 

 

Welcher Geist leitet uns, liebe Motettengemeinde?

Ist es der auf Gemeinsinn ausgerichtete Geist des Lebens, von dem Jesus Christus erzählte und den der Apostel Paulus theologisch im Römerbrief reflektiert hat oder ist es der Geist des Fleisches, verhaftet in alten Mustern und verhaftet in Gottesferne?

Ohne die Erneuerung unserer Sinne, bleibt ein Leben als Christin oder Christ sinnentleert, erst recht dort, wo wir ausschließlich unter uns sein und bleiben wollen. So schön geistliche Konzerte, vorzügliche Motetten oder fulminante Kantatengottesdienste sind, dienen sie nicht zur Stärkung, um im Alltag glaubwürdig Christsein zu leben, werden sie letztlich nur Selbstzweck. Evangelium in Wort und Musik will trösten und stärken, will immunisieren gegen das Gift des Egoismus und will sensibilisieren für die richtige Antwort auf die Frage: Was kann ich für andere tun?

Wer diese Frage anders beantworte als mit dem Wort „nichts“, wird anecken und sich die ein oder andere Blessur abholen. Deshalb ist es wichtig, zu spüren, dass Jesus trotz allem Leide, meine Freude bleibt.

An zwei Aufgaben christlicher Gemeinde sei zu Beginn des Jahres erinnert.

Einmal hat sie die Aufgabe, mahnend, ohne überheblichen, moralischen Impetus, daran zu erinnern, dass uns die Lebensgrundlagen geliehen und wir niemals Besitzer sind.

Die andere Aufgabe ist, Freude zu verkünden, weil die Freude über durch Christus geschenkte Liebe Gottes in uns wohnt.

Ja, sie schlummert manchmal, diese christliche Freude. Wecken wir sie auf und singen. Amen.

Gebet

 

Barmherziger Vater im Himmel,

wir liegen vor Dir mit dem, was uns in dieser Woche bewegt hat und bitten dich:

 

Sei bei allen denen, die ihre Lebensfreude verloren haben, weil Sorgen und Nöte sie niederdrücken.

Stärke du, wo Hoffnung nur schwer zu erkennen ist.

Mache uns bereit für Veränderungen, wo sich verfestigt hat, was dem Leben nicht dient.

Du hast verheißen, dass der glimmende Docht nicht ausgelöscht werden wird und das geknickte Rohr nicht zerbrochen wird.

Darauf wollen wir vertrauen durch Jesus Christus, in dessen Namen wir zu dir rufen: Vater unser im Himmel…

 

Pfarrer Martin Hundertmark

hundertmark@thomaskirche.org