Motettenansprache

  • 03.02.2017
  • Pfarrerin Taddiken

Johann Sebastian Bach Singet dem Herrn ein neues Lied
Motette BWV 225 für zwei vierstimmige Chöre und Continuo (EA: ~1726/27)

Singet dem Herrn ein neues Lied, die Gemeine der Heiligen sollen ihn loben. Israel freue sich des, der ihn gemacht hat. Die Kinder Zions sei'n fröhlich über ihrem Könige, sie sollen loben seinen Namen im Reihen; mit Pauken und mit Harfen sollen sie ihm spielen. Psalm 149:1-3

CHORAL Wie sich ein Vat'r erbarmet üb'r seine junge Kinderlein, so tut der Herr uns allen, so wir ihn kindlich fürchten rein. Er kennt das arm Gemächte, Gott weiß, wir sind nur Staub, gleichwie das Gras vom Rechen, ein Blum und fallend Laub. Der Wind nur drüber wehet, so ist es nicht mehr da, also der Mensch vergehet, sein End das ist ihm nah. Johann Gramann, 1530

ARIA Gott, nimm dich ferner unser an, denn ohne dich ist nichts getan mit allen unsern Sachen. Drum sei du unser Schirm und Licht, und trüg uns unsre Hoffnung nicht, so wirst du's ferner machen. Wohl dem, der sich nur steif und fest auf dich und deine Huld verläßt. Verfasser unbekannt Lobet den Herrn in seinen Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit! Alles, was Odem hat, lobe den Herrn, Halleluja! Psalm 150:2, 6

Liebe Gemeinde,
gestern haben wir den Weihnachtsstern hier in der Thomaskirche herunter genommen. Bis zum 2. Februar geht die Weihnachtszeit, bis zum Festtag der Darstellung Jesu im Tempel. So war es religiöser Brauch: der Erstgeborene wird Gott im Tempel 40 Tage nach seiner Geburt vorgestellt. Auf einem der Bilder in unserer Kirche ist das zu sehen. Und damit schließt sich der Kreis all der biblischen Texte und Lieder seit dem Heiligabend in denen die weihnachtliche Botschaft immer tiefer hineindringt in diese Welt, mitten hinein in unser Leben auf allen Ebenen: Euch ist heute der Heiland geboren, fürchtet Euch nicht. Und in der Tat - wo Menschen dieser Ruf ereilt und sie diese Furchtlosigkeit als größte Stärke ihres Herzens begreifen, da geht der Stern des Himmels über ihnen auf. Sie sind den dunklen Mächten dieser Welt nicht hilflos ausgeliefert. So wie die drei Weisen, die an der Krippe tiefe Freude spüren über diesen neugeborenen König der Welt. Und auf einem anderen, neuen Weg zurück gingen und den ob seines drohenden Machtverlusts tobenden König Herodes einfach hinter sich ließen. An der Krippe haben sie etwas Neues und Entscheidendes für ihr Leben gewonnen - und das macht sie frei, frei zu gehen und zu leben.

Von dieser Geschichte spannt sich zu Johann Sebastian Bachs Motette „Singet dem Herrn" durchaus ein nachweihnachtlicher Bogen. Die Motette wurde wohl als festliches Neujahrspreislied nach dem Abschluss des Dresdner Friedens 1745 geschrieben worden, So, wie in den Weisen alle Welt zur Krippe kommt, endet sie gewissermaßen universal: „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn" - Alles. Alle Völker finden im Lob Gottes zusammen. Bachs Motette lässt etwas von der Erleichterung und dem Jubel darüber hören, dass sich die kriegführenden Parteien im zweiten Schlesischen Krieg auf einen Frieden verständigen können, der die gebeutelten Menschen aufatmen und ein neues Lied singen lässt.
Furcht und Schrecken sind gewichen, Neues kann werden, wo Menschen ihre Furcht voreinander ablegen und versuchen, sich trotz und gerade in ihrer Unterschiedlichkeit als „Kinder Zions" zu begreifen und wie die drei Weisen „fröhlich über ihrem Könige" zu sein. So heißt es gleich zu Beginn in der ersten Chorfuge. Fröhlich zu sein als Kinder eines Gottes, eines Schöpfers und zu verstehen, von ihm geht der Friede aus - das ist für Christen, Juden, Muslime und andere die Grundlage für ein Miteinander in versöhnter Verschiedenheit. Ist Grundlage, immer wieder neue Wege zueinander zu suchen - und auch zu finden an den tobenden Herodessen aller Zeiten vorbei. Ob Bach die beiden nunmehr Friedensparteien des zweiten schlesischen Krieges im Hinterkopf hatte bei der Komposition seiner Motette? Zumindest ist es wunderbar, die sich immer wieder findende Linie im Gewirr der Sprachen und Stimmen des ersten Satzes zu verfolgen, die sich im anschließenden Choral in den sich ablösenden und einander immer wieder aufnehmenden Chorpassagen fortsetzt und am Ende in das eine Fugenthema übergeht, in das beide Chöre gemeinsam einstimmen. So kommen die verschiedenen Stimmen zusammen und vereinigen sich zu einem kraftvollen Miteinander.

Zueinander finden wollen, an Wegen der Verständigung arbeiten - vor dieser Aufgabe, stehen wir immer wieder, wenn wir einigermaßen friedlich miteinander leben wollen. Unsere Kräfte zu bündeln, unsere Fähigkeiten miteinander zu verbinden, um für ein friedliches Miteinander über Kultur-und Sprachgrenzen hinweg zu arbeiten. Den Mut zu beweisen, die existierenden Vorbehalte zurückzustellen und nicht auf Ab-und Ausgrenzung zu setzen. Zu widerstehen, wo damit Politik gemacht wird. Wo in der Geschichte der Menschheit Furcht, Schrecken und Spaltung zum Prinzip politischen Handelns erhoben wurden, hat die Menschheit am Ende immer wieder am Rande des Abgrunds gestanden oder hat sich gar in ihm wiedergefunden. Mit diesem alten Lied von Hass und Gewalt wird es nichts - leider aber stimmen es viele immer wieder an. Das neue Lied geht anders und wir hören es heute in Bachs Motette: die Vielstimmigkeit und Vielfalt macht diese Musik groß und schön - und die Freude daran, sich als Kind Gottes zu verstehen mit allem, ja allem, was Odem hat.
Amen.

Gebet
Unser Gott, am Ende der Weihnachtszeit kommen wir zusammen und bitten um Dein Geleit und Deinen Segen. Hilf uns, miteinander in Frieden zu leben und einander in unserer Unterschiedlichkeit zu achten und zu respektieren. Nimm von uns, was uns von anderen trennt, gib uns den Mut aufeinander zuzugehen auch über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg. Du bist Mensch geworden zu Weihnachten, damit auch wir neue Wege zu den Menschen finden. Hilf uns, denen beizustehen, die unseren Schutz und unsere Hilfe brauchen: den Kindern in aller Welt, den Menschen, die auf der Flucht sind vor Krieg und Terror, und denen, die sich um ihre Zukunft sorgen. Für sie und uns alle bitten wir Dich mit Jesu Worten: Vaterunser...

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org