Motettenansprache

  • 05.02.2022
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette am Samstag, 5. Februar 2022

Johann Sebastian Bach

Wär Gott nicht mit uns diese Zeit (BWV 14)

1. Coro
Corno da caccia e Oboe I/II all' unisono, Violino I/II, Viola, Continuo

Wär Gott nicht mit uns diese Zeit,
So soll Israel sagen,
Wär Gott nicht mit uns diese Zeit,
Wir hätten müssen verzagen,
Die so ein armes Häuflein sind,
Veracht' von so viel Menschenkind,
Die an uns setzen alle.

 

 

2. Aria S
Corno da caccia, Violino I/II, Viola, Continuo

Unsre Stärke heißt zu schwach,
Unserm Feind zu widerstehen.
    Stünd uns nicht der Höchste bei,
    Würd uns ihre Tyrannei
    Bald bis an das Leben gehen.

 

 

3. Recitativo T
Continuo

Ja, hätt es Gott nur zugegeben,
Wir wären längst nicht mehr am Leben,
Sie rissen uns aus Rachgier hin,
So zornig ist auf uns ihr Sinn.
Es hätt uns ihre Wut
Wie eine wilde Flut
Und als beschäumte Wasser überschwemmet,
Und niemand hätte die Gewalt gehemmet.

 

 

4. Aria B
Oboe I/II, Continuo

Gott, bei deinem starken Schützen
Sind wir vor den Feinden frei.
Wenn sie sich als wilde Wellen
Uns aus Grimm entgegenstellen,
Stehn uns deine Hände bei.

 

 

5. Choral
Corno da caccia e Oboe I/II e Violino I col Soprano, Violino II coll' Alto, Viola col Tenore, Continuo

Gott Lob und Dank, der nicht zugab,
Dass ihr Schlund uns möcht fangen.
Wie ein Vogel des Stricks kömmt ab,
Ist unsre Seel entgangen:
Strick ist entzwei, und wir sind frei;
Des Herren Name steht uns bei,
Des Gottes Himmels und Erden.

 

Und alsbald drängte Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen, denn der Wind stand ihm entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und als ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: „Es ist ein Gespenst!“ Und sie schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: „Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!“ Petrus aber antwortete ihm und sprach: „Herr, bist Du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.“ Und er sprach: „Komm her!“ Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: „Herr, rette mich!“ Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!“

(Matthäus 14,22-32, Evangelium für den vierten Sonntag vor der Passionszeit)

 

Liebe Motettengemeinde,

wir haben die Geschichte von Jesus und dem sinkenden Petrus auf dem Meer eben gehört. Schon für den Evangelisten Matthäus erschöpft sich ihre Wahrheit nicht in der Frage nach ihrer Faktizität. Diese Geschichte will von Anfang an eines: Glauben wecken. Und Orientierung schenken in dem, wie wir sie erleben: die zerstörerischen Kräfte, die in unser Leben einbrechen. Wie Sturm und Wellen. Wir reden ja bei Corona von „Wellen“. Erste bis vierte Welle bisher, jetzt gerade die Omikron-Welle. Das kommt nicht von ungefähr. Das Meer mit seiner Kraft wird in zahlreichen Kulturen als Ur-Bedrohung, als Urgefährdung des Menschen erlebt. Wo wir merken – hier haben wir absolut keine Kontrolle mehr. Und hoffentlich hält die Nussschale, in der wir sitzen. Was gilt denn eigentlich noch? Was kommt da auf uns zu? Wohin steuert mein Lebensschifflein, wohin steuert das Schiff Europa, unsere Welt?

Ja, man kann sich in den letzten Wochen und Monaten schon vorkommen wie in einem Sturm. Wie die Jünger, die merken: Wir können das Chaos nicht mehr mit den Mitteln des eigenen Willens bewältigen. Und je weiter sie sich in ihre Panik hineinsteigern, desto so mehr passiert’s: Die rettende Möglichkeit, die rettende Kraft - sie wird nicht gesehen. Im Gegenteil, sie kommt einem noch als eine zusätzliche Bedrohung vor. Wer den Kopf nicht mehr freikriegt, kann durchaus Gespenster sehen. Hier bei den Jüngern in der Geschichte ist jedenfalls der Moment beschrieben, wo es einem verschwimmt, wo man nicht mehr unterscheiden kann zwischen Hilfe oder Bedrohung. Und so schreien sie vor Furcht.

Aber immerhin! Der Schrecken wird laut. Er kann gehört werden und er wird gehört. Denn es heißt: Sogleich redete Jesus mit ihnen. Wenn sie im Moment nicht sehen können, dann können sie vielleicht das: hören. Hören auf den Satz, der so und in Abwandlung nicht von ungefähr 365 x in der ganzen Bibel vorkommt, weil wir es nötig haben, ihn jeden Tag neu zu hören: „Fürchtet Euch nicht. Seid getrost, ich bin‘s.“Jedenfalls ist es dieses „Ich bin’s“, das nun den Jünger Petrus ermutigt, die letzte vermeintliche Sicherheit seiner kleine Nussschale zu verlassen. Auch wenn er sich noch nicht ganz sicher ist über diese Gestalt: Er hört auf, sich als Opfer der Verhältnisse zu fühlen. Und lässt sich nicht von den Gespenstern leiten, die er zu sehen glaubt. Er wagt sich heraus aus auf’s Wasser. Nimmt einen Weg, den er noch nie begangen hat. Nur im Vertrauen, es kann werden… Und entdeckt: Er kann auf seinen Ängsten gehen. Er kann sie unter sich lassen. Kann sie beherrschen - und nicht sie ihn.

Das ist der entscheidende Punkt in dieser Geschichte: Es geht um diese Schritte, die Petrus geht. Es geht um diese Schritte, die er auf diesen bedrohlichen Wellen schafft. Deswegen ist die Geschichte bis heute weitererzählt worden. Wegen dieser vielleicht noch wenigen Schritte auf dem Wasser. Eigentlich müsste sie heißen: „Jesus und der gehende Petrus auf dem Meer“. Wir sind hier im Zentrum dieser Geschichte, bei ihrer zentralen theologischen Aussage: Je mehr du dich einlässt auf Jesus, desto eher vollzieht sich sein Leben an dir selbst. Das ist das Verhältnis von Geschichte und Offenbarung. Du kannst die Wirklichkeit Jesu nicht nach rückwärts suchen, sondern vielmehr nur nach vorne. Du kannst nur nach vorne leben. Indem du zugehst auf die Lösung der Probleme. Und im Zugriff auf das, woran Du Dich orientieren kannst im Getöse oder wenn zu viele Leute zu viele Gespenster sehen und Du selbst vielleicht auch.

Die ganze Kantate, die wir gleich hören, ist davon geprägt. Hier hören wir Menschen, an denen der Sturm rüttelt und zerrt. Der Wind steht ihnen entgegen. Da ist von „wilden Wellen“ und „beschäumten Wasser“ die Rede. „Wär Gott nicht mit uns diese Zeit, wir hätten müssen verzagen.“ In der Tat. Davon weiß die Kantate, diese Gewissheit macht sie zur musikalischen Predigt mit dem Fazit des Schlusschorals: “Gott Lob und Dank, der nicht zugab, dass ihr Schlund uns möchte fangen. Wie ein Vogel des Stricks kömmt ab, ist unsere Seel entgangen: Strick ist entzwei und wir sind frei…“.

 

Wir beten:

Unser Gott, wir bitten Dich: In den Stürmen unseres Lebens – steh uns bei. Schenk uns offene Sinne dafür, was uns darin guttut und wo sich Hilfe abzeichnet. Hilf uns, dass wir uns nie mit der Rolle Opfer zu sein abgeben. Mache unseren Schritt fest für den nächsten Schritt. Und rufe uns, dass wir ihn auch gehen. Darum wollen wir Dich bitten mit den Worten Jesu: Vaterunser…

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org