Motettenansprache

  • 30.08.2019
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Johann Sebastian Bach, „Siehe zu, dass deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei“, Eingangschor der Kantate BWV 179

 

Liebe Gemeinde,

„Siehe zu, dass deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei, und diene Gott nicht mit falschem Herzen!“

 Wir haben gerade diesen Eingangschor aus der gleichnamigen Kantate von Johann Sebastian Bach gehört. In der Motette morgen können Sie sie ganz hören. Sollten Sie tun – nicht nur aus musikalischen Gründen. Sondern auch, weil der Kantate eine biblische Geschichte zugrundeliegt, über die es sich nachzudenken lohnt – denn sie ist, wie viele biblischen Geschichten zeitlos aktuell. Wir lesen sie im Lukasevangelium im 18. Kapitel:  

Jesus sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: 10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. 12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. 13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

 

Nun, heute würde Jesus diese Geschichte vielleicht nicht mehr mit Pharisäern oder Zöllnern als Protagonisten erzählen. Vielleicht mit Pfarrer und Banker. Aber egal: bei Typen wie diesen beiden würde es bleiben, es gibt sie schließlich immer noch. Es ist im Grunde absolut lächerlich, worauf sich der Pharisäer in dieser Geschichte etwas einbildet: zweimal in der Woche fasten und ein Zehntel abgeben von dem, was man verdient. Er rühmt sich für etwas, was in seinen gebildeten Kreisen selbstverständlich ist. Es müsste ihm eigentlich peinlich sein, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Er scheint das Maß verloren zu haben für das, was sich von selbst versteht. Und so geht mit seinem Hochmut eines zugleich einher: Kleinlichkeit. Offenbar alles aufrechnen und berechnen zu müssen und das Gefühl zu haben, sich ständig bestätigen zu müssen: Ich bin doch gut. Wer kennt sie nicht, diese Flucht in die Selbstberuhigung oder alles auf die Verhältnisse zu schieben, die mich nun mal zwingen, mich so oder so zu verhalten.

Der Zöllner dagegen rechtfertigt nichts. Sein Gebet lautet: Gott, sei mir Sünder gnädig. Es ist kein Zufall, dass Jesus dem Pharisäer einen Zöllner gegenüber stellt. Gerade derjenige, der von Berufs wegen alles aufrechnen und kleinlich kontrollieren muss, tut es hier nicht. Ihm gelingt das rechte Maß in Bezug auf Gott. Es gibt nichts was ich Gott geben könnte, außer meiner Bereitschaft, unendlich viel von ihm zu nehmen. Er sucht keine Ausflüchte für sein Leben, wie es nun mal ist, er stellt sich ganz offensichtlich den Widersprüchen, in denen er lebt und der Versuchung, der er als Zöllner ständig ausgesetzt ist: mehr zu nehmen als geboten ist.

So, wie wir es auch tun in unserer Zeit, wenn wir uns tagtäglich bedienen an unserem Überfluss, obwohl wir genau wissen, welche Folgen das hat für uns persönlich und für unsere Umwelt. Er, der Zöllner, ist derjenige, der sich dem stellt und der es zur Sprache bringt. Im Bassrezitativ der Kantate heißt es dazu an späterer Stelle: „Er legt sich nicht selbst ein heilig Wesen bei“.

Dazu – und auch da dürfte sich in den letzten 2000 Jahren nichts geändert haben – neigt der Mensch allerdings: Sich selbst ein heiliges Wesen beizulegen. Mehr scheinen zu wollen als zu sein. Deshalb wird hier zu nichts anderem geraten als zur Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst. Hinzugucken, auch auf diese Schwächen und sie nicht wegzudiskutieren. Und dabei gar nicht erst zu versuchen, mit seinen Unzulänglichkeiten faulen Frieden zu schließen oder sie mit den Verfehlungen anderer zu verrechnen.

Was anderes also mögen Bach und sein Textdichter damit bezweckt haben, als ihren Hörern Mut zu machen, sich dem zu stellen? Die Musik, die er für diese Worte gefunden hat, mag dazu eine Brücke bauen – kommen Sie also morgen wieder um 15.00 Uhr wenn es heißt: Siehe zu, dass Deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei…

 Wir beten:

Unser Gott, lass nicht zu, dass wir uns verstellen – selbst vor Dir. Lass dich nicht täuschen durch die Fassaden, die wir um uns aufbauen unter grandiosen Gesten. Lass nicht zu, dass wir uns selbst betrügen. Schenke uns etwas von der Klarheit, mit der du auf uns blickst. Und lasse Liebe, Freundlichkeit und Respekt walten zwischen uns, dazu gib uns Deinen guten Geist. Mit Jesu Worten beten wir:

Vaterunser…

 Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org