Motettenansprache

  • 31.08.2019
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Kantate von Johann Sebastian Bach: „Siehe zu, dass deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei“ BWV 179, 

1. CHORUS: Siehe zu, daß deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei, und diene Gott nicht mit falschem Herzen!

 2. RECITATIVO (TENORE): Das heutge Christentum ist leider schlecht bestellt: Die meisten Christen in der Welt sind laulichte Laodizäer und aufgeblasne Pharisäer, die sich von außen fromm bezeigen und wie ein Schilf den Kopf zur Erde beugen; im Herzen aber steckt ein stolzer Eigenruhm. Sie gehen zwar in Gottes Haus und tun daselbst die äußerlichen Pflichten; macht aber dies wohl einen Christen aus? Nein! Heuchler könnens auch verrichten!

3. ARIA (TENORE): Falscher Heuchler Ebenbild können Sodomsäpfel heißen, die mit Unflat angefüllt und von außen herrlich gleißen. Heuchler, die von außen schön, können nicht vor Gott bestehn.

 4. RECITATIVO (BASSO): Wer so von innen wie von außen ist, der heißt ein wahrer Christ. So war der Zöllner in dem Tempel: Der schlug in Demut an die Brust, er legte sich nicht selbst ein heilig Wesen bei; und diesen stelle dir, o Mensch, zum rühmlichen Exempelin deiner Buße für! Bist du kein Räuber, Ehebrecher, kein ungerechter Ehrenschwächer: Ach, bilde dir doch ja nicht ein, du seist deswegen engelrein! Bekenne Gott in Demut deine Sünden, so kannst du Gnad und Hülfe finden!

 5. ARIA (SOPRANO): Liebster Gott, erbarme dich: Laß mir Trost und Gnad erscheinen! Meine Sünden kränken mich als ein Eiter in Gebeinen, hilf mir, Jesu, Gottes Lamm, ich versink in tiefen Schlamm!

 6. CHORAL: Ich armer Mensch, ich armer Sündersteh hier vor Gottes Angesicht. Ach Gott, ach Gott, verfahr gelinder und geh nicht mit mir ins Gericht! Erbarme dich, erbarme dich, Gott, mein Erbarmer, über mich!

 Liebe Motettengemeinde,

von Trost und Hoffnung ist in der gleich zu Gehör kommenden Bach-Kantate „Siehe zu, dass deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei“ zunächst wenig zu vernehmen. Vielmehr liefert uns der Text eine recht schonungslose Analyse. So wird Christen der Spiegel vorgehalten, damit sie den großen Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit sehen können. Wir sind ja schnell geneigt, diesen Aspekt der Politik im Allgemeinen und den Politikern im Besonderen zuzuordnen. Doch, wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich die Steine auf dem Boden liegen lassen anstatt mit ihnen zu werfen.

Dass, was wir uns beim Einkaufen wünschen, nämlich eine Übereinstimmung zwischen Versprechen auf der Verpackung und deren Inhalt, darf getrost auch für unser Christsein gelten. Unser Problem als evangelische oder katholische Christen ist eine in weiten Bereichen verloren gegangene Authentizität. Selten stimmen Botschaft und gelebter Alltag überein. Mir ist, ehrlich gesagt, ein Christenmensch mit Schrammen, Dellen und Zweifeln am und im eigenen Glaubensgebäude lieber als jemand, der sich ein Kartenhaus aus moralischer Frömmigkeit gebaut hat. Denn ersterer wird authentisch bezeugen können, wofür sein zugegeben kleiner Glaube steht. Letzterer wird aber einer genauen Betrachtung kaum standhalten. In der Tenorarie wird dafür das Bild der Sodomsäpfel verwendet.

„Falscher Heuchler Ebenbild können Sodomsäpfel heißen, die mit Unflat angefüllt und von außen herrlich gleißen. Heuchler, die von außen schön, können nicht vor Gott bestehn.“

Das, was vorgegeben wird zu glauben, darf, ja muss, auch mit Leben gefüllt werden. Weniger ist hier manchmal mehr und wird dadurch authentisch. Der schöne Schein darf nicht das Einzige bleiben, womit Christsein assoziiert wird.

 

Hören wir auf die textliche und musikalische Botschaft der Kantate. Wer dies aufmerksam tut, wird erkennen, dass es Bach gelingt, jenes Moment der Heuchelei gekonnt in Raumklang zu bringen. Das Thema der Sodomsäpfel in der Tenorarie wird so in Szene gesetzt, dass man Verführung und Entlarvung regelrecht heraushören kann.

Ganz anders sieht es in der zweiten Arie aus.

Durch das Flehen der Sopranstimme wird der von aufrichtiger Reue geprägte Text authentisch unterstrichen. Und wir finden gleichsam auch den Ausweg aus dem heuchlerischen Sein. Er führt über Selbsterkenntnis und Bitte um Gottes Barmherzigkeit hin zur Rettung und Erlösung durch Jesus Christus.

Dem geht aber voraus, dass erkannte Fehler nicht permanent wiederholt werden.

Der Zöllner im Tempel betet „Gott, sei mir Sünder gnädig“ und macht dadurch seine Gottesferne deutlich. Gott lässt den bereuenden Sünder nicht im tiefen Schlamm, um im Bildwort des Kantatentextes zu bleiben, sitzen, sondern zieht ihn heraus. Und es geht noch weiter. Er baut eine Brücke, die Gottesferne überwindet, eine Brücke hin zu einem Frieden mit sich selbst und ihm. Diese Brücke trägt den Namen „Jesus Christus.“

Nun stellt sich die Frage, wie kommen wir zur Selbsterkenntnis, wie kommen wir zu jener Demut, von der Gleichnis und Kantatentext sprechen?

Die Antwort wird zu jeder Zeit lauten: Über die Schrift. Dort entdecken wir mehrere Leitfäden. Sie sind prägend für das Evangelium. Einer dieser Leitfäden ist die Liebe Gottes. Sie gilt den Menschen, die sich zu ihm hinwenden gleichermaßen wie den Verlorenen.

Im Dreiklang von Gottesliebe, Selbstliebe und Nächstenliebe, ist mir ein Lebensraum geöffnet, den ich als Christ gestalten kann.

Wenn nun „Liebe“ als ein großer Leitfaden über dem Christsein steht, dann heißt das nicht: alles mit den süßlichen Worten „Wir haben uns doch lieb als Christen“ wegzulächeln. Ernst genommene Liebe zieht auch den Widerspruch nach sich. Widersprechen müssen wir als Christen also immer dort, wo Nächstenliebe mit Füßen getreten wird, weil Menschen herabgewürdigt werden aufgrund dessen, dass sie anders aussehen, anders lieben oder anders glauben. Nächstenliebe leben heißt Klarheit zeigen. Am morgigen Sonntag haben wir in Sachsen die Möglichkeit zu wählen. Das ist eine nicht aufzugebende Errungenschaft.

Mit unserem Kreuz auf dem Wahlzettel können wir uns als Christen entscheiden, ob wir das eigene Christsein ernst nehmen, oder ob wir doch eher aus Protest bzw. Unmut über eine Sache, das Kreuz machen.

Für Christen gibt es politisch viele Alternativen. Das ist in einer Demokratie wundervoll.

Die Alternative für Deutschland zählt aber nicht dazu. Amen.

 Gebet

 Herr, Jesus Christus,

Du bist unser Retter und Erlöser. Dafür danken wir Dir und bitten Dich:

 Stärke unser Vertrauen in Deine Liebe.

Gib uns Kraft und Mut, sie zu verkünden und mit Leben zu füllen.

Schenke uns Widerstandskraft, wo Deine Liebe mit Füßen getreten wird.

Hilf uns zu erkennen, wo wir uns irren und den falschen Weg gehen, persönlich und in der Gesellschaft.

 Wir rufen zu Dir:

Pfarrer Martin Hundertmark
hundertmark@thomaskirche.org