Motettenansprache

  • 28.09.2019
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Kantate „Man sing mit Freuden“, BWV 149

Liebe Motettengemeinde,

 die Jugend darf stürmisch und drängend sein. Wer in der persönlichen Selbstfindungsphase ist, sieht bekanntlich Dinge mit anderem Auge. Das Etablierte wird infrage gestellt und dagegen rebelliert. Wir erleben das seit gut einem Jahr weltweit in den Fridays-for-future-Demonstrationen.

Vor dreißig Jahren waren es maßgeblich studentische Impulse, die, ohne nach eigener Sicherheit zu fragen, nach den Friedensgebeten auf die Straße drängten. „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ war der Gegenentwurf einer sozialistischen Diktatur.

Jugendlicher Sturm und Drang ist nicht selten mit Risikobereitschaft und Unbedarftheit gepaart. Vernunft kommt erst später hinzu. So treiben auch manche Blüten am Zweig der Unbedarftheit. Wir sagen dazu gerne Jugendsünden. Ich bin mir sicher, da wird jeder und jede eigene Erfahrungen beisteuern können. Ich z. B. habe in meiner Schul- und anfänglichen Studentenzeit Musik gehört, die gar nicht so recht zu Kirche, Bach und Glauben passte. Es musste laut und heftig sein bei Metallica, Iron Maiden oder Black Sabbath. Irgendwann beginnt man aber zu hinterfragen, was da eigentlich gesungen wird, beschäftigt sich mit Texten. Idealerweise setzt dann doch meistens der Verstand ein, reflektiert alles und führt zu Veränderungen.

Andere haben in ihrer Jugend Barrikaden gebaut und wiederum Andere hauten sich in ihrer Jugend mit Säbeln oder dem Florett auf den Kopf und hatten Spaß daran, männlich und stark zu sein.

Jugendsünden.

Sie sollen jedem zugestanden werden dürfen. Problematisch wird es erst, wenn die sogenannten Jugendsünden erwachsen werden. Wenn mit vierzig oder fünfzig Lebensjahren eigenes Urteilsvermögen nicht ausreicht, um sich von Verfehlungen aus der Jugendzeit deutlich zu distanzieren.

 Häufig wird der Erzengel Michael, dessen Gedenktag wir morgen feiern, als jugendlicher Held dargestellt. Im Kampf mit dem Drachen steht er für den Sieg des Guten über das Böse.

In unserer Thomaskirche findet sich der Erzengel Michael im Fenster, welches dem Schwedenkönig Gustav II. Adolf gewidmet ist. Hier wird ganz deutlich der Akzent auf die Bewahrung des rechten Glaubens gelegt in der Auseinandersetzung zwischen Katholizismus und Protestantismus. Heute schauen wir darauf mit anderen Augen.

Der Kampf des Erzengels Michael mit dem Drachen ist eher ein Symbol für meinen eigenen inneren Kampf um den rechten Glauben, um Werte oder um Orientierung. Manchmal will sich die alte Schlange, will sich der Widersacher schlicht nicht bezwingen lassen. Er zieht an den Fesseln, die mich binden, erinnert an Treueschwüre von früher und versucht mit das alles als die wahren Werte zu verkaufen.

 Michael, dessen Namensübersetzung bedeutet „Wer ist wie Gott?“, kommt als Engel auch im Judentum und Islam vor. Gerade die Namensfrage macht deutlich? Niemand ist wie Gott, weil ihm allein die Ehre und Anbetung gebührt. Christliche Rückbindung kann immer nur Rückbindung an Gott durch Jesus Christus sein.

Glauben wird stets angefochten und wir sollten sehr misstrauisch werden, wenn uns Menschen begegnen, die Anfechtungen aus ihrem Glaubensleben verbannt haben. Glaube kann gewiss sehr stark und überzeugend sein. Ob er immer ausreichend ist, wenn es hart auf hart kommt? Es bleibt zu hoffen und zu wünschen.

 In J. S. Bachs Kantate „Man singt mit Freuden vom Sieg“ singt der Chor zu Beginn aus dem österlichen Festpsalm 118. Festlich erklingt, was zum Fundament des Evangeliums wurde und zu

den Grunderfahrungen christlichen Glaubens zählt:  Das Vertrauen auf Jesu Christi Sieg über den Tod und die Macht der Gottesferne.

Auf solchem Fundament kann getrost mit der Altstimme im Rezitativ bekannt werden:

„Ich fürchte mich vor tausend Feinden nicht, denn Gottes Engel lagern sich um meine Seiten her.“

Glaube lädt zur Freude ein und nicht zur Furcht.

Daraus lässt sich Mut fassen, den eigenen Alltags-Widersachern entgegenzutreten.

Kraft schöpfen, um den Mund aufzutun, wo uns Kräfte von Gottes Liebe wegreißen wollen, weil Eigenliebe lockt – auch dafür steht der Erzengel Michael mit seinem Sieg über den Satan.

Die Tenorstimme nimmt mit ihrem Rezitativ die Perspektive des ganzen Lebens ein. Weil ich als Kind Gottes die Erfahrung der bewahrenden, der mahnenden oder streitbaren Engel mache, darf ich mir vor Gott auch meine Sünden vorhalten lassen, um, und jetzt kommt das Entscheidende, um sie zu bereuen.

Umkehr von Irrwegen, seien sie in der Jugend begangen worden oder im täglichen Handeln und Entscheiden, ist möglich. Dafür steht die Reue. Ohne Reue jedoch, wird es schwer, sich in den Armen der Engel Gottes wiederzufinden, die den Menschen in Abrahams Schoß tragen wollen. Amen.

Gebet

Vater im Himmel

Du hast deinen Engeln befohlen, dass sie uns behüten auf all unseren Wegen. Darauf wollen wir vertrauen und bitten am Ende der Woche:

-Sei du bei denen, die in Ängsten sind um ihre Liebsten. Schenke ihnen die Kraft zum Vertrauen.

-Sei du bei Kranken und Sterbenden und stärke sie, wo unsere Kräfte an ihre Grenze kommen.

-Sei Du unsere Zuversicht, die in Jesus Christus greifbar geworden ist. Auf ihn hoffen wir und beten:

 

Vater unser im Himmel….

Pfarrer Martin Hundrtmark, hundertmark@thomaskirche.org