Motettenansprache

  • 04.11.2022
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette am 4. November 2022

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)

Laudate pueri Dominum

op. 39 Nr. 2 für dreistimmigen Frauenchor, drei Solostimmen und Orgel

 

Laudate pueri Dominum, Lobet, ihr Knechte des Herrn,

laudate nomen Domini. lobet den Namen des Herrn!

Sit nomen Domini benedictum, Der Name des Herrn sei gepriesen

ex hoc nunc, et usque in seacula. von nun an bis in Ewigkeit.

Beati omnes, qui timent Dominum, Wohl dem Mann, der den Herrn fürchtet

qui ambulant in viis ejus. Beati! und ehrt und der auf seinen Wegen geht!

Psalm 113,1 und 2; Psalm 128,1

 

Liebe Gemeinde,

genau heute vor 175 Jahren starb Felix Mendelssohn- in seiner Wohnung unweit von hier in der Leipziger Goldschmidtstraße – und wie wir Anfang der Woche erfahren haben, wohl in einem anderen Zimmer als bisher angenommen und in der Ausstellung beschrieben. Es ist schön, dass wir heute eins seiner Werke gehört haben hier in der Thomaskirche, denn es gibt ja eine besondere Verbindung Mendelssohns mit diesem Ort. Denn: Ohne Mendelssohn kein Bach! Er war derjenige, der seinerzeit die Musik Bachs für seine Zeitgenossen und auch für uns heute wieder entdeckt hat. Mit 20 Jahren führte er erstmals seit langer Zeit die Matthäuspassion wieder auf, in Berlin und auch in Leipzig, machte dieses Werk und andere weltbekannt. Und er war es auch, der als erster Bach ein steinernes Denkmal setzen wollte, es steht immer noch hier am Dittrichring und ist das älteste der Welt. Hier in der Thomaskirche sammelte er durch Benefizkonzerte das Geld dafür.

 

Leider aber hat sich Ende des 19. Jahrhunderts auch die Gemeinde der Thomaskirche in die Reihe derer in dieser Stadt begeben, die Mendelssohn aufgrund seiner jüdischen Wurzeln unsichtbar machen bzw. die Erinnerung aus dem öffentlichen Leben verbannen wollten. Das schon geplante Mendelssohn-Fenster auf der Südseite der Kirche rechts vom zentralen Fenster mit Martin Luther, wurde nicht ausgeführt. Mendelssohn neben Luther und Bach zu stellen, das erschien dem damaligen Kirchenvorstand nicht möglich. Dass Mendelssohn wie all seine Geschwister evangelisch getauft war und die Familie sich zur reformierten Gemeinde hielt, interessierte nicht. Der Antisemitismus war im Bürgertum des 19. Jahrhunderts vielleicht sogar noch weiter verbreitet als zum Mendelssohns Lebzeiten. Sein Vater hatte ja versucht, durch den zusätzlichen Namen „Bartholdy“ standesgemäßer und „weniger jüdisch“ zu klingen. Das aber fruchtete am Ende nicht wirklich.

 

Und so steht das, was damals hier entschieden wurde, schon in einer unheilvollen Linie, die sich bis zum Jahr 1936 zog, als die Nationalsozialisten das Mendelssohndenkmal vor dem Gewandhaus abrissen, seinerzeit der Grund für den Rücktritt von Oberbürgermeister Goerdeler. Das fehlende Mendelssohn- Fenster in der Thomaskirche wurde dann erst Mitte-Ende der 1990er-Jahre ausgeführt, nach den alten Plänen, aber ergänzt um ein kleines Detail, das Sie sich bei Tageslicht einmal anschauen sollten: Unter Mendelssohns Büste ist die aufgeschlagene Partitur der Matthäuspassion zu sehen an der Stelle, wo der Vorhang im Tempel zerreißt. Über diese Seite führt eine Blutspur – zur Erinnerung an die blutige Geschichte des Antisemitismus in Deutschland und überhaupt. Eine Kopie des von den Nazis verwüsteten Denkmals steht seit 2008 vor dem Hauptportal der Thomaskirche, das im Zuge der Aufstellung den Namen „Mendelssohn-Portal“ erhielt.   

 

Felix Mendelssohn ist nur 38 Jahre alt geworden. Seinem Gesicht auf dem Totenbett sieht man die Erschöpfung an, es sind die Züge eines feinen, zarten Mannes, der unendlich viel gearbeitet hat und den die Intensität seines Lebens so viel Kraft gekostet hat, dass vielleicht keine mehr da war. Ein Mensch, der das, was er tat, mit unglaublicher Liebe und Hingabe tat, der unglaublich emotional in seine Themen und Texte einzusteigen wusste, man höre seine Psalmvertonungen oder vor allem auch seine großen Oratorien „Elias“ und „Paulus“. Musik, Malerei, Schreiben, Komponieren, er ging darin auf, es war sein Leben selbst, man kann vielleicht schon sagen, dafür hat er sich hingegeben für diese Liebe. Über dieser Woche steht unter anderem ein Text aus der Bibel, der davon handelt, aus dem Hohenlied im Alten Testament: Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme. Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen noch die Ströme sie ertränken. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, würde man ihn verachten?

Hier geht es nicht um eine romantische oder süßliche Vorstellung von Liebe, sondern um Liebe als Grundhaltung des Lebens. Es geht um eine Kraft, die den Tod nicht scheut. Ein Mensch, der liebt, der wirklich liebt mit Haut und Haar, etwas oder jemanden, ist frei und ist stark – auch dann, wenn er schwach ist, krank, elend. Auch wenn man ihn erniedrigt, unter Druck setzt, ausgrenzt aufgrund seiner Abstammung. Die Diktatoren aller Zeiten und Länder, vor nichts haben sie bis heute so viel Angst wie vor dieser Kraft. Denn wer liebt, lässt sich in der Regel nicht beherrschen, nicht einschüchtern, nicht klein machen. Nicht in dem, was er glauben soll, wie er leben soll und schon gar nicht, wie er zu lieben hat.

Dass Felix Mendelssohn ein leidenschaftlich liebender Mensch war, zeigte sich auch in seiner innigen Beziehung zu seiner älteren Schwester Fanny, die mit 42 Jahren starb. Ab da wichen bei Felix die Kräfte. Er erlitt mehrere Schlaganfälle und starb noch im gleichen Jahr wie sie. Vielleicht erschien ihm ohne sie das Leben nicht mehr möglich, es ging einfach nicht mehr, so dass die andere große Kraft Raum greifen konnte: der Tod. Er und seine Schergen, die uns Menschen nur Verderben bringen wie Hass, Rassismus, Antisemitismus, haben das, was er hinterlassen hat, am Ende nicht zerstören können. Wir hören seine Musik überall auf der Welt und hören darin etwas von ihm selbst, von seinem Innersten. Denn am Ende ist die Liebe doch stärker als der Tod. Gott sei Dank.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org