Motettenansprache

  • 17.12.2022
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette 16. und 17. Dezember 2022

Liebe Gemeinde,

wir gehen zu auf den vierten Advent. Es ist der Adventssonntag, an dem Maria im Mittelpunkt steht und ihr großer Lobgesang, das sog. „Magnificat“: „Meine Seele erhebt den Herrn…“ Es erklingt oft musikalisch vertont hier in der Thomaskirche. Viele mögen diesen Text. Aber haben mit Maria ihre Probleme, wenn es um die „reine Magd“ geht. Nun, das war in der Antike eigentlich nichts Besonderes. Wichtigen Menschen wollte man eine besondere Geburt zubilligen. Alexander dem Großen beispielsweise - auch er ist der Überlieferung nach ein jungfräulicher Spross. Und dann ist da noch die innerbiblische Überlieferungsgeschichte vom Alten zum Neuen Testament. Mit dem damit einhergehenden Übergang aus der hebräischen zur griechischen Sprach -und Vorstellungswelt wurde aus der „jungen Frau“, hebräisch „alma“, eine „Jungfrau“, griechisch „parthenos“. Trotzdem werden viele von uns heute sagen: Wenn dieser Satz „geboren von der Jungfrau Maria“ aus dem Glaubensbekenntnis gestrichen würde: Mir würde nichts fehlen. Aber genauso werden andere sagen: Mir ist das heilig, was da erzählt wird von Maria, es gehört für mich zu dem großen Geheimnis der Menschwerdung Gottes.

Wenn Sie die Möglichkeit haben: Hören Sie sich zuhause mal auf CD oder im Internet die wohl größte und berühmteste Vertonung des Magnificats von Johann Sebastian Bach an. Denn Bach baut uns mit seiner Auslegung eine wunderbare Brücke, wie wir das denn verstehen können mit der Jungfrau. Bei ihm ist das Magnificat nämlich nicht nur ein Lied einer jungen Frau, sondern ein Lied der Menschheit. Er beginnt mit der seinerzeit größtmöglichen Orchesterbesetzung und fügt dem sozusagen normalen vierstimmigen Gesang eine fünfte Stimme hinzu. Denn in dem, was in diesem Lied der Maria zur Sprache kommt, geht es über das Übliche hinaus – aber es ist dennoch eine Erfahrung, die wir alle machen können. Und die uns vielleicht einen neuen Blick auf dieses Symbol der Jungfrauengeburt verschaffen kann. Denn Jungfrauen – das können wir alle werden.

Wie bitte? „Wie soll das zugehen?“ Nun ja, genau mit dieser Frage hatte es bei Maria, auch angefangen, als der Engel ihr die Geburt ihres Sohnes angekündigt hat. In der mittelalterlichen Malerei ist oft dieses Wort aus dem Lukasevangelium „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären…“ als Spruchband dargestellt, das sich vom Mund des Engels in das Ohr der Maria hineinwindet. Maria hört den Engel. Sie glaubt ihm, sie nimmt seine Worte in sich auf und lässt das Gehörte in sich reifen. So wie es in der Weihnachtsgeschichte formuliert ist, die wir nächste Woche wieder hören: „Und Maria bewegte all diese Worte in ihrem Herzen.“ Die Jungfrauengeburt ist ein wunderbares Symbol dafür, dass wir etwas von Gott durch unser Ohr empfangen. Sein Wort will in uns eingehen und dort heranreifen. Neues, ganz Neues, kann in uns und durch uns geboren werden! Darum geht es in der biblischen Erzählung von der Jungfrauengeburt nämlich eigentlich. Das wird auch daran deutlich, dass sich mit Marias Geschichte die Geschichte eines anderen, eines Mannes verbindet, der weniger bekannt ist. Der alte Zacharias, dem auch eine wundersame Geburt angesagt wird: die seines Sohnes Johannes des Täufers. Er kann es auch nicht glauben, denn bei ihm ist die Manneskraft schon Vergangenheit. Auch bei ihm soll dieses Wort Gottes eingehen und er darf neun Monate schweigen, um es in seinem Herzen zu bewegen. Auch eine Art Schwangerschaft. So wird deutlich im Lukasevangelium, dass jede biologistische Verengung der Jungfrauenschaft Marias am Wesentlichen vorbei geht. Maria und Zacharias stehen für jeden von uns: Jeder kann etwas von Gott in sich heranreifen lassen und zur Welt bringen.

Glauben Sie, dass das möglich ist bei Ihnen – ob Sie an Gott glauben oder auch nicht? Kann das nicht ein gutes Bild sein dafür, dass sich unverhofft etwas in unserem Leben so verändern kann, dass wir mit frischen Geist etwas neu beginnen?

Maria, die junge Frau, eine wunderbare Figur der vierten Adventswoche. Sie bewegt in ihrem Herzen, was sie hört. Und bringt den zur Welt, der uns und diese Welt verändern kann. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org