Motettenansprache

  • 14.04.2023
  • Pfarrer i.R. Christian Wolff

Ansprache

 

Nach einer neuesten Meinungserhebung hat für sechs von zehn Deutschen das Osterfest keinerlei religiöse Bedeutung. Lediglich für 14 Prozent ist Ostern noch mit einem Kirchgang verbunden. So können wir davon ausgehen: Wir, die wir uns heute zu dieser österlich gestalteten Motette versammelt haben, repräsentieren nur eine kleine Minderheit. Dabei ist aber noch nicht einmal ausgemacht, ob wir denn mit dem „Ostergesang“ inhaltlich etwas anzufangen wissen, dessen Uraufführung wir gerade gehört haben:

Nun aber ist Christus auferweckt von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.

1. Korinther 15,20

 

Christoph Bogon hat einige Verse aus dem 15. Kapitel des ersten Briefes vertont, den der Apostel Paulus an die christliche Gemeinde in der griechischen Hafenstadt Korinth geschrieben hat – ungefähr eine Generation nach Christus. Paulus pocht in diesem Briefabschnitt auf die Tatsächlichkeit des Auferstehungsgeschehens - und das aus einem nachvollziehbaren Grund: Für Paulus erfährt das Leben des Menschen erst durch die Auferstehung Jesu von den Toten einen unschätzbaren, unveräußerlichen Wert:

  • Alles, was jetzt ist, hat eine bleibende Bedeutung für das, was kommt;
  • wie wir jetzt leben, soll Ausdruck von dem sein, was uns bevorsteht.

Damit wird das Leben von uns Menschen der Beliebig- und der Zufälligkeit entzogen. Wir können unser Leben nicht mehr – wie Paulus schreibt - nach dem Motto gestalten:

Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.

1. Korinther 15,32

Lasst uns jetzt alles verprassen, denn außer dem Tod haben wir keine Zukunft. Paulus setzt dem eine andere Botschaft entgegen. Mit dem Sterben ist es wie mit einem Samenkorn: Es erstirbt in der Erde, aber es entsteht neue Frucht, neues, unvergängliches Leben. Das ist gemeint mit der Aussage:

Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich …

1. Korinther 15,42

Von unserem Leben hier auf Erden bleibt nichts übrig – außer dass wir zu der Erde zurückkehren, aus der wir kommen. Aber uns ist dennoch ein neues Leben verheißen – ganz anders, als wir es uns vorzustellen in der Lage sind. Ganz anders als nur Essen und Trinken, ganz anders als das übliche Hauen und Stechen.

 

Das ist ja die Tragik unseres Lebens hier auf Erden: Wenn wir ohne die Perspektive der neuen Welt Gottes unser Dasein fristen, werden wir zunehmend aufgerieben zwischen den Gegensätzen des Lebens:

  • Auf der einen Seite kosten wir unser Dasein um jeden Preis aus, versuchen zwischen Geburt und Sterben alles mitzunehmen, was aus dem Leben, aus dieser Erde herauszupressen ist, denn morgen sind wir tot.
  • Auf der anderen Seite zerbrechen wir an der Erfahrung von Vergeblichkeit, weil wir meinen, wir müssten uns selbst die Vollkommenheit, die uns vorschwebt, im Hier und Jetzt bereiten. Doch dazu reichen weder unsere Kräfte, noch können wir die Widerstände überwinden, die diejenigen aufbringen, die unseren Drang nach Vollkommenheit als Bedrohung ansehen.

Wir ahnen: Beide uns sehr vertrauten Lebensimpulse führen uns in die Sackgasse einer gefährlichen Atemlosigkeit und Aussichtslosigkeit. Weil Paulus das am eigenen Leib erfahren hat, versucht er zu verdeutlichen: Wer an die Auferstehung glaubt, der gestaltet sein Leben in dem Bewusstsein, dass uns das Beste nach dem Tod bevorsteht. Das ist aber keine Vertröstung aufs Jenseits. Denn vor dem Tod sollen und können wir so leben, wie es im Samen angelegt ist, wie es uns Jesus Christus mit seinem irdischen Leben nahelegt. Genau das hat Paulus bei seinem Bekehrungserlebnis vor Damaskus erfahren.

 

Bleibt die Frage: Können wir solche Gedankengänge im 21. Jahrhundert noch nachvollziehen? Lässt sich heute noch so unbefangen von der Wirklichkeit der Auferstehung reden, wie Paulus es getan hat? Vielleicht hilft uns ein schöner, jüdischer Witz:

Ein Rabbi, der nicht schwimmen konnte, fällt in ein tiefes Gewässer. Zum Glück hatte er zwei Heringe in der Tasche. Die zog er heraus. Da wurden sie plötzlich lebendig. Der Rabbi hielt sich an ihnen fest, und sie zogen ihn an Land. Als der Rabbi das erzählt, wendet ein Zweifler ein: „Das glaube ich nicht. Wie kannst du das beweisen?“ Der Rabbi antwortet: „Du siehst doch selbst: Ich lebe!"

Ja, wir haben eine einzige Möglichkeit, die Wirklichkeit der Auferstehung zu beweisen: dadurch, dass wir leben und – noch wichtiger – wie wir leben. Nur an dem, was sich bei uns verändert, werden die Menschen ablesen können, was es mit der Auferstehung von den Toten auf sich hat. Verändern aber kann sich unser Leben dadurch, dass wir – wie der Rabbi - auf zwei Fische vertrauen, die lebendig werden; dass wir das Wunder der Wandlung für möglich halten. Das Verwesliche ist nicht das Ende. Es ist der Übergang zu dem, was jetzt schon sichtbar ist. Amen.

 

Christian Wolff, Pfarrer i.R.

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