Motettenansprache am 30. September und 1. Oktober

  • 01.10.2022
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Ansprache in den Motetten am 30. September und 1. Oktober 2022

„Welt ade, ich bin dein müde,
ich will nach dem Himmel zu;
da wird sein der rechte Friede
und die stolze Seelenruh.
Welt, bei dir ist Krieg und Streit,
nichts denn lauter Eitelkeit,
in dem Himmel allezeit
Friede, Ruh und Seligkeit.“

Liebe Gemeinde,

das ist der Text des Chorals nach Johann Rosenmüller, den Johannes Lang eben gespielt hat. Wunderbare Musik. Da sehnt sich einer danach, dass alles vorbei ist, all sein Leid. Und er seine Ruhe findet, seinen inneren Frieden bei Gott. Worte, die der Dichter Johann Georg Albinus gefunden hat für dieses Gefühl, er lebte von 1624 – 1679.

Wie hören wir diese Worte heute, 2022? „Welt ade, ich bin dein müde“? Der „Digital News Report“ des Reuters Institute beschreibt seit Jahren ein weltweites Phänomen: Die Zahl der Menschen, die die Nachrichten nicht mehr hören, sehen oder lesen wollen, steigt. Menschen sind erschöpft von der medialen Dauerbeschallung, sie fühlen sich verloren im Hagel schlechter Nachrichten und klinken sich einfach aus. Und seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist in Deutschland der Anteil derer um 7% auf 36% gestiegen, die in diesem Sinne sagen: „Welt ade, ich bin dein müde…“ Ein Drittel ist „abgewandert in ein selbstgewähltes Tal der Ahnungslosen“, so stand es im SPIEGEL zu lesen. Und manchmal, muss ich ehrlich gestehen, geht mir das auch durch den Kopf – das ist echt alles nicht mehr auszuhalten. Mobilmachung in Russland, Putin schwadroniert von Atomwaffen und die Uno Generalversammlung muss viel Zeit darauf verwenden, Hunger und Armut kehren in Länder zurück, wo sie längst besiegt schienen, eine multiple Energie-, Konjunktur und Inflationskrise pflügt durch die Weltwirtschaft, in Italien haben die Postfaschisten die Wahl gewonnen und nun ist auch noch passiert, was ja irgendwie kommen musste, die Gaspipelines aus Russland sind endgültig unbrauchbar gemacht worden und das noch mit Getöse einer ziemlichen Umweltkatastrophe. Und man könnte diese Liste noch weiterführen. Es ist ein schreckliches Muster in all dem: Der Krieg in der Ukraine entfaltet sein ganzes Gift im Kreislauf der Welt, die Schäden sind überall zu sehen, die Zerstörung nimmt gerade tausenderlei Formen an. Das Gift ist auch dort wirksam, wo keine Bomben fallen und keine Menschen sterben.

Wer wollte sich vor diesem Gift nicht in Sicherheit bringen… vielleicht betrifft es mich nicht mehr, wenn ich mich ihm nicht mehr aussetze – die Sehnsucht nach einer Ruhepause in dieser ganzen Welt, die uns so müde macht in dieser Zeit, ist verständlich. Allerdings verschwindet es nicht durch nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Wir gewinnen den Himmel nicht dadurch, dass wir die Erde negieren…Das wissen natürlich auch die 36%, die sich nicht mehr informieren und wahrscheinlich viele sich nur noch in  der Informationsblase beschallen lassen, in der sie gerade stecken, facebook und co lassen grüßen.

Wie dieses Gift wieder aus der Welt kommt, ist dabei die eine Frage. Die andere ist, wie schaffe ich es denn auf anderem Wege, soweit immun zu werden, dass es mich nicht auffrisst, dass es mich nicht zermürbt, aus mir einen gleichgültigen und letztlich auf meine Angstgefühle zurückgeworfenen Menschen macht, der immer mehr das Gefühl hat, irgendwie ein Spielball auf dem wilden Ozean zu sein…

Für mich spielen da zwei Dinge eine Rolle: Das erste: Für sich anzuerkennen, wir sind offenbar jetzt wirklich und unumkehrbar an einem Scheitelpunkt mit dem, wie wir leben. In Wahrheit sind wir da längst, aber jetzt ist es mehr als deutlich. Und nicht nur in Deutschland hätten Regierende früher und eindringlicher über die bevorstehenden Zumutungen reden sollen. Ein einfaches Zurück zu dem, was mal war in Sachen Energiegewinnung und -verbrauch, wird es nicht mehr geben. Wo der Wald brennt, im wahrsten Sinne des Wortes, kann man nicht dieselben Technologien als Zukunft propagieren, die genau zu diesem Zustand mit beigetragen haben. Unser menschliches Verlangen, alles möglichst unkompliziert, schnell, mühelos und billig zu bekommen von Lebensmittel bis Energie, hat auch zu dem beigetragen, wie es jetzt ist. Langwierige und mühsame Prozesse, Widerstände zu überwinden, Abstriche im Augenblick zu machen, das fällt uns eben schwer und wer das einfordert, gewinnt in der Regel keine Wahlen. Das erste also: Einzugestehen, dass es so gekommen ist und dass es ein einfaches „Zurück und weiter so wie immer“ nicht geben wird.    

Und das zweite: zu schauen, wie kann ich meine inneren Kräfte jetzt sammeln angesichts dessen, dass dieses Gift in der Welt ist, dass uns vielleicht ein „Wutwinter“ ins Haus steht und dass verschiedenste Kräfte versuchen, unsere Ängste für ihre Absichten zu instrumentalisieren. Für mich sind das Texte wie der eben gehörte Psalm 34, Worte wie: „Da ich den Herrn suchte, antwortete er mir und errettete mich aus aller meiner Furcht.“ Oder, da gestern der Michaelistag war, der Tag aller Engel, der Vers 8: „Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus.“ Das ist der Tenor der Bibel: Gerade dort, wo alles am Ende scheint, fängt etwas Neues an. In finsterster Nacht wird ein Kind geboren, das der Welt das Heil bringt. Und wo das Kreuz aufgerichtet worden ist, angeheizt von einer brüllenden, geifernden Menge und nur Tod und Schmerz zu sein scheint, kündigt sich schon an: das alles wird überwunden werden. Der Drache und sein Gift werden besiegt, seine Zeit ist immer begrenzt, so heißt es in der Offenbarung. Das war die Botschaft des Michaelisfests am 29. September und dieser Drache hat viele Gesichter.

Wir denken als Christenmenschen immer auch vom Anfang her und sehen nicht nur das Ende. Als der Pfarrer und Theologe Dietrich Bonhoeffer sich ausziehen musste und nackt zum Galgen geführt wurde, sagte man ihm: Das ist das Ende. Und er soll gesagt haben: Für mich ist es der Anfang.

Wir sind nicht Bonhoeffer. Aber wir können uns die Botschaft vom immer wieder neuen Anfang, wirklich neuen Anfang aus unserer biblischen Überlieferung nahe kommen lassen. Für unsere eigene innere Haltung in der Krise. Für diese Haltung tragen wir selbst die Verantwortung, niemand sonst, nicht die Politik, nicht die Regierung, nur wir. Den Beter des 34. Psalms führt diese Haltung sogar zu einem unglaublichen Satz, auch den haben wir schon gehört: „Fürchtet den Herrn, ihr, seine Heiligen. Denn die ihn fürchten, haben keinen Mangel. Reiche müssen darben und hungern, aber die den Herrn suchen, haben keinen Mangel an irgendeinem Gut.“ Amen.

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org