Motettenansprache

  • 03.06.2023
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette 3. Juni 2023

William Byrd, Messe für vier Stimmen (1590)

Liebe Gemeinde,

ich habe mich heute sehr auf dieses besinnliche, nachdenkliche Programm in dieser Motette gefreut. Ein guter Gegenpol zu dem, was heute an Unruhe und Gewalt in unserer Stadt für heute von einigen Gruppen angekündigt worden ist. Hier kommen wir zur Ruhe, besinnen uns auf das, was wir sind als Menschen. Zerbrechlich, vergänglich – aber zugleich voller Zuversicht, wir können hoffen, wir können glauben, wir können lieben – und mit all dem, was uns beschwert auch so leben, dass es nicht die Oberhand behält. Es ist ja immer die Frage: Was entscheide ich für mich in meinem Leben? In welchem Geist will ich leben? Wovon lasse ich mich unter Druck setzen und stressen?

Manchmal ist es zwar nicht so – aber ganz oft habe ich das selbst in der Hand. Und da hilft manchmal wirklich nur: Innehalten. Runterfahren. Und uns unserer Verletzlichkeit und Endlichkeit stellen. So wie in der Musik heute Nachmittag. Danke an Sie alle vom Landesjugendchor Thüringen, dass Sie ein solch wohltuendes Programm vorbereitet haben. Und dazu gehört auch noch ein Werk der älteren Musik, das wir gleich noch hören werden. Eine Messe des englischen Komponisten William Byrd. Und wenn Sie beim „Gloria“ denken, das habe ich doch gerade irgendwo gehört, dann ist das so, weil Sie vielleicht die Krönung von Camilla und Charles III. im Fernsehen verfolgt haben. Das „Gloria“ war Bestandteil der Krönungsmesse. Erstaunlich eigentlich, wenn man die Entstehung dieses Werks betrachtet. Nach den religiösen Konflikten in der englischen Reformation waren Vertonungen der katholischen Messe hochsensible Dokumente und hätten durchaus zur Verhaftung von Personen führen können, die damit erwischt wurden. Wahrscheinlich aus diesem Grund entschied sich Byrd, die Messe nicht als Satz, sondern in einzelnen Doppelblättern zu veröffentlichen, die leicht zu verbergen waren. Gesungen werden sollte sie bei geheimen Messfeiern in „abtrünnigen“ Haushalten in Essex, wo Byrd seinerzeit lebte und wo ihn ein Nachbar großzügig finanziell bei diesem Werk unterstützte. Heute gehört das Werk in England zum Repertoire eigentlich aller geistlichen (anglikanischen) Chöre und auch hier hören wir es gern. Zumal es sich anschließt an das, was wir schon gehört haben. In Ruhe zu sich zu kommen. Und da kann die Messe als alte Form des Gottesdienstes helfen und gut tun. Ihre besondere Kraft, die sie in ihrer gesungenen Form entwickelt, erschließt sich auch vielen, die Kirche und Gottesdienst sonst eher fernstehen. Denn hier wird alles aufgenommen, was das Menschsein in seinen Höhen wie Tiefen seit jeher bestimmt hat. Und weil das im Letzten doch immer gleichbleibt, ist die Messe durchaus eine moderne Form, an deren Dynamik sich jede neuere Form des Gottesdienstes erst einmal zu messen hat.

Alles beginnt mit dem Ruf „Kyrie eleison“ – „Herr, erbarme dich“. Dieser Anfang bietet uns die Möglichkeit, uns im geschützten Raum von dem zu entlasten, was wir im Laufe der Woche angesammelt an Dingen, mit denen wir nicht richtig weiterkommen. Hier können wir ohne Angst vor Gesichtsverlust das tun, was wir voreinander und vor uns selbst ungern tun: uns einzugestehen, wo wir in dieser Woche nicht so brilliant agiert haben.

Aber das nicht, um uns selbst kleinzumachen. Sondern um uns aufrichten zu lassen durch den, der im folgenden „Gloria“ als der besungen wird, der im wahrsten Sinne des Wortes allein über den Dingen steht: „Gloria in excelsis Deo“ - „Ehre sei Gott in der Höhe“. Was dieser Gott für die Menschen will, wird gleich zu Beginn klar gesagt: „Et in terra pax hominibus bonae voluntatis“ - „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Was wir im Alltag oft aus dem Blick verlieren und je mehr das geschieht, doch umso stärker herbeisehnen, wird hier klargestellt: Friede und Gerechtigkeit unter den Menschen sind zugleich Ziel und Aufgabe unseres Lebens. Wir sind gefragt, Position zu beziehen und uns zu bekennen. Wo stehe ich. Wo trägt mein Verhalten dazu bei, dass Friede und Gerechtigkeit werden können auf dieser Welt bzw. vielleicht erst einmal in den Beziehungen, in denen ich direkt lebe. Dabei kann ich denjenigen an meiner Seite wissen, der sein Leben für Menschen eingesetzt hat, denen man die Würde abgesprochen hat oder nicht mehr als Teil der Gesellschaft akzeptiert worden sind: Jesus Christus. Ihm ging es immer auch um den einzelnen als Teil des großen Ziels: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Und er hat diesen Weg durchgezogen bis zum Kreuz. Denn er hat dort sterben lassen, was an menschlicher Niedertracht anderen Menschen immer wieder den Tod bringt.

„Qui tollis peccata mundi“ heißt es in der Messe – „der du trägst die Sünde der Welt.“ Jesus hat all dem seine letzte Macht genommen. Nicht mehr das, was uns verzweifeln lassen will, wird das letzte Wort haben. Eigentlich ist es nur noch so stark, wie wir es stark sein lassen. Und so steht die Bitte um inneren und äußeren Frieden am Ende. Darum wollen wir bitten im folgenden Lied und dann auch in der Messe von William Byrd.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org