Motettenansprache

  • 22.10.2021
  • Reverend Dr. Robert G. Moore

Andacht

Motette in der Thomaskirche

22. Oktober 2021

The Rev. Dr. Robert Moore, Gastpfarrer und Vertreter der Evangelisch-lutherische Kirche in Amerika

 

Liebe Motettengemeinde, die Winternächte kommen bald, und ich denke an die Tage meiner Jugend in Texas. Als ich mit vierzehn Jahren Auto fahren durfte, konnte ich zu Freunde auf dem Land fahren. Auf der flachen Ebene der texanischen Topografie war der Himmel wie ein enormes Zelt pointiert mit Lichter. Damals in den fünfziger Jahren gab es keine großen Quecksilberdampflampen auf den Bauernhöfen. Das Land war dunkel, fast schwarz, sodass die Sterne wie Bälle von Lichten waren. (Jetzt kann ich verstehe, wie ich, seitdem ich Kind war, mit van Goghs „Sternennacht“ von Anfang an fasziniert bin.)

Ich bin immer noch bei Nacht von Ehrfurcht ergriffen, wenn meine Augen den Schweif der Milchstraße folgen und ich an Tausende, Millionen, ja, Milliarden von Sternen schauen, die mich umschließen. Es ist manchmal mir zu viel. Ich bin zu klein. Dennoch bekomme ich eine Ahnung von Gott, eine Ahnung, die gleichzeitig mich klein macht aber auch offen für das, was jenseits des Himmels ist, das was wir nie begreifen können aber was uns begriffen will. Wie Schiller das beschreibt, hören wir in seiner Ode, „An die Freude“.

Seid umschlungen, Millionen!

Diesen Kuß der ganzen Welt!

Brüder, über'm Sternenzelt

Muß ein lieber Vater wohnen.

Ihr stürzt nieder, Millionen?

Ahnest du den Schöpfer, Welt?

Such' ihn über'm Sternenzelt!

Über Sternen muß er wohnen.

 

Schiller legt Zeugnis ab, dass sein Erlebnis mit dem Sternennacht einen tiefen Sinn der Inklusivität und Respekt vor allen Menschen hat.

 

Deine Zauber binden wieder

Was die Mode streng geteilt*;

Alle Menschen werden Brüder*

Wo dein sanfter Flügel weilt.

 

Diese Erfahrung ist auch von dem deutschen Philosophen, Immanuel Kant, der schreibt, „"Zwei Dinge erfüllen den Geist mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und beständiger wir über sie nachdenken: der Sternenhimmel über mir und das moralische Gesetz in mir."

 

Der Psalmist, deren Gesang wir früher gehört haben, hat auch eine solche Erfahrung mit dem Himmel.

 

Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. Ein Tag sagt's dem andern, und eine Nacht tut's kund der andern, ohne Sprache und ohne Worte; unhörbar ist ihre Stimme. Ihr Schall geht aus in alle Lande und ihr Reden bis an die Enden der Welt. (Psalm 19,2-5)

 

Wie Schiller und Kant geahnt haben, so will der Psalmist zu Worte kommen lassen, was er in Bewunderung und Ehrfurcht spürt. Auch versucht er das Gefühl des Sollens zu erkennen. Wie der Wochenspruch lautet: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott (Micha 6, 8)

 

Natürlich als hebräischer Kantor des Tempels verbindet er seine Erfahrung mit der Tora, die lehrt, wie der Mensch mit Gott und seinen Mitmenschen umgehen soll. Das Verstehen der Tora zeigt den Weg zur Weisheit und zu Gott.

 

8 Das Gesetz des HERRN ist vollkommen und erquickt die Seele. Das Zeugnis des HERRN ist gewiss und macht die Unverständigen weise. 9 Die Befehle des HERRN sind richtig und erfreuen das Herz. Die Gebote des HERRN sind lauter und erleuchten die Augen. 10 Die Furcht des HERRN ist rein und bleibt ewiglich. Die Rechte des HERRN sind wahrhaftig, allesamt gerecht. 11 Sie sind köstlicher als Gold und viel feines Gold, sie sind süßer als Honig und Honigseim.

 

Genau da, wo das Sollen auf uns zukommt, entdecken wir, dass Gott schon in der Welt--seiner Schöpfung--ist. Die Wirkung Gottes ist spürbar, und der Sinn, dass Gott uns nicht nur lehrt aber auch verlangt, ist anwesend. Aber das Sollen und das Tun sind anders. Desto mehr wir erkennen, was Gott verlangt, desto mehr sind wir davon bewusst, dass wir es nicht schaffen können. Wir finden uns entfremdet von Gott, aber Gott ist genau der, den wir brauchen.

 

Deshalb gibt‘s noch eine gute Nachricht. Gott ist nicht nur jenseits der Welt. Gott verlangt nicht nur von uns was er will, sondern Gott kommt zu uns in Jesus Christus und teilt mit uns alles, darunter wir leiden, damit wir wissen können, wieviel Gott seine Schöpfung, ja, uns liebt.

Gott sendet seinen Geist, den Geist Jesu Christi, in die Welt, damit die ganze Schöpfung durch und durch lebendig wird. Jesus würde von der Welt und uns Menschen entgegengesetzt, bis er am Kreuz getötet wurde. Aber Gott hat durch den Geist Jesus wiederlebendig gemacht, damit das Kreuz nicht nur ein Instrument des Todes aber auch zu einem Instrument des Lebens gemacht wurde. So ein Wunder!

 

Der englische Pfarrer und dichter George Herbert hat das gut verstanden und zu Wort gebracht.

 

Erwache, meine Laute, und kämpfe um dein Teil

Mit all deiner Kunst.

Das Kreuz lehrte das ganze Holz, seinen Namen zu erklingen

Der denselben trug.

Seine gestreckten Sehnen lehrten alle Saiten, welche Tonart

Welcher Ton ist der beste, um diesen hohen Tag zu feiern.

 

Heute hören wir nicht nur von den Orgeln der Thomaskirche. Wir hören auch von einem Instrument aus Holz hergestellt. Das Barockcello tut sein Teil mit all seiner Kunst, uns zu helfen, an die Schönheit der Schöpfung und die Anwesenheit der Gottheit mit uns mitten im Leben.

Amen.