Motettenansprache

  • 17.05.2024
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Motettenansprache am 17. Mai 2024, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr – BWV 226 – Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf

Liebe Motettengemeinde,

„Mir fehlen die Worte“ - so sagen wir in überraschenden Momenten des Glücks oder der Verzweiflung. Sprachlosigkeit ist ein Ausdruck tiefer innerer Berührung. Gleichzeitig lässt sie uns mit dem sprachlos machenden Problem allein. „Gern würde ich ja beten, aber ich weiß nicht wie. Mir fehlen die Worte dafür“. Dem Apostel Paulus sind solche und ähnliche Aussagen begegnet als er sein theologisches Testament, den Römerbrief, schrieb. Eigene Erfahrungen von Sprachlosigkeit waren ihm nicht fremd. Das Gebet lag Paulus am Herzen und so versucht er zu trösten. Trost kommt nicht einfach plötzlich. Er entwickelt sich. Als ersten Schritt setzt Paulus an, seine Umgebung zu beschreiben:

Die Welt ist aus den Fugen geraten, sie ächzt und stöhnt ob einer Menschheit, die sich bekriegt, mordet und kaum Rücksicht auf Schwache nimmt. Die gerade gegründeten Gemeinden mussten Verfolgungen standhalten. Allgegenwärtig und allmächtig schien der römische Staat zu sein. Schnell verschlägt es da einem die Sprache. Allenfalls ist noch ein Wimmern zu hören oder Stammeln unverständlicher Worte.

Die Parallelen zu heute liegen auf der Hand, liebe Gemeinde. Der zunehmende Antisemitismus, die permanente Täter-Opfer-Umkehr, wenn es um verfolgte Juden geht, macht fassungslos. Folgenlos können auch hier mitten in Leipzig Menschen gegen Israel hetzen und Parolen herausschreien, die jeglichem Faktencheck nicht überstehen würden.   

Ein vor der Haustür wütender brutaler Krieg gegen die Ukraine nervt die meisten Menschen hier eher, als dass die Bereitschaft zu weiterer Solidarität für die um ihre und unsere Freiheit kämpfenden Schwestern und Brüder in der Ukraine steigt. Die Erde stöhnt, weil sie uns Menschen kaum noch tragen und ertragen kann.

Im Wimmern und Seufzen sind alle jene aufgehoben, denen die Kraft für Worte fehlt.

Paulus richtet sich mit seinem Trost an sie und schreibt im Römerbrief, Kapitel 8:

„Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. 27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will.“ Römer 8, 26f

 

Du brauchst nicht verzweifeln, wo Leid dir den Mund verschließt. Wenn du nicht weißt, was Du beten sollst, dann setze all dein Vertrauen auf deinen Fürsprecher, auf Gottes Geist. Das glaubt der Apostel aus tiefsten Herzen. Derjenige, der sich selbst oft genug als schwach erlebt hat, bezieht aus der Zusage Gottes seine Kraft und Stärke. „Meine Kraft vollendet sich in Schwachheit“. Denn Gott selbst hat durch Leid und Tod seines Sohnes am Kreuz die offensichtliche Niederlage in den Sieg der Auferstehung gewandelt. Im tiefsten Punkt eines gottverlassenen Sterbenden Menschen wird der Hoffnungskeim gelegt, der am Morgen des Ostertags mit der Kraft des neuen Lichtes aufging.

Johann Sebastian Bach verwendet in der eben gehörten Motette die Gedanken des Apostels und formt sie in tröstende Musik. Ein gewisses Maß an Heiterkeit schwingt im Chor mit, wenn er singt „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“. In der Tat kann es heiter stimmen, wo ich mich auf Gottes Geist verlassen darf. Das entbindet mich als Christ nicht vom eigenen Gebet. Aber eben in jenen Momenten, wo es nicht geht, wird ein anderer dies für mich tun – und sei es nur durch ein unaussprechliches Seufzen.

Vieles liegt in Gottes Hand, liebe Gemeinde. Demokratische Wahlen zählen gewiss nicht dazu. Dafür haben wir eigene Verantwortung.

Sie auch im Vorfeld wahrzunehmen, dafür brauchen wir aber manchmal auch Gottes Beistand.

Möge sein Geist uns leiten und stärken:

-damit wir nicht stumm bleiben, wo andere hetzen.

-damit wir unsere Sprache bewahren, wo andere sie zerstören wollen.

-damit wir denen eine Stimme geben, die resigniert haben.

-damit wir von Freiheit, Liebe und Verantwortung verkündigen, wo die Sehnsucht nach einem Führer groß ist.

 

So wie ich mich durch Gottes Geist in meiner Angefochtenheit vertreten lassen darf, liebe Motettengemeinde, so kann ich auch selber in den starken Momenten meines Glaubens für andere stellvertretend beten. Christliche Gemeinschaft wird gestärkt, wo wir uns gegenseitig anvertrauen und Sorgen miteinander im Gebet tragen helfen.

Sprachlosigkeit wird uns immer wieder überfallen. Seit den Worten des Apostels Paulus aus dem Römerbrief bedeutet Sprachlosigkeit jedoch nicht Hilflosigkeit. Sich dessen gewiss zu sein, dass es immer jemanden gibt, der meine Anliegen vor Gott bringt, wirkt ungemein entlastend. Die Perspektive ist klar – durch Tod und Leben zu dir dringen – heißt es am Ende des Chorales. Die Perspektive ist deshalb klar, weil einer dafür einsteht – Jesus Christus, von dessen Liebe uns nichts trennen kann. Amen. 

 

 

 

Gebet

Wir bitten Dich Herr, Jesus Christus, für alle, denen es schwer fällt zu beten, weil die Worte fehlen. Dein Geist hilft unserer Schwachheit und tritt für uns ein, wenn wir nur seufzen können.

Wir bitten Dich für die Enttäuschten, deren Gebete verhallen, die Gott als ganz weit entfernt von ihrer Lebenssituation wahrnehmen. Lass sie nicht verzweifeln. Wir bitten Dich, stärke unseren Glauben an Deine Liebe, die über alles Vorstellbare hinausreicht. Amen.