Motettenansprache

  • 24.06.2023 , Johannistag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette am 24. Juni 2023

Johann Sebastian Bach, Kantate BWV 167 „Ihr Menschen, rühmet Gottes Liebe“

Liebe Gemeinde,

wieso zankt sich das eine Paar bis zur Zerrüttung, während das andere ein Leben in zärtlichem Gleichklang miteinander verbringt? Wir werden älter, die Ehen dauern länger - zu lange für das, was wir bewältigen können? Wie kommt man angesichts dessen zusammen durch die Krise? Vielleicht kann man von den beiden alten Menschen lernen, von denen das Evangelium für den Johannistag erzählt, das zu unserer heutigen Kantate gehört: Zacharias und Elisabeth, die Eltern Johannes des Täufers. Sie bekamen keine Kinder. Vielleicht haben sie sich deshalb auch gezankt, wir wissen es nicht. Wir hören nur, dass es sie sehr bekümmerte. Es war nichts mehr zu erwarten. Sie blieben dennoch zusammen und haben es ausgehalten. Am Ende hat das Früchte getragen. Ein Kind kam, ein besonderes noch dazu, von dem es im zweiten Satz im Altrezitativ heißt, er sei derjenige, der dem „Welterlöser“ den Weg bereiten wird. Das erfährt zuerst Zacharias und kann es nicht glauben. Er denkt an seine Kraft, an das Alter seiner Frau – und vielleicht noch an all das, was einen nur an seine Bedenken denken lässt. Irgendwie menschlich, wenn man es rein biologisch betrachtet. Aber was, wenn es um die Frage geht: Was kann ich als Mensch an Neuem in diese Welt setzen – dann sieht die Antwort schon ganz anders aus. Denn wir sind ja nicht nur Wesen, hoffentlich (!) die biologisch mehr oder weniger etwas zustande bringen. Zacharias allerdings kann sich erst mal nicht vorstellen, dass es etwas Stärkeres gibt als seine Manneskraft. Vielleicht das Männerproblem – aber durchaus auch eins von Frauen, zu denken: Mehr als was ich bin und für möglich halte, kann es nicht geben. Zacharias repräsentiert etwas an uns, das wir als Menschen irgendwie in uns tragen. Eine seltsame Mischung, sich selbst zu überschätzen einerseits und sich allzu schnell selbst zu beschränken auf das Vorfindliche: Daraus kann nichts Lebendiges mehr hervorkommen.

Wahrscheinlich kennen das alle von sich selbst: Wo ich mich gegen etwas sperre, was ich dringend verändern müsste, wo ich eigentlich genau weiß, so kann ich nicht weitermachen - da bin ich blockiert. Und zwar in der Regel nicht nur in Bezug auf das, was ich verändern sollte, sondern gleich für alles andere mit. Da kommt nichts mehr, da passiert nichts mehr. Und wer an dem Punkt ist, dem mag, wie Zacharias, Schweigen auferlegt werden. Neun Monate. Wie eine Schwangerschaft. Interessant. Neun den Mund halten müssen. Nichts sagen, nichts posten, nichts twittern - eine besondere Art, schwanger zu gehen, auch für Männer möglich. Im wahrsten Sinne in Ruhe soll das Wort Gottes in ihm Gestalt gewinnen. Zacharias hat Zeit zum Denken, auch über das, was sein eigener Name bedeutet, nämlich: „Gott hat sich erinnert.“ Woran? An sein Volk. An seine Menschen. Und offenbar erinnert er sich, Zacharias, der Priester, an das, was er anderen möglicherweise predigt, was er für sich selbst aber nur schwer anzunehmen vermag: Was unsere Sehnsucht nach Heil und Erlösung stillt, ist schon auf dem Weg zu uns. Unsere Aufgabe ist es, empfangsbereit zu sein. Wir müssen nicht leben von unserer Selbstüberschätzung, wir müssten uns selbst retten. Oder von der Kargheit unserer Selbstbeschränkung!

Zacharias Zunge wird in dem Moment gelöst, wo er das Entscheidende selbst auf eine Tafel schreibt: Den, den er hervorgebracht hat in diesen neun Monaten männlich-schweigsamer Schwangerschaft, er soll „Johannes“ heißen: „Gott hat Gnade erwiesen“. Nach neun Monaten ist er fähig, auszudrücken, was Gottes Wege zu uns ausmacht. Und das auch gegen alles Dreingerede derer, die nichts anderes zu sagen haben als: So etwas hat es doch noch nie gegeben, daher kann es nicht sein. Seine Zunge wird gelöst und die Seele frei. Und nunmehr nicht nur alt, sondern auch weise geworden hat er begriffen: Nicht auf Stärke und Manneskraft kommt es an, sondern wie wir Gott an uns wirken lassen.

Das wird im Folgenden im Lukasevangelium an einer jungen Frau deutlich, die genauso eine Seite in uns repräsentiert wie der alte Mann Zacharias: die junge Frau Maria. Auch sie erschrickt vor dem, was der Engel ihr sagt, auch sie fragt, wie das zugehen mag, dass sie ein Kind bekommt ohne von einem Mann zu wissen. Aber sie ist schon weise und sie braucht im Gegensatz zu Zacharias keine neun Monate, um Ja zu sagen. Gegen Zweifel und Kleinmut: ja. Gegen alles Geschwätz und die erhobenen Zeigefinger der anderen: ja. Gegen die normative Kraft des Faktischen: ja. Ja, zu dem, was Sopran und Alt in ihrem Duett zur Sprache bringen: „Gottes Wort, das trüget nicht, es geschieht, was er verspricht.“ Hier wackelt nichts, da geht es musikalisch klar und fest nebeneinanderher. Wie zwei Zeugen, die das bestätigen, was Zacharias und Maria erfahren. Ich finde es bewegend, wie Bach mit der Oboe da caccia auf die alte christliche Ikonographie Bezug nimmt, in der der Engel Gabriel als Jäger dargestellt wird. Jedenfalls umfasst das Ritornell dieser Jagd-Oboe die 52 Töne des Buchstabenwerts des Namens Gabriel. In diesen Lobgesang von Sopran und Alt kann nunmehr ein stummer Zacharias einstimmen und „mit lauter Stimme Gott vor seiner Wundertat“ preisen, wie es im folgenden Bass-Rezitativ heißt.

Es ist ein genialer Zug des Evangelisten Lukas, uns die beiden Menschen Zacharias und Maria nacheinander vorzustellen, wie sie unterschiedlich reagieren aber doch auch in uns so nahe beieinander sind. Manche von uns sind eher Zacharias-Menschen, manche eher wie Maria, aber beide sind in uns. Und so gehen wir unterschiedlich an die Dinge heran, und es gibt unterschiedliche Wege für uns, die richtig sind. Aber für uns alle gilt, was Lukas und auch Bach am Ende seiner Kantate vom Chor bekennen lässt: Gott „woll in uns vermehren, was er uns aus Genad verheißt.“ Hier ist der Höhepunkt der Kantate erreicht. Alle Instrumente vereinigen sich hier erstmals - alle Zacharias- und alle Maria-Typen. Alle folgen der Aufforderung des Eingangssatzes: „Ihr Menschen, rühmet Gottes Liebe“. Mögen wir das im Stillen auch tun, wenn wir die Kantate nun hören.

Wir beten: Gott, unsere Zeit ist voll Unruhe und Streit. So bitten wir Dich, sende Deinen Frieden in unser Leben. Gibt Rat den Ratlosen, Kraft den Schwachen und Zuversicht den bangen Herzen. Lass uns glaubensvoll auf die Zukunft blicken. Du kommst zu uns - mach uns bereit, Dir entgegenzugehen. Mit Jesu Worten beten wir: Vaterunser….

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org