Motettenansprache

  • 12.11.2022
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette am 12. November 2022

Johann Ludwig Bach (1677-1731): „Unsere Trübsal“, Motette für sechs Stimmen

„Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige und über alle Maß wichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.“ (2. Korinther4, 17f.)

Liebe Gemeinde,

die Worte dieser wunderbaren Motette von Johann Ludwig Bach stammen aus dem 2. Korintherbrief.

Wie ist das zu verstehen mit der Trübsal, die „zeitlich und leicht“ ist? Das klingt ja erst mal so, als ob man einen Menschen in seinem Schmerz nicht so wirklich ernst nehmen würde. Wir sind ja schnell mal dabei, Trübsal weg reden zu wollen mit Sprüchen wie „Zeit heilt alle Wunden“. Wir meinen das gut, weil wir einem Menschen in seinem Schmerz etwas sagen wollen, was ihm guttut. Aber denken, es sei getan mit solch einem Allgemeinplatz, zumal uns auch nichts Besseres einfällt in dem Moment und wir nicht den Mut haben, zu unserer Hilflosigkeit zu stehen und das Schweigen mit dem oder der anderen auszuhalten. „Ihr seid leidige Tröster“, schleudert schon Hiob seinen Freunden entgegen, als sie ihm mit ihren plumpen Erklärungen für sein erlittenes Elend kommen und ihn „zuquatschen“ mit guten Ratschlägen.

Paulus, der diese Worte an die Gemeinde in Korinth schreibt, weiß darum, wie schwer es ist, Menschen gut zu trösten. Er erzählt ihnen nicht, was sie machen müssen oder wie es geht. Sondern er erzählt von sich, ausschließlich von sich – auch wenn er es im Plural tut. Wie er mit der Trübsal in seinem Leben umgeht. Wahrscheinlich war er krank, litt an den Folgen seiner Gefängnishaft, wurde unter Druck gesetzt. Aber trotz allem ist er darin gewachsen. Er hat sich weiterentwickelt. Denn er hat sich entschieden, in all dem nicht das Ende zu sehen. Sich sozusagen in die Abhängigkeit seines Leids zu begeben. Das wollte er nicht! Paulus hat es am Ende innerlich stark gemacht, als er sich entschieden hat, es anzunehmen als eine Etappe seines Weges. Eines Weges, der dem folgt, der das Leid aller Menschen ans Kreuz getragen hat, um es dort zu überwinden: Jesus von Nazaret. Das ist Paulus Perspektive: dass aus diesem Kreuz das neue Leben wurde. Es ist diese Perspektive, die ihm das ermöglicht, was Johann Ludwig Bach in seiner Motette auch vertont hat an den plötzlich beschwingt daher kommenden Stellen: Dass es möglich ist, das Leben auch wieder leicht und bewegt anzugehen trotz aller Narben und Verletzungen, die die Trübsal bei uns hinterlassen hat und die wir mit uns herumtragen.

Man muss sich nicht zum christlichen Glauben bekennen oder anderweitig religiös sein, um zu erfahren: Es können gerade diese Phasen im Leben sein, an denen ich wachse, an denen ich mich entwickle: Die Zeiten mit Schmerz und Tränen. Die Zeiten, in denen ich mich nach nichts mehr gesehnt habe als den Schmerz loszuwerden. Ob ich nun schwer krank war, ob ich getrauert habe oder was auch immer es war.

Natürlich: Wir können das nur für uns selbst sagen, dass wir da gewachsen sind und Paulus sagt es auch nur von sich selbst. Aber ich denke, es ist wichtig, dass diese Erfahrungen zur Sprache kommen unter uns, zumal wir immer wieder doch dem Wunschdenken nachhängen, unbeschadet durchs Leben kommen zu können. Dass alles prima läuft,  wenn wir es denn alles nur immer richtig machen, uns selbst optimieren und und und... Wahrscheinlich würde sich Ratgeberliteratur aller Art sonst gar nicht verkaufen. Sie aber handelt von dem, was Paulus als „das Sichtbare“ bezeichnet. Was berechenbar ist, was man aufwiegen kann. Ich verstehe Paulus so, dass er Mut machen will, davon loszulassen und sich dem zu überlassen, was sich im Vertrauen auf Gott entwickeln mag – auch gegen den Augenschein. Jede Lebensphase, auch die schwere, hat ihre besonderen Zeiten - und auch ihre besonderen Wunder. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org