Motettenansprache

  • 01.04.2023
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette am 1. April 2023

 

Liebe Gemeinde,

morgen beginnt die Karwoche. Wir hören die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem als Evangelium. Heute hören wir sie gleich in einer Vertonung von Johannes Matthias Michel, dem Chorleiter des Mannheimer Bachchors. Und wir singen alte Lieder wie das jetzt gleich nach dieser Ansprache: „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken, mich in das Meer der Liebe zu versenken, die dich bewog, von aller Schuld des Bösen uns zu erlösen.“ Und auch, wenn die Aufführungen der Johannespassion durch den Thomanerchor in dieser Woche gut besucht sein und Menschen tief ergriffen sein werden: Mit dem Leiden und der Kreuzigung Jesu – damit tun sich viele  schwer. „Wie könnt ihr eigentlich in Euren Kirchen heute immer noch das Bild eines grausam gefolterten Mannes in die Mitte stellen? Was für eine Botschaft geht davon aus?“ Viele fragen so. Und für andere gilt: Auch wenn sie die Johannespassion und Matthäuspassion hören und davon in ihnen etwas bewegt wird, können sie doch selbst nicht so einfach einstimmen in solche Choräle. Ist es also ein Kreuz mit dem Kreuz Jesu? Warum reden wir davon und in dieser Woche ganz besonders?

 

In der Tat will die vom Kreuz ausgehende Botschaft erschlossen werden. Sie erschöpft sich nicht in der Oberfläche des Geschehens. Aber gerade auf sie muss man schauen, wenn man tiefer sehen will um zu erkennen: Gerade das, was man hier an der Oberfläche wahrnimmt, diese Brutalität und Grausamkeit des Bösen – es hat gegen den Augenschein seinen Anspruch und seine Macht auf uns verloren. Aber was wir hier sehen, ist nicht irgendein Rätsel, sondern hat zu tun mit dem, was unsere Welt erlöst, was sie befreit aus Tod, Dunkelheit und auch matter Dumpfheit. Denn in diesem Menschen Jesus hat Gott selbst das größte, vorstellbare menschliche Elend aufgesucht. Das Leid aller Gefolterten und um ihres Glaubens willen Verfolgten. Das Leid derer, die man sprachlos und mundtot macht und der Vergessenheit anheimfallen lassen will. Die schier unendliche Brutalität und Menschenverachtung, zu der Menschen aller Zeiten fähig waren und es leider wohl auch immer bleiben werden.

 

Wie unerträglich wäre dieses Leben und diese Welt, wenn es keinen Karfreitag gegeben hätte. Wenn Gott nicht an unserer Seite stehen würde überall dort, wo Menschen dieses Leid erfahren, wenn er unberührbar wäre dafür. Er hat es in Jesus am eigenen Leibe erlitten. Und gerade dadurch besiegt, dass er es erlitten hat. Dass er den Menschenhass, der die Lust am Elend und Leid des anderen genießt und sich dadurch auferbaut fühlt, mit ans Kreuz nimmt, ja selbst ans Kreuz nagelt. Den Hass der gaffenden Menge, das Johlen des selbsternannten und selbstermächtigten Volkswillens, dieses „Kreuzige ihn“ und „Soll er sich doch selber helfen“. All das passiert ja nicht nur auf Golgatha: die Kreuzigung der Menschlichkeit. Sie passiert in Butscha, in Mariopol, in Charkiw…

 

Lesen Sie in dieser Woche doch mal die Passionsgeschichten der Evangelien. Hören Sie die Matthäus-oder Johannespassion von Bach, die Chöre, die Rezitative und die Arien: Es kommt alles vor in dieser Geschichte: Alle Niedertracht und Bosheit, die dem anderen ins Gesicht spuckt und ihn demütigt, bis alle Hemmungen fallen, ihm Gewalt anzutun ohne Sinn und Verstand dem puren, nackten Hass freien Lauf zu lassen. Das kommt hier alles vor – diese Geschichten sind auch unsere Geschichten, wir sind mittendrin – und ich denke, das ahnen viele, die von dieser Musik ergriffen sind. Und sich sehnen, dass es daraus einen Ausweg geben möge.

 

All das aber, und das ist nun das tiefere Geschehen unter der Oberfläche, nimmt Jesus mit in den Tod. All die Niedertracht, den Hass. Das alles soll sterben, es muss aus der Welt, anders geht es nicht. Und das ist es, was aus diesem furchtbaren Mordwerkzeug für viele ein Zeichen des Trostes macht: Wo wir das Kreuz als ersten Schritt zur Überwindung und Verurteilung dieser destruktiven, tödlichen und jede menschliche Beziehung zersetzenden Kräfte sehen. Und wo wir uns bei seinem Anblick daran erinnern: Kein Gefühl von Angst oder Verunsicherung rechtfertigt offenen Hass auf andere Menschen, nichts rechtfertigt Gewalt an Leib und Seele. Das gehört – gerade auch angesichts all dessen, was wir jeden Tag in den Nachrichten sehen - auch zur Botschaft vom Kreuz. Und darum steht es im Mittelpunkt. In dieser Woche ganz besonders. Amen.

 

Gebet

Unser Gott,

im Kreuz Jesu bist Du ganz an unsere Seite gekommen. Hilf uns zu tragen, was uns in unserem Leben immer wieder die Kraft und den Mut rauben will.

Wehre aller Ängstlichkeit, allem Kleinglauben und all dem, was dadurch in uns ausgelöst wird. Sei an der Seiter derer, die leiden, die in Angst sind, auf der Flucht vor Krieg oder in Ungewissheit um ihr Leben und das ihrer Kinder. Hilf uns, dass wir uns damit nicht abfinden und resignieren. Erhalte uns den Blick für den anderen – und lass uns menschlich bleiben.

Mit Jesu Worten beten wir: Vaterunser…

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org