Motettenansprache zu BWV 25 - Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe

  • 09.09.2023
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motettenasprache zu BWV 25 - Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe 9. September 2023 

 

Liebe Motettengemeinde,

der Intendant des Bachfests Michael Maul hat mir neulich verraten, wie die heutige Bach-Kantate in Fachkreisen auch genannt wird: die Chefarzt-Kantate! „Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe“ beginnt der Eingangschor und das erste Rezitativ schließt sich an mit der Feststellung: „Die ganze Welt ist nur ein Hospital.“ Und alles in dieser Kantate läuft ab wie im akuten Krankheitsfall, es gibt eine Anamnese, also die Aufzeichnung der Krankheitsgeschichte, eine Rezeptur und eine Anwendung. Und so werden im Tenorrezitativ alle möglichen Krankheiten aufgezählt, die das Innere des Menschen, seine Seele befallen können von Kind an: das „hitzige Fieber böser Lust“, der „Ehre hässlicher Gestank“, auszehrende „Geld-Sucht“, die ganze Palette ist dabei, was den Menschen innerlich durchwühlt, alle Lebenslagen. Und durch alle musikalischen Lagen wird folglich auch der arme Tenorsolist geschickt. Nun, hier wird deutlich, was Bach bzw. sein Textdichter hier tun: sie wenden ihre biblische Vorlage von der Heilung der zehn Aussätzigen auf das Innere des Menschen bzw. der ganzen Menschheit an. Niemand kann dieser Sorte „Aussatz“ entgehen, diesen, wenn man so will „Seelenkrankheiten“.

Wie würden wir sie heute nennen? Vielleicht: „Geltungs-Sucht“; „akuter Empathie-Verlust“, „drastisch erhöhter Erwartungsanspruch an andere“, „chronischer Missmut“, „schwere Neigung zum Dauerbeschweren“. Oder gar: „heftige Vergesseritis gepaart mit teilweisem Gedächtnisverlust in Bezug auf eigenes Fehlverhalten“. Und so weiter. Egal was, alles hat in der Kantate eine gemeinsame Ursache: „den ersten Fall“. Auch genannt: der Sünden-Fall. Jetzt denken Sie vielleicht an Adam und Eva – und das zurecht. Denn was ist dieser erste Fall anderes als „sein zu wollen wie Gott“? Dieser erste Fall liegt ja keineswegs in der Vergangenheit. Adam und Eva bilden die Menschheit als Ganzes ab bis in die Gegenwart und sie stehen für den Menschen, der sich sagt: Eigentlich weiß und kann ich es alles selbst auf dieser Welt, ich brauche keinen Gott mehr, denn eigentlich bin ich es selbst und möchte doch bitte von den anderen auch als solcher gesehen und behandelt werden…

Zugegeben: Das ist jetzt etwas überspitzt. Aber eigentlich ist es die Ursache dafür, dass sich all diese hochansteckenden Leiden immer wieder und immer weiter unter uns ausbreiten. Und niemand, niemand davor gefeit ist. Der Sänger der Bassarie weiß das und er sucht einen Ausweg, er sucht den Arzt, der ihn davon heilen kann mit suchenden musikalischen Bewegungen. Was er immerhin wohl schon gehört hat: Es gibt nur ein Kraut, das gegen die Folgen dieser Leiden gewachsen ist: „die Salb aus Gilead“. In biblischen Zeiten war das ein geschätztes Heilmittel aus Harz und Gewürzen aus dem Gebiet Gilead, später wurde es zum Symbol für universelle Heilung und dann auch auf Jesus und seine heilende Macht angewendet. So übernimmt der Bass die Rolle des einen Geheilten aus der biblischen Geschichte, der weiß: Ihm hilft nur eine „Seelenkur“. Einfach so weiter machen wie bisher wie es die anderen neun tun, sich kurz dem Priester zeigen und gut ist - das ist nicht nachhaltig. Der geheilte Samariter geht wie der Arienbass in die Beziehung. Er sucht, was ihm dauerhaft hilft, mit diesen inneren Seelenkrankheiten umzugehen und sie nicht mehr über sich herrschen zu lassen. Diese Suche lässt sich musikalisch hören – und am Ende findet er, was ihn dauerhaft heilt. Der Sopran nimmt das im folgenden Rezitativ auf und spricht aus, was ganz konkret hilft. Dem zu begegnen, der alle Todes-und Krankheitsmächte besiegt hat: Jesus, dem Arzt, ja – und wenn man so will „Chefarzt“, denn er steht damit deutlich über der Heilkunst aller irdischen Ärzte. Sie werden dadurch natürlich nicht überflüssig. Aber ohne das Medikament, das Jesus anbietet, wird es keine langfristig erfolgreiche Seelenkur geben. Was er verschreibt, ist der Rat: Mensch, lebe vor allem dankbar. Mache Dir bewusst, was alles nicht selbstverständlich ist in Deinem Leben und was Du Dir auch keineswegs allein verdankst: dass Du gesund bist oder zumindest einigermaßen lebensfähig. All die Menschen, die uns lieben und sich um uns bemühen. Dass wir hoffen können, und immer wieder neue Kraft bekommen, dass wir eben nicht verzweifeln müssen an den allerlei auf den ersten Fall zurückzuführenden Gebrechen. Wir können mit ihnen leben. Wenn wir unser Leben aus der Grundhaltung des Dankes leben, dann bestimmen wir darüber, wie weit sie uns plagen dürfen – und nicht sie. Jesus hat die Todesmächte damit überwunden, dass er die Menschen liebte, so wie sie bzw. wie wir nun mal sind.

Wir sind nicht Jesus und können nicht alle lieben, schon gar nicht mögen. Aber wir können uns bemühen und das wird eine Seelenkur sein, die in uns manches aufzubrechen vermag, was sich da verhärtet oder chronifiziert hat. Als dankbarer Mensch zu leben, in der Sopranarie zeigt sich, was das verändern kann. Der düstere Duktus des Eingangchors ist endgültig aufgehoben. Der dort von Posaunen und Zink eingepflegte Choral „Ach Herr, mich armen Sünder“ ist verklungen. Die Perspektive verändert sich, die Musik wird zart, liedhaft, tänzerisch. Es ist fast wie Engelsmusik, die der Chor der drei Blockflöten jetzt im Wechsel mit dem oboenverstärkten Streicherchor anstimmt. Unser Dank macht es leichter im Leben, wir sind milder gestimmt, können dem anderen gegenüber nachsichtiger sein, vielleicht sogar freundlicher. In dieser Grundhaltung wird dann auch leichter und erfolgreicher möglich sein, was um der Gesundung unserer Welt willen auch sein muss: konstruktiver Streit, das Ringen um das Richtige und Nötige für unsere an so vielem erkrankte Welt.

Darum wollen wir Gott gemeinsam bitten und beten:

Gebet

Unser Gott, wir danken Dir für alles, was wir in dieser Woche empfangen durften an Gutem. Wir legen Dir ans Herz, was nicht so gut war und womit wir noch zu kämpfen haben. Hilf Du, dass es uns nicht zu sehr belastet. Und wir bitten Dich für alle, denen der Dank für ihr Leben im Moment schwerfällt. Für sie und uns alle beten wir mit den Worten Jesu…

 Vaterunser….