Predigt am Palmsonntag (VI) über Phil. 2, 5-11 (Christushymnus)

  • 24.03.2024 , 6. Sonntag der Passionszeit - Palmarum
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Predigt Palmsonntag (VI) über Phil. 2, 5-11 (Christushymnus)

Abendgottesdienst St. Thomas mit Abendmahl, mit Gospelchor

24.3.2024, 18 Uhr

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus.

 

[Stille]

 

Ich brauche ein Kreuz. [ich schaue mich um.]

Ich brauche ein Kreuz. [fragend suchen]

Lieber Organist: Ich brauche ein Kreuz. Könntest Du mich bitte dabei unterstützen?

 

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Ihr werdet es hören: Das Kreuz wird sich durch die Geschichten ziehen, die ich Euch gleich erzählen möchte.

Wieso aber das Kreuz? Jesus wird am Kreuz sterben, hingerichtet von einem römischen Statthalter. Jesus ist am Kreuz gestorben. Wir sind frei.

Das will so gar nicht passen zur Geschichte vom Einzug in Jerusalem, die wir gerade gehört haben. Mensch, da wurde gejubelt! Da wurde gerufen: Hosianna – Gelobt sei Gott!!

 

Ich möchte uns einen Satz aus der Bibel lesen. Er steht im Brief an die Gemeinde in Philippi, einer der ältesten christlichen Gemeinden; im heutigen Makedonien gelegen. Eigentlich hat der Apostel Paulus diesen Brief geschrieben, doch hier am Anfang (im 2. Kapitel, 5-11) haben wir es mit einem Lied, einem Hymnus zu tun, der viel älter als Paulus ist. Das Lied besingt das Unglaubliche an Jesus Christus:

 

Verse 7 und 8 [Basisibibel]:

Er legte die göttliche Gestalt ab

und nahm die eines Knechtes an.

Er wurde in allem den Menschen gleich.

In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch.

8Er erniedrigte sich selbst

und war gehorsam bis in den Tod –

ja, bis in den Tod am Kreuz

 

Das ist doch total verrückt: Wir feiern Palmsonntag, wir jubeln, rufen „Gelobt sei Gott!“. Und sollen gleichzeitig an Jesu Tod am Kreuz denken, an dieses furchtbare qualvolle Sterben, das Gott seinem Sohn bestimmt hat!!

 

Liebe Leute heute Abend hier in der Thomaskirche, ich will euch auf einen Gang durch die Stadt Jerusalem damals vor 2.000 Jahren mitnehmen. Doch lasst uns nicht die Hauptstraße nehmen. Dort ist Getümmel, dort ist Jubel, da wird Jesus begrüßt, werden Zweige von den Palmen gerissen und Mäntel vor seinem Reittier ausgebreitet. Nein! Lasst uns die kleinen Wege, die Trampelpfade hinter den Häusern nehmen. Wir gehen dort entlang, wo man durch die schmalen Fenster von hinten in die Häuser hineinblicken kann.

 

Das erste Haus, in das ich unentdeckt einen Blick werfe, vereint eine Bäckerei  und eine Weinhandlung unter seinem Dach. Die Bäckermeisterin prüft gerade die Vorräte an Weizenmehl, der Kellermeister, ob die Weinamphoren gefüllt sind. Beide sind gut vorbereitet auf den Andrang von Menschen, den sie zum Passahfest, einem der drei goßen jüdischen Feste, erwarten. Sie können nicht ahnen, dass sie auch das Brot und den Wein für das Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern feiern wird, liefern werden. Es wird deren letztes Zusammensein in der vertrauten Runde sein.

(Herr Kantor, ich brauche ein Kreuz.)

 

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Ich gehe weiter. Der Weg führt jetzt an einer langen hohen Mauer vorbei. Endlich ein kleines Fenster, durch das ich einen Blick ins Innere werfen kann. Nun begreife ich: Die lange Mauer gehört zu einem Kasernenhof. Ich sehe römische Soldaten, die gerade vom Exerzieren kommen. Sie können nicht ahnen, dass sie in ein paar Tagen den Befehl erhalten und ausführen werden, Jesus von Nazareth, den sogenannten König der Juden, gefangen zu nehmen.

(Herr Kantor, ich brauche ein Kreuz.)

 

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Und wieder habe ich ein Stück der Stadt Jerusalem umrundet und bin von hinten an ein Haus herangetreten. Es ist die Werkstatt eines Zimmermanns. Gerade hat er sechs grob behauene, riesige Holzbalken in der Mitte des Raums abgeladen. Er flucht vor sich hin. Schon wieder soll ich Kreuze zimmern; drei auf einmal sollen es diesmal sein. So eine Zeitvergeudung, so eine Verschwendung des kostbaren Baustoffs Holz. Nur, um Menschen auf grausame Weise umzubringen.

(Herr Kantor, ich brauche ein Kreuz.)

 

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Erschüttert gehe ich weiter. Ich gelange an die Rückseite eines strahlend weiß getünchten prächtiges Hauses. Vorsichtig blicke ich in eins der Zimmer. Es ist die Kemenate der Frau des römischen Statthalters Pontius Pilatus. Mitten am Tag hat sie sich einen Moment hingelegt. Denn nachts träumt sie schwer und schläft schlecht. Sie schöpft nachts keine Kraft. Ihre schweren Träume: sie haben sich oft schon bewahrheitet.

(Herr Kantor, ich brauche ein Kreuz.)

 

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Und schließlich komme ich bei einer kleinen Herberge an. Maria, die Mutter Jesu, ist hier für ein paar Tage in einem Gastzimmer untergekommen. Sie hat sich von der Rezeption ein Bügeleisen geben lassen. Ich sehe, wie sie Taschentücher aus Leinen bügelt, einen hohen Stapel. Bald wird sie die Tücher brauchen für die nicht enden wollende Flut ihrer Tränen. Sie ist erfüllt von der Ahnung, dass ihr Sohn eines grausamen Todes wird sterben müssen. Das Herz ist ihr schwer. So schwer.

 

Anna Iwanowna in Moskau – ihr Sohn hat den Einberufungsbefehl bekommen, bald zieht er in den Krieg. Sie bügelt Taschentücher, einen ganzen Stapel davon. Bald wird sie die Tücher brauchen für die nicht enden wollende Flut ihrer Tränen. Das Herz ist ihr so schwer.

Switlana, eine Mutter in Kiew. Bald wird sie die Tücher brauchen für die nicht enden wollende Flut ihrer Tränen. Ihr Herz, so schwer.

Shoshana, eine Mutter in Tel-Aviv. Bald wird sie die Tücher brauchen. Das Herz so schwer.

Aleyna, eine Mutter in Ramallah. Bald wird sie die Tücher brauchen. Für die Flut ihrer Tränen.

Alle diese Frauen bügeln, falten stapelweise Taschentücher und legen sie bereit, gefasst darauf, was kommen wird: der Tod ihres Sohnes.

Das Herz ist ihnen so schwer.

 

Maria blickt auf in ihrer Kammer und durch die Zeiten hindurch zu uns und unseren Söhnen.

(Herr Kantor, ich brauche ein Kreuz.)

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Das alte Christuslied singt von Jesus Christus rätselhaft und prophetisch weiter:

 

Verse 9 und 11:

„Deshalb hat Gott ihn hoch erhöht:

Er hat ihm den Namen verliehen,

der hoch über allen Namen steht.

Jesus Christus ist der Herr.“

 

Jesus Christus ist der Herr.

 

Ich verlasse meinen Pfad entlang der Stadtmauer. Ich werfe einen letzten Blick zurück auf die rückseitigen Fensteröffnungen, durch die ich gerade gespät habe:

die Bäckerei, den Weinkeller, die Kaserne der römischen Soldaten, die Werkstatt, in der die Kreuze zusammengezimmert werden, das Zimmer der schwer träumenden Frau von Pontius Pilatus und schließlich Marias Herbergskammer.

Ich lasse sie hinter mir und biege wieder ab auf die Hauptstraße von Jerusalem. Da ist Getümmel, da ist Gedränge da ist fast kein Durchkommen. Da sind sie, die Massen. Sie jubeln. Sie rufen: „HOSIANNA Jesus Christus ist der Herr.“

Ich bleibe stehen. Ich werde angerempelt und überholt. Ich lasse mich zurückfallen. Und denke:

„Jesus Christus ist der Herr.“ - Wenn ihr wüsstet, was auf ihn zukommt.

(Herr Kantor, ich brauche ein Kreuz.)

 

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Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernuft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christus Jesus. Amen.

 

Dr. Almuth Märker

Prädikantin an St. Thomas

almuth.maerker@web.de