Predigt am Reformationstag über Johann Sebastian Bach: Kantate BWV 163 und Matthäus 22,15-22

  • 31.10.2023 , Reformationstag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt am 31. Oktober 2023 (Reformationstag)

 Johann Sebastian Bach: Kantate BWV 163 und Matthäus 22,15-22

„Nur jedem das Seine!", BWV 163

Kantate für den 23. Sonntag nach Trinitatis (Vermutliche Leipziger Erstaufführung 31.10.1723)

1. Arie Tenor

Nur jedem das Seine!

    Muss Obrigkeit haben

    Zoll, Steuern und Gaben,

    Man weigre sich nicht

    Der schuldigen Pflicht!

    Doch bleibet das Herze dem Höchsten alleine.

 

2. Rezitativ Bass

Du bist, mein Gott, der Geber aller Gaben;

Wir haben, was wir haben,

Allein von deiner Hand.

Du, du hast uns gegeben

Geist, Seele, Leib und Leben

Und Hab und Gut und Ehr und Stand!

Was sollen wir

Denn dir

Zur Dankbarkeit dafür erlegen,

Da unser ganz Vermögen

Nur dein und gar nicht unser ist?

Doch ist noch eins, das dir, Gott, wohlgefällt:

Das Herze soll allein,

Herr, deine Zinsemünze sein.

Ach! aber ach! ist das nicht schlechtes Geld?

Der Satan hat dein Bild daran verletzet,

Die falsche Münz ist abgesetzet.

 

3. Arie Bass

Lass mein Herz die Münze sein,

Die ich dir, mein Jesu, steure!

Ist sie gleich nicht allzu rein,

Ach, so komm doch und erneure,

Herr, den schönen Glanz bei ihr!

Komm, arbeite, schmelz und präge,

Dass dein Ebenbild bei mir

Ganz erneuert glänzen möge!

 

4. Arioso (Duett) Sopran, Alt

Ich wollte dir,

O Gott, das Herze gerne geben;

Der Will ist zwar bei mir,

Doch Fleisch und Blut will immer widerstreben.

Dieweil die Welt

Das Herz gefangen hält,

So will sie sich den Raub nicht nehmen lassen;

Jedoch ich muss sie hassen,

Wenn ich dich lieben soll.

So mache doch mein Herz mit deiner Gnade voll;

Leer es ganz aus von Welt und allen Lüsten

Und mache mich zu einem rechten Christen.

 

5. Aria (Duett) Sopran, Alt

Nimm mich mir und gib mich dir!

Nimm mich mir und meinem Willen,

Deinen Willen zu erfüllen;

Gib dich mir mit deiner Güte,

Dass mein Herz und mein Gemüte

In dir bleibe für und für,

Nimm mich mir und gib mich dir!

 

 

6. Choral

Führ auch mein Herz und Sinn

Durch deinen Geist dahin,

Dass ich mög alles meiden,

Was mich und dich kann scheiden,

Und ich an deinem Leibe

Ein Gliedmaß ewig bleibe.

 

Only to each his due!

Since the authorities must have

tolls, taxes and gift,

we should not refuse

the duty that we owe!

But our heart continues to belong to the Almighty alone.

 

You are, my God, the giver of all gifts;

We have what we have

only from your hand.

You, you have given to us

spirit, soul, body and life

and property and goods and honour and status!

What should we

pay in gratitude,

since all our possessions

belong only to you and are not really ours at all?

But there is stll one thing, God,

that is pleasing to you:

the heart alone shall be,

Lord, the coin to pay the interest we owe to you.

Ah, but alas! is it not worthless currency?

Satan has damaged your image on it,

the counterfeit coin has been put in circulation.

 

 

Let my heart be the coin

that I pay you!

If it is at first far from pure,

ah, then come and renew,

Lord, its fine gleam!

Come, work on it, melt it amd stamp it

so that your image in me

completely renewed may shine forth!

 

 

To you I wanted,

O God, to give my heart willingly;

I do indeed have the will

but flesh and blood are always striving against it.

So long as the world

keeps my heart prisoner,

it will not allow its loot to be taken away.

I must indeed hate the world.

if I am to love you.

Therefore make my heart full of your grace,

empty it completely of the world and all its pleasures and make me a true Christian.

 

 

Take me from myself and give me to you!

Take me from myself and my will,

to fulfil your will.

Give yourself to me with your goodness

so that my heart and mind

may remain in you for ever.

Take me from myself and give me to you!

 

 

Lead both my heart and mind

through your spirit away from here

so that I may avoid everything

that can separate me and you

and so that in your body

I may remain a member for ever.

 

Text: Salomo Franck 1715; 6. Johann Heermann 1630

15 Da gingen die Pharisäer hin und hielten Rat, dass sie ihn fingen in seinen Worten, 16 und sandten zu ihm ihre Jünger samt den Anhängern des Herodes. Die sprachen: Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen. 17 Darum sage uns, was meinst du: Ist’s recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt, oder nicht? 18 Da nun Jesus ihre Bosheit merkte, sprach er: Ihr Heuchler, was versucht ihr mich? 19 Zeigt mir die Steuermünze! Und sie reichten ihm einen Silbergroschen. 20 Und er sprach zu ihnen: Wessen Bild und Aufschrift ist das? 21 Sie sprachen zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! 22 Als sie das hörten, wunderten sie sich, ließen von ihm ab und gingen davon.

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

wie bei Glockenweihe schon angeklungen, können wir heute die Erweiterung unseres Geläuts abschließen. Sie wird gekrönt mit der kleinsten Glocke, der Sakristeiglocke, die hier in Leipzig im September von Friedemann Szymanowski gegossen wurde - in der Bronzebildgießerei Noack wie das Bachdenkmal. Vor genau zwei Jahren haben wir ihre größeren Geschwister im Turm geweiht. Und nun die kleinste am Reformationstag vorstellen zu können, passt nicht nur aus diesem Grund.  Denn sie führt uns vor Augen und Ohren, was sich in uns Sonntag für Sonntag, in unserem Inneren durch Wort und Musik im Gottesdienst erneuern lassen sollte, reformieren. Dass wir uns neu ausrichten auf den, dessen Namen wir tragen und dem wir nachzufolgen versuchen: „Jesu, meine Freude.“ Das ist dieser Glocke eingeprägt, er ist ihre Zier, dieser Anfang des Chorals von Johann Franck, den Bach zur Grundlage einer seiner Motetten gemacht hat: „Jesu, meine Freude, meines Herzens Weide, Jesu meine Zier. Ach, wie lang, ach lange ist dem Herzen bange, und verlangt nach dir. Gottes Lamm, mein Bräutigam, außer dir soll mir auf Erden nicht sonst Liebers werden.“

Unsere bangen Herzen immer wieder von Neuem auf Jesus Christus ausrichten - das brauchen wir. Denn wir kommen Woche für Woche oder auch in größeren Abständen mit all dem, was sich in unseren Herzen an Bangem angehäuft hat. Was uns Angst macht. Was uns bedrückt, traurig macht, verunsichert, wo wir manchmal gar nicht richtig weiterwissen, wie soll das eigentlich alles weitergehen. „Jesu, meine Freude“ - auf der Glocke sind diese Worte eingeprägt, auf dass sie sich auch uns immer wieder neu einprägen. Denn worum geht es denn in jedem Gottesdienst, worum geht es beim Fest des Reformationstags ganz zentral: Dass wir hier etwas hören, erfahren in Wort und Musik, was uns hilft, mit unseren Ängsten umzugehen. Vor der Welt, vor dem Leben – vielleicht sogar vor uns selbst. Und vielleicht auch vor Gott – oder unserem Zerrbild von Gott, wie es bei Martin Luther war?

„Jesu, meine Freude“ - Vielleicht kann das die zentrale Botschaft des Reformationstags 2023 sein angesichts all dessen, was wir ahnen, was noch kommen wird an Schrecklichem, womit noch zu rechnen ist in diesen Zeiten: Jesus ist der, der uns die Angst vor unseren Ängsten nehmen kann und nehmen will. Und das funktioniert dann, wenn wir uns immer wieder an ihm ausrichten. Vielleicht auch, uns immer wieder an ihm abarbeiten. An ihm, an seinem Wort des Evangeliums und bereit zu bleiben, sich davon immer wieder korrigieren, verändern, aber eben auch neu aufrichten und neu ermutigen zu lassen. „Jesu, meine Freude.“ In dem in diesem Jahr 20 Jahre alt werdenden Spielfilm „Luther“ mit großen Schauspielern wie Peter Ustinov, Bruno Ganz und Joseph Fiennes gibt es eine Szene, in der dieses zentrale Thema der Reformation „Jesu, meine Freude“ oder auch „Solus Christus – allein Christus“ deutlich wird: Erlöst zu werden von der Angst vor der eigenen Angst – so dass das Herz nicht mehr bange ist.  Luthers Mentor und Beichtvater Staupitz, großartig gespielt von Bruno Ganz, erlebt mit, wie der Mönch Martin Luther in seiner Zelle vor Angst vor dem Teufel und dem Zorn Gottes fast vergeht. Heute würde man sagen: eine Panikattacke erleidet. Er ist außer sich vor Angst, seinen selbstgesetzten Ansprüchen als Mönch nicht zu genügen, zu schlecht, zu schwach zu sein, ein Mensch, den seine Selbstzweifel fast umbringen des Nachts. Staupitz redet ihm gut zu: Gott hat andere Sicht auf Dich als Du sie selbst hast. Er ist in Jesus Christus selbst Deinen Weg gegangen, er hat Deine Ängste ausgestanden, um sie zu überwinden. Du dagegen jagst etwas nach, was in Dir ist, einer Verzerrung eines Gottes, der Dich liebt. Und er legt ihm sein Umhängekreuz in die Hand. Ergreife es und wenn Dich die Zweifel zermürben, dann sage: „Ich bin dein, erlöse mich.“ Die Anspannung des Mönches löst sich, er wird ruhig, er kann wieder klar denken. Und kann seinen Weg gehen, für den er so viel Mut aufbringen muss. Ich habe den Film 20 Jahre lang mit allen Konfirmanden rauf und runter geschaut, weil abzüglich von Pathos und historischer Unschärfe das Wichtigste deutlich wird, was die Reformation für uns persönlich ausgetragen hat: Keine Angst vor der eigenen Angst haben zu müssen. Dem bangen Herzen entgegenhalten zu können: „Jesu, meine Freude.“ Hier ist mein Halt im Leben und im Sterben. Und all meine Lebensangst kann ich auf dieser Basis einordnen und ihr ihren Platz so zuweisen, dass sie mich nicht mehr so einfach bestimmen kann.

Da immer wieder aufstehen zu können, immer wieder umzukehren, darum geht es! Wir erinnern uns an die erste der 95 Thesen: „Wenn unser Herr Jesus Christus sagt, kehrt um, dann will er, dass das ganze Leben der Gläubigen eine Umkehr sein soll.“ Luther hatte das damals auf das in seiner Umsetzung „verlotterte“ Buß-Sakrament der Kirche bezogen, das durch die Ablasspraxis voll und ganz diese Möglichkeit umzukehren aus den Augen verloren hatte. Was „Umkehr“ heißt, wollte Luther deutlich machen. „Metanoia“ – das ist eine grundlegende Umkehr im Denken: dass Christus für meine Erlösung gesorgt hat und ich sie nicht selbst erringen muss. Immer wieder muss das von Neuem in mein Herz und in meinen Kopf.

Und das zieht sich durch bei Luther. „Ecclesia semper reformanda“, die Kirche hat sich immer wieder zu reformieren und ja, damit und nur damit fängt es doch an, jede und jeder von uns im eigenen Innern, immer wieder Sonntag für Sonntag von neuem „Jesu, meine Freude, meines Herzens Weide“. Großartig ist das in der heutigen Kantate geschildert, die Bach schon in Weimarer Zeiten für einen anderen Sonntag im Kirchenjahr komponiert, die er aber dann aber aus gutem Grund am Reformationstag 1723 hier aufgeführt hat. Eine Begebenheit aus Matthäus 22 liegt ihr zugrunde. Die Fangfrage der Pharisäer, ob man dem Kaiser Steuern zahlen müsse. Jesus kontert sie, indem er sich eine Münze geben lässt mit dem Konterfei des Kaisers. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Es ist das Herz, unser Herz, dem so oft bange ist und so lang. Bach macht das gleich in der ersten Arie deutlich: „Nur jedem das Seine“ – der Obrigkeit „Zoll, Steuern und Gaben“, damit sie ihre Arbeit machen und die Gesellschaft überhaupt funktionieren kann. Aber das Herz bekommt sie nicht: „Doch bleibet das Herze dem Höchsten alleine.“ Bach vertont damit die offizielle protestantische Absage an alle Mächte politischer, religiöser oder sonstiger Art, die sich an die Stelle Gottes setzen wollen – oder die wir selbst von uns aus an diese Stelle setzen. So lässt es sich gegenüber der Obrigkeit verbindlich leben, aber zugleich auch in einer inneren Freiheit ihr gegenüber, denn die letzten Dinge bestimmt sie nicht: Wo mein Herz ist. So entwickelt sich in der Kantate ein Selbstgespräch des Gläubigen und wird vor Gott immer mehr zum Gebet. Alle Voraussetzungen für das, was wir sind und haben, kommen von Gott: „Geist, Seele, Leib und Leben“, hören wir im Bassrezitativ, und erst dann kommen nachgeordnet „Hab und Gut und Ehr und Stand“. Es wäre vermessen, zu denken, wir könnten Gott irgendetwas davon zurückerstatten. Außer dem einen: Unser Herz als „Zinsemünze“ an Jesus. Es ist wie bei Staupitz und Luther in dem Spielfilm: Der Satan hat das Bild Gottes darauf umgeprägt, er hat Falschgeld aus unserem Herzen gemacht! So muss Jesus selbst die Prägung erneuern, und man hört musikalisch etwas von dieser Arbeit in den zwei Celli der Bassarie: „Komm, arbeit, schmelz und präge“ - mit dem Ziel, „dass dein Ebenbild bei mir ganz erneuert glänzen möge.“

Umprägen - davon leben wir, dass Gott das tut: immer wieder das falsche Bild von ihm von uns nehmen, das sich in uns ausprägen will, wo wir Gott mit unserem Bild von ihm verwechseln und daran verzweifeln mögen wie Luther, dass wir diesem unserem eigenen Bild von Gott nicht glauben können. Sehen das echte Bild nicht mehr, das durch unsere Taufe hineingraviert ist in unsere Herzens-Münze, wo steht „Jesu, meine Freude“: Wir sind schon sein, er hat uns schon erlöst, wir müssen das nicht mehr selbst machen. Und doch, so wusste es Luther und auch Sopran und Alt besingen es im Folgenden: Die Welt hält auch dieses umgeprägte Herz „gefangen“. Wir brauchen es immer wieder von Neuem, dass Gott uns vom Kopf auf die Beine stellt: „Nimm mich mir und gib mich dir – gib dich mir und nimm mich mir.“ Wieder wie bei Staupitz: „Dein bin ich, erlöse mich.“ Und so spielen die hohen Streicher im Hintergrund auch den Choral: „Meinen Jesum lass ich nicht“. Was für eine großartige Beschreibung der Reformation unseres Innern durch Gott immer wieder von Neuem.

Denn sie bleiben ja in uns, diese Schmuddelecken, dieser Rest an Falschgeld in uns, der nach draußen dringt und glaubt, mit dieser Währung irgendetwas Beständiges in dieser Welt erwerben zu können. Und wir sind auch empfänglich für die, die uns für dieses Falschgeld etwas versprechen. Die Handel treiben mit unseren Verletzungen und Ängsten. Wir sind anfällig, Zerrbilder für unsere Herzensmünze zu übernehmen, die andere in uns einzuprägen versuchen und merken manchmal gar nicht, wie wir uns dabei selbst verlieren und uns schleichend verabschieden von dem „Jesu, meine Freude“. Wo wir uns einladen lassen vom Hass, dass wir uns ihm anzuverwandeln bereit werden. „Jesu, meine Freude“, das zu singen, zu hören und ihn bitten, uns immer wieder zurückzuholen zu sich, dieses: „Nimm mich mir, gib mich dir“ immer wieder zu beten, das ist so wichtig, damit wir das sein mögen, was der Schlusschoral der Kantate besingt: „und ich an deinem Leibe ein Gliedmaß ewig bleibe.“

Denn daran, liebe Gemeinde, haben wir jetzt schon Anteil: an Gottes Zukunft, am Reich Gottes. Und das heißt nicht, dass unser Glauben einfach und unser Leben leicht sein wird. Christenmensch zu sein ist einfach kein Wellnessprogramm und es geht auch nicht auf zwischen zwei Deckeln Ratgeberliteratur. Wir können viel mehr leben von dem, was Jesus uns ins Herz prägt: Nicht nur müssen wir keine Angst vor eigenen Ängsten haben. Wir müssen uns auch nicht zu Tode handeln. Und wir sind sogar frei davon, immer nur an unseren eigenen Glauben glauben zu müssen und uns nur auf das geworfen zu wissen, was wir schon immer gemeint, gedacht und geglaubt haben. Nein, Gott arbeitet an uns wie an einer Münze, die prägbar ist durch das, was sich ab heute neu und immer wieder neu in uns einprägen möge: „Jesu, meine Freude“.

Lassen wir uns davon ermutigen und allen den Laufpass geben, die uns zu unseren Ängsten auch noch ihre aufprägen wollen. Gebt ihnen Eure bangen Herzen nicht, lasst sie nicht darüber herrschen. „Jesu, meine Freude - Dein bin ich, erlöse mich…“ hier ist unser Platz und das wird unser Herz stark machen in allem, was auf uns zukommen mag. Gehen wir ihm getrost entgegen!

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org