Predigt Himmelfahrt

  • 18.05.2023 , Christi Himmelfahrt
  • Prof. Dr. Dr. Andreas Schüle

Predigt zum Himmelfahrtstag, 18. Mai 2023

Gnade sei mit uns Friede von dem der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

heute geht im Kirchenjahr die Geschichte Jesu Christi zu Ende, die in der Adventszeit begann. Diese Geschichte erzählen wir nach, jedes Mal wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen: Christus kam in die Welt, litt unter menschlicher Gewalt, starb am Kreuz und wurde begraben. Er stieg hinab ins Totenreich, stand auf von den Toten, fuhr auf in den Himmel und sitzt nun zur Rechten Gottes. Nur die allerletzte Etappe dieser Geschichte steht noch aus: „Von dort, vom Himmel, wird er kommen zu richten die lebenden und die Toten“. Auf diese Wiederkunft wartet die Christenheit – jedenfalls will es das Bekenntnis so. Dass die Himmelfahrt etwas Zentrales ist zeigt auch der Blick auf unsere Schwesterreligionen – Judentum und Islam. Das Judentum wartet darauf, dass der Prophet Elia, der ebenfalls in den Himmel fuhr, wiederkommt. Und so lässt man zu jeder Passahfeier an der heimischen Festtafel einen Stuhl frei und stellt einen Becher hin, damit Elija auch wirklich einen Platz hat, wenn er kommt. Und auch der Prophet Mohammad erlebte eine Himmelfahrt, von der er allerdings wieder auf die Erde zurückkehrte.

 

Für die Menschen der Antike war die Welt, der Kosmos, ein großes Gebäude, und wir, die Menschen, leben darin im wahrsten Sinn des Wortes im Erdgeschoss – darüber gibt es den Himmel, genau genommen sogar mehrere Himmel, in denen, im obersten Stockwerk, auch Gott wohnt. Für den allergrößten Teil ihrer Geschichte hat die Menschheit in vielen ihrer Kulturen und Religionen and den Himmel als einen Ort geglaubt. Das ist erst in der Moderne anders geworden. Erst seit recht kurzer Zeit wissen wir, dass der Himmel nur eine dünne Schicht ist, hinter der sich ein endloses Universum verbirgt. Der Himmel ist Wetter, Wolken und an schönen Tagen ein tiefes Blau; man kann mit Flugzeugen durchfliegen. Aber für Himmelfahrten, wie sie die alte Welt noch kannte, ist die Luft tatsächlich dünn geworden.

 

Aber auch wenn dem so ist, so ganz hat der Himmel seinen Zauber noch nicht verloren. Wir sprechen immer noch vom „Himmel auf Erden“ oder sagen „dem Himmel sei Dank“. Irgendwie schwingt in diesen Überbleibseln einer alten Sprache doch eine Sehnsucht mit, dass die flache Erde, auf der wir uns bewegen, nicht alles ist, was es an Realität gibt. Die Rede vom Himmel lässt eine Tür offen, ohne die es vielleicht auf für moderne, aufgeklärte, säkulare Menschen nicht ganz geht.

 

Als ich begann, über den heutigen Feiertag nachzudenken und was ich denn predigen könnte, fiel mir, das gebe ich fast ungern zu, ein Science-Fiction Film ein, der seit einiger Zeit auf Netflix läuft. Der Film heißt „Don’t look up!“, „Schau nicht nach oben!“, und ist eine Satire mit reichlich schwarzem Humor auf die Katastrophenfilme aus den Hollywood Studios der 90iger und anfangs der Zweitausender Jahre. Die Handlung geht so: Das Team um einen schon etwas abgehalfterten Astronomieprofessor entdeckt zufällig, dass ein Komet von riesigen Ausmaßen auf die Erde zurast und diese zu zerstören droht. Die Wissenschaftler schlagen Alarm in der Erwartung, dass nun etwas geschieht. Allerdings müssen sie feststellen, dass es gar nicht so leicht ist, ihre Zeitgenossen vom Ernst der Lage zu überzeugen. Sie wenden sich an die Präsidentin der Vereinigten Staaten, die ein bisschen so aussieht wie Hillary Clinton und denkt wie Donald Trump. Schlechte Nachrichten kann sie politisch gar gerade nicht gebrauchen. Und überhaupt, was sind schon wissenschaftliche Fakten! Da kann ja jeder kommen und etwas von Weltuntergang faseln, der gerne mal seine 15 Minuten im Scheinwerferlicht haben will. Wahr ist doch das, was man für richtig hält, und nicht das, was es vielleicht gibt. Wahr ist das, was einem nützt, alles andere kann einem sonst wo vorbeigehen. Das gilt auch für einen Kometen. Das Forscherteam muss erfahren, dass das, was da vom Himmel herunterkommt, in den Talkshows, den sozialen Medien, den ‚news flashes‘ längst zerredet, breitgetreten und pulverisiert ist, bevor es überhaupt die Erde trifft.

 

Aber irgendwann kann man ihn dann doch mit bloßem Auge sehen, den Kometen, und die Ersten beginnen zu fragen, was das denn sei. Daraufhin beschließt die Präsidentin, ihre Strategie zu ändern. Was wäre besser, als den Kometen zum neuen Feindbild zu machen. Alles, was von oben kommt, kann ja nur bösartig sein. Und vermutlich stecken ja die Russen oder die Chinesen dahinter. Feindbilder und Aktionismus verbinden. „Wir alle gegen den Kometen!“, „Der Komet muss weg – jetzt“. Lautstarke Empörung macht Stimmung und verbreitet ein „wir waren dabei“ Gefühl. Im Hintergrund von alle dem haben mächtige Wirtschaftsmogule allerdings herausgefunden, dass der Komet Metalle und Mineralien enthält, die die Industrie revolutionieren würden. Vielleicht könnte man den Kometen ja auch nur ein bisschen einschlagen lassen – dort, wo es nicht so viel ausmacht oder wo es keinen interessiert.

 

Und so kommt es, wie es kommen musste. Der Komet schlägt ein und zerstört die Welt. Aber natürlich haben die Reichen und Schönen vorgesorgt und ein Raumschiff gebaut, das sie durch die Galaxie zum nächsten bewohnbaren Planeten bringt. Als sie dort nach 20 000 Jahren im Hyperschlaf ankommen und aus dem Raumschiff steigen, werden sie allerdings gleich von dinosaurierartigen Echsen aufgefressen.

 

Der tiefschwarze Humor dieses Films könnte einfach amüsant sein, wenn das, was er zeigt, nicht so beklemmend nahe an der Realität dran wäre. Was auch immer im Himmel ist und vom Himmel kommt, hat auf der Erde keine Chance – egal ob Gut oder Schlimm, Rettung oder Untergang. Irgendwie haben es die Menschen unserer Zeit geschafft, nur noch sich selbst, ihre eigenen Vorstellungen, Überzeugungen und Wünsche als real zu empfinden. Irgendwie sind wir uns selbst Himmel – oder Hölle – geworden.

 

Damit sind wir, liebe Gemeinde, genau bei Thema dieses christlichen Feiertags gelandet. Hat der Himmel noch eine Chance – bei uns, gegen uns, oder vielleicht doch auch mit uns? Es geht darum, ob wir noch den Kopf und das Herz haben, um mit einer Wirklichkeit zu rechnen, die größer ist als die Welt, die wir selber sind. Wenn die Bibel vom Himmel redet, meint sie damit eben nicht nur einen Ort in den Wolken, sondern die Wirklichkeit, die ganz und gar von Gottes Gegenwart erfüllt ist. Es geht darum, dass unser kleines, manchmal verkrümmtes und oft beschädigtes Leben erhoben wird und eine Würde erhält, die wir uns gerade nicht selber basteln können.

 

Heutige Menschen reden ja gerne davon, dass es wichtig sei, vor allem nach vorn zu blicken. Immer voraus und nicht zurück, das ist das moderne Credo. Immer weiter und weiter, ja nicht stehenbleiben, denn wer stehenbleibt, fällt zurück. Aber ist es das? Ist das Leben tatsächlich eine Autobahnfahrt, die man einmal beginnt, bis dann irgendwann die letzte Ausfahrt kommt? Himmelfahrt will uns anders ausrichten. Der Blick geht nicht stupide nach vorn, sondern nach oben, denn wer nach oben schaut, öffnet sich für das Geheimnis des Unbekannten, öffnet sich für den Gedanken, dass es noch etwas mehr gibt als das Leben in Ebene.

 

Himmelfahrt ist die Erinnerung daran, das Leben in all seinen Erstreckungen zu entdecken, damit wir im ganz wörtlichen Sinn über das hinauswachsen, was wir immer schon waren. Himmelfahrt, liebe Gemeinde, ist, ganz einfach, die Entdeckung der Mehrdimensionalität des Lebens. Ohne Himmel sind wir geistliche Flachländler – eine echte Gefahr unserer Zeit.

 

Bei der Vorbereitung auf diesen Tag kam mir allerdings nicht nur der Netflix-Film in den Sinn, sondern ich musste unwillkürlich auch an etwas ganz anderes denken, nämlich an die gelegentlichen Telefonate mit einem Freund aus Studientagen, der, seit ich ihn kenne, unter Depressionen leidet. Das hat dazu geführt, dass er seinen Beruf aufgeben musste – er war einmal Pfarrer – und nur noch aushilfsweise arbeiten kann; und auch der Wunsch, Familienvater zu werden, hat sich nicht erfüllen können. Dazu bräuchte es Kraft und Stabilität, die er nur in sehr guten Zeiten hat. Wenn er von seinen Krankheitsepisoden erzählt, dann spricht er häufig davon, dass sich Türen schließen und Räume verdunkeln. Hinter jedem Problem tut sich das nächste Problem auf, und Angst türmt sich auf Angst. Und irgendwann ist man dann allein, regungs- und kraftlos. Wenn psychisch kranke Menschen in Bildern ausdrücken, wie sie sich fühlen, dann zeichnen sie häufig einen tiefen Graben oder eine Grube – unterirdisch, dunkel, eng. Das alles sind Gegenbilder zur Weite und Offenheit und Helligkeit des Himmels. Und vielleicht ist das auch eine Botschaft des heutigen Tages: ein Leben ohne Himmel ist die Hölle auf Erden. Ohne Himmel, ohne die Wahrnehmung, dass das Leben wachsen und sich entfalten kann, werden Menschen krank – physisch und psychisch. Eine Pflanze, die wachsen soll, muss man immer wieder in einen größeren Topf umsetzen, damit die Wurzeln sich ausbreiten können. Bei Menschen ist das ähnlich. Damit Menschen nicht verkümmern, brauchen sie immer wieder einen größeren Rahmen, in den sich die Nervenenden von Geist und Seele hineinwachsen können. Und diesen größeren Rahmen nennen die biblischen Texte den Himmel. 

 

Das bringt mich zu einem letzten Gedanken für den heutigen Tag. Auch wenn Himmelfahrt nur einmal im Jahr gefeiert wird, bringen wir das, was an diesem Tag gemeint ist, jedes Mal zum Ausdruck, wenn wir das ‚Vater unser‘ beten. Da ist gleich am Anfang zweimal vom Himmel die Rede: „Vater uns im Himmel“ und „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“. Der Himmel ist die Realität, die ganz und unverstellt von Gottes Gegenwart erfüllt ist. Und der so verstandene Himmel ist das Gegenbild zu unserer noch unvollkommenen und manchmal gebrochenen Welt. Die Bitte „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“, wenn man es wirklich meint, ist Ausdruck der größten Sehnsucht, die der Glaube haben kann. Es möge Himmel werden auf Erden. Es möge durchscheinen der Glanz Gottes, wo es auf Erden matt und trübe aussieht; es möge Gottes Kraft sein, wo sich Indifferenz und Kleinmut festgesetzt haben. Es möge Gottes Wille sich durchsetzen gegen die Verbohrtheit weltlicher Macht. Es möge Gottes Lebendigkeit unseren Versuchen widerstehen, den Planten, auf dem wir leben, krank zu machen. Wie im Himmel so auf Erden – mehr kann man nicht, mehr braucht man nicht wollen.

 

Liebe Gemeinde, wir haben vorher die Osterkerze gelöscht. Das ist das Zeichen des Himmelfahrtstags und bedeutet, dass Christus von der Erde zum Himmel aufgefahren ist. Damit ist die Geschichte Jesu zu Ende erzählt. Nun sind wir an der Reihe. Nun ist es an uns, was wir aus dieser Geschichte machen und wie daraus ein Leben im Glauben wird. Und auch wenn wir heute in einer entzauberten Welt leben und wissen, dass der blaue Himmel über uns ‚in Wirklichkeit‘ ja nur eine dünne Schicht über der Erdfläche ist, dann geht vom Himmelfahrtstag eine kraftvolle Botschaft auf aus. „Look up“, „Schau nach oben“ – denn für den Blick hinauf zum Himmel bist Du gemacht!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.