Predigt im Abendgottesdienst am 23. Januar 2022

  • 23.01.2022 , 3. Sonntag nach Epiphanias
  • Rev. Dr. Robert G. Moore

Predigt im Abendgottesdienst

Thomaskirche zu Leipzig

3. Sonntag nach Epiphanias, 22. Januar um 18.00 Uhr

The Rev. Robert G. Moore, Gastpfarrer und Vertreter der Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika

 

Matthäus 8,5-13

5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's. 10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! 11 Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; 12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. 13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen. Wir waren sieben Kinder. Und wie es normalerweise unter Geschwistern passiert, haben wir uns gehänselt und gegenseitig geärgert. Manchmal wurde aus dem Streit Ernst, als wir miteinander gezankt haben. Wenn unsere Eltern verlangten, dass wir mit dem Krach aufhören sollten, wollten wir erklären, dass der andere Bruder oder die andere Schwester angefangen hat. Doch meinen Eltern war es gleichgültig, wer mit dem Streit begonnen hatte. Wichtig war ihnen, dass wieder Ruhe im Hause einkehrt und dass wir Kinder besser miteinander auskommen.

Der Hintergrund des heutigen Predigttextes ist auch ein Streit unter Geschwistern – unter Glaubensgeschwistern, der Streit zwischen Juden und Christen. Mit dem Predigttext werden wir mit einem Problem konfrontiert, das zu einer ungeheuren Katastrophe in der Weltgeschichte führte. Es ist die Beziehung zwischen Juden und Nichtjuden, d.h. den Heiden. Wer ist schuld, dass es zu einer solchen Feindschaft zwischen denen kommen konnte, die doch eigentlich Geschwister sind?

Vordergründig erzählt der Predigttext von einem Wunder Jesu. Wie alle Wunder will auch dieses zeigen, dass in Jesus das Reich Gottes nahe herbeikommen ist. In der Geschichte, die Matthäus erzählt, tritt Jesus als ein Jude unter Juden auf, so als ob er einen nur innerjüdischen Auftrag ausführt. Das ist leicht zu verstehen, da das jüdische Volk getrennt von den Heiden lebte. Juden durften das Haus eines Heiden, also eines Nicht-Gläubigen nicht betreten. Ja, es war Juden untersagt, einen Heiden zu berühren.

Der Predigttext signalisiert uns, dass Jesus sich selbst als Teil der jüdischen Community verstand. Im gleichen Kapitel des Matthäusevangeliums hören wir von einem jüdischen Aussätzigen, der zu Jesu kam und betete ihn zu heilen.

Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen. Und Jesus streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach: Ich will's tun; sei rein! Und sogleich wurde er von seinem Aussatz rein. (Matthäus 8,2b-3)

In dieser Geschichte wird betont, dass Jesus den Mann berührte, obwohl er nicht als rein galt. Im Predigttext ist das anders. Ein römischer, also heidnischer Hauptmann nähert sich Jesus und bittet ihn, seinen Knecht zu heilen. Im 7. Vers des Predigttextes begegnen wir einem Problem. Heißt es „Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen.“? Oder muss man den Vers anders übersetzen: „Jesus sprach zu ihm: Ich soll kommen und ihn gesund machen?“ Biblische Wissenschaftler bevorzugen die zweite Variante. Ein Jude würde nie in das Haus eines Heiden eintreten, ganz zu schweigen davon, dass er ihn berührt.

Es gibt auch ein anderes Beispiel, wo Jesus sich an die jüdische Sitte hält, zu Heiden Distanz zu wahren. Eine kanaanäische Frau bittet Jesus, ihre Tochter zu heilen. Jesus antwortet: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ (v. 24) Jesus bleibt stur, als die Frau ihn anfleht: „Herr, hilf mir!“ Er antwortet grob,

Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, Herr; aber doch essen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde. (vs. 26-28)

Diese Geschichte ähnelt dem Predigttext. Jesus hält sich an das jüdische Gesetz. Weder betritt er das Haus, noch berührt er einen Heidenmenschen. Dennoch wurden die erkrankte Tochter und der erkrankte Knecht gesund.

Diese Wirkungen sind ein Wunder - das Wunder des Glaubens. Im Predigttext erwähnt Jesus zweimal den Glauben des Hauptmanns. Jesus bewundert seinen Glauben. In Israel habe er noch nie so einen starken Glauben gefunden. Im Matthäusevangelium hat Jesus schon einmal vom Glauben geredet, und das sogar auf dem Berg, wo er seine Zuhörer als Kleingläubige bezeichnet. Jesus schmerzt es, dass er unter seinesgleichen nur wenig Glauben findet. Deshalb ist er überrascht, wenn er unter den Heiden starken Glauben findet.

Dieses Dilemma, dass Jesus unter seinen jüdischen Glaubensgeschwistern so wenig Glauben feststellen kann und sie deswegen kritisiert, ist der Anfang des Zerwürfnisses zwischen der Synagoge und der Kirche. Nach dem Matthäusevangelium wird die Jesus-Bewegung von den Heiden geprägt, auch wenn die Juden versucht haben, dies mit Gewalt zu verhindern.

Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. (Matthäus 8,10b-12)

Obwohl Jesus sich zu den verlorenen Schafen Israels gesandt sah, ist die Warnung im Matthäusevangelium unüberhörbar: Jesus kann dem Konflikt zwischen dem Glauben der Heiden und dem Widerstand seines Volkes nicht aus dem Weg gehen.

Wir wissen, dass die Botschaft Jesu eine Herausforderung war und ist für die Menschen, die Gottes Gebote und menschliche Vorstellungen dazu benutzen, ihre eigenen Welten zu bauen und damit einen ideologischen Überbau zu errichten, der sie schützt vor den Mächten, die uns Menschen bedrohen. In dieser Weise werden auch Gott und der Glaube manipuliert, um ein allerdings falsches Gefühl von Sicherheit zu erlangen.

Jesus stellt diese Glaubensfassade, hinter denen sich der Mensch versteckt, infrage. Das sieht man in den Evangelien, wenn Jesus das Gesetz relativiert, wie zum Beispiel im Markusevangelium. Da erklärt er: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat“. (Markus 3, 27-28)

Nach seinem Tod und der Auferstehung ist Jesus vom Botschafter Gottes zur Botschaft selbst geworden. Das Reich Gottes ist in Jesus gekommen. Er teilt nicht nur mit, dass Gott nahe herbeigekommen ist. Jesus selbst ist die Anwesenheit Gottes auf Erden. „»und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns“. (Matthäus 1,23b) Später schrieb Johannes in seinem Evangelium, „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“. (Johannes 1,14)

Diese Botschaft der ersten Christen wurde von führenden Juden abgelehnt, auch mit Gewalt. Das bekannteste Beispiel ist der pharisäische Rabbi Saul von Tarsus. Er verfolgte die Christen mit allen Mitteln, bis er von der Botschaft Jesu ergriffen wurde, sich taufen ließ und zum Paulus wurde.

So begann die Auseinandersetzung zwischen Juden und den ersten Christen. Zunächst waren die Christen die Verfolgten. Erst 325 nach Christus wurde die Kirche legitimiert. Anstatt aber der Lehre Jesus zu folgen, den Feind zu lieben und den Weg der Gewaltlosigkeit zu gehen, hat die Kirche damals begonnen, über Jahrhunderte die Juden zu verfolgen, sie zu töten, bis zur systematischen Ausrottung der Juden durch die Nazis. Wir gedenken in diesen Tagen der Wannsee-Konferenz und an die Opfer der Shoa am kommenden Donnerstag.

Eigentlich sind Juden und Christen Schwestern und Brüder im Glauben. Aber wir haben von Anfang an gegeneinander gekämpft – und damit die Gebote Gottes missachtet. Gott sei Dank hat sich das nach der schrecklichen Erfahrung des Holocaust verändert. Kirchen und die Synagogen versuchen, sich zu verstehen, zusammen für Gerechtigkeit zu streiten und das Leiden der Menschen überall in der Welt zu vermindern, ungeachtet der Besonderheiten der eigenen Religion. Endlich haben wir aufgehört, uns gegenseitig mit Vorwürfen zu konfrontieren: Wer ist schuld, wer hat angefangen. Jetzt können wir uns wie Geschwister verhalten—nach der Torah leben und der Wegweisung Jesu folgen. Das ist Grund genug für ewige Freude.

Und der Friede Gottes welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.