Predigt im Abendgottesdienst mit Gospelchor über Jesaja 35,3-10

  • 08.12.2019 , 2. Advent
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Joy to the World, the Lord is come!

Freue dich, Welt, dein Herr ist gekommen.

Let earth receive her King.

Erde, empfange deinen König.

Let ev’ry heart prepare him room

Jedes Herz soll ihm Raum geben,

and heaven and nature sing.

Himmel und Erde sollen singen!

 

When I survey the wondrous cross,

Wenn ich das wundersame Kreuz betrachte,

on which the prince of Glory died.

an welchem der Prinz der Herrlichkeit starb.

My richest gain was count but loss.

Mein reichster Ertrag zählte nur als Verlust.

And pour contempt on all my pride.

Und goss Verachtung auf meinen ganzen Stolz.

 

Forbid it, Lord, that I should boast,

Verhüte es, Herr, dass ich prahlen sollte/möge,

safe in the death of Christ, my God.

 geschützt im Tode von Christus, meinem Gott.

All vain things here
All die nutzlosen Dinge hier,

that charme me most.

die mich am meisten bezaubern.

I sacrifice them to His blood.

Ich opfere sie Seinem Blut.

 

Jesaja 35,3-10

3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.« 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. 7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. 8 Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. 9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. 10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

“Joy to the World, the Lord is come!”

Liebe Gemeinde, da hat einer etwas zu sagen, der dieses Lied singt. Hier erzählt jemand seine Geschichte. Offensichtlich hat er einiges hinter sich. In der dritten Strophe kann man davon etwas ahnen: „All die nutzlosen Dinge hier, die mich am meisten bezaubern, ich opfere sie seinem Blut.“

Vielleicht kennen wir das so ähnlich. Dass wir hungrig sind und durstig. Nach Leben. Bzw. nach dem, was in unserem Leben wirklich wichtig ist. Dass wir uns sehnen, geliebt zu werden, anerkannt, geborgen. Dass uns jemand einfach so in den Arm nimmt. Oder einfach mal sagt: „Hör auf, gut sein zu wollen und zu müssen. Hör auf zu denken, Du bist nicht gut genug. Lass das sein. „Wie geht es uns, solange wir uns danach sehnen? Und wenn wir uns vielleicht so lange mit Ersatzbefriedigungen trösten? Uns vollstopfen mit Essen oder Trinken: Noch einen Glühwein und noch einen, komm, einer geht noch… Oder konsumieren, hier etwas, da etwas. Ich gönne mir das neue Handy, tolle Klamotten. Das neue Auto. Aber eigentlich möchte ich etwas anderes. Eigentlich merke ich, das macht mich nicht froh. Meine Sehnsucht wird davon nicht gestillt. Allenfalls ist es einen Moment schön. Aber es trägt mich nicht. Und dann?

Ich höre etwas bei dem heraus, der hier singt: Diese Sehnsucht, diese Unsicherheit, hat ihn zu einem erbärmlichen Angeber gemacht. Zu einem Prahlhans. Große Klappe offensichtlich, wenn wir uns die letzte Strophe ansehen: „Forbid it Lord, that I should boast.“ – „Verhüte es Herr, dass ich prahlen sollte.“ Oder in der zweiten Strophe, wo da von dem ganzen Stolz die Rede ist, der ihn im Rückblick anzuekeln scheint. „And pour contempt on all my pride“. Jetzt kann er sich das ehrlich anschauen. Diese erbärmlichen Versuche, sich zu verteidigen. Wenn wir uns größer machen müssen als wir sind. Oder – oder das eben auch noch: die anderen um uns herum kleiner, damit wir uns groß fühlen können. Möge bloß niemand sehen, wie mickrig ich mich fühle. Wie leer und hohl. Wie zerrissen, wie widersprüchlich. Aber das darf ich nicht zeigen. Ich habe gelernt, ich muss mich gut verkaufen. Diese Leere ist unerträglich. Sie macht uns einsam. Mit wem können wir darüber reden?

Wohl dem, der Freunde hat, die einen so ertragen. Und die dann nicht tausend kluge Ratschläge haben. Die es einfach mit mir als heulendem Elend aushalten. Wo das möglich ist, bin ich vielleicht schon mal einen Schritt weiter. Wenn ich ich sein darf. Wenn ich Mensch sein darf. Und wenn ich es mir selbst zugestehe, dass ich so bin, mit meinen Schattenseiten und mit dem, was ich am liebsten niemandem zeigen würde. Vielleicht mit meiner Unfähigkeit, meinen Kindern gerecht zu werden. Vielleicht mit meiner Ungeduld gegenüber meinen alten Eltern. Vielleicht mit meiner unerbittlichen Haltung mir selbst gegenüber, ich müsste es doch einfach alles besser in den Griff kriegen in meinem Leben.

Nun, wer immer der ist, dem wir in diesem Lied begegnen. Er ist einer wie wir. Und ihm ist offenbar etwas passiert, was sein Leben verändert hat. Ich würde es mal so sagen: Ihm ist Advent passiert! Wie bitte? Ihm ist Advent passiert. Advent – das heißt Ankunft. Die ganze zweite und dritte Strophe sind voll davon. Gott ist in Jesus in seinem Leben angekommen. In sein Herz. In seine Leere. In seine Sehnsüchte, in seinen Schmerz. Jesus Christus hat ihm gesagt: Ich verbinde mich mit Dir. Ich sehe, was Du zu tragen hast. Ich trage es mit Dir. Deinen Schmerz, ich kenne ihn. Ich habe ihn am Kreuz getragen. Ich bin für Dich da. Ich gehe an Deiner Seite. Ich gehe mit Dir durch den Tod. Und gemeinsam werden wir durch ihn hindurch in ein neues Leben gehen. Jetzt und hier schon. Und dann irgendwann auch nach deinem Tod. Vertraue mir. Ich bin schon auf dem Weg zu Dir.

Das ist Advent. Nach dieser Lebensgeschichte, die hier andeutungsweise erzählt wird. Dass das ein Mensch offenbar erfahren hat. Und dass er diese Freude mit allen teilen will und damit sein Lied beginnt: „Joy to the world. - Freue Dich Welt, dein Herr ist gekommen… Jedes Herz soll ihm Raum geben.“

Advent ist die Zeit für alle, die sich danach sehnen, gesehen zu werden. Sinn zu finden. Aufhören zu dürfen, gut sein zu müssen. Gefunden zu werden. Gott ist schon auf dem Weg zu mir, so sagen es uns die großen Bilder der biblischen Propheten. Wir haben es eben gehört: Jesaja spricht von einer Welt, in der das, was uns verzagen lässt, erlahmen, erblinden, ertauben, verstummen lässt, in sein Gegenteil verkehrt wird: Ein Lahmer wird nicht nur stehen oder vielleicht noch gehen lernen, sondern er wird springen wie ein Hirsch. Ein Stummer wird nicht nur sprechen, sondern seine Zunge wird frohlocken. Die Wüste wird nicht nur bewässert, sondern sie wird selbst zur Quelle. Und der Weg, auf dem sie gehen, wird nicht nur frei sein von wilden und gefährlichen Tieren, sondern auch von denen, die darauf herumirren und mir auf den Füßen stehen. Dorthin, wo es trocken ist, wo die Knie wanken und die Hände müde sind, wo alles verstummt und vertrocknet scheint – dahin will Gott kommen.

Wir kommen alle um unsere Zweifel und uns unsere Verunsicherungen nicht herum. Aber die Kraft dieser Worte stärkt uns im Protest gegen die Dunkelheit der Welt. Sie vermag sich zu entfalten, wo ich verunsichert bin und verzweifelt. Wo ich das Verstummen nicht aushalten kann und meine eigene Lahmheit nicht ertrage, meine Schlaffheit und wo ich mir schlicht wie in einer endlosen Wüste vorkomme. Sie werden die äußere Verwandlung dieser Situation vielleicht nicht bewirken, diese Worte. Nicht gleich, nicht sofort. Aber in mir können sie schon etwas bewirken. Dass mich die Traurigkeit nicht mehr allein in ihrem Griff hat. Sondern genauso die Freude darüber, dass ich lebe, dass ich da bin. Dass ich sagen kann wie in dem Lied, dass wir am Ende dieses Gottesdienstes hören werden: „Yes, yes!“ oder eben: „Joy to the world.“ Vielleicht fängt das manchmal ganz leise an. Aber dann hat es auch angefangen… Schenke Gott uns, dass auch wir das so erleben können wie der, der hier singt: dass uns Advent passiert. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org