Predigt im Abendgottesdienst über Hiob 23

  • 01.09.2019 , 11. Sonntag nach Trinitatis
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

 Heute ist Weltfriedenstag.

Erzählungen aus Kriegszeiten wühlen immer besonders auf. In dem Roman über die Völkerschlacht von 1813 von Sabine Ebert wird eine Mutter beschrieben, die alle ihre Söhne verliert: einer nach dem anderen fällt auf den Schlachtfeldern. Auf dem Fahrrad in Richtung Kulkwitzer See entdeckte ich vor einiger Zeit auf dem Lausener Anger eine Stele, die die gefallenen Söhne des Dorfs Lausen aus dem 1. Weltkrieg namentlich benennt. Dabei fielen mir zwei mit demselbem Nachnahmen auf: der eine 1916, der andere 1918 gefallen. Zwei Brüder bzw. aus der Perspektive der Eltern zwei Söhne – tot, weggenommen im Abstand von zwei Jahren. Oder die Erzählungen aus dem 2. Weltkrieg, die manche von Ihnen noch ganz unmittelbar kennen: die Familie ausgebombt im Musikerviertel, der Onkel gefallen an der Ostfront, die kleine Schwester gestorben am Fieber, über Vergewaltigung schwieg man. Oder heute aus Syrien vor dem Krieg Geflüchtete – welche Wunden, welche Verzweiflung tragen sie in ihrem

Herzen?

Die erschütternden Erfahrungen von Verlust, von Leid, von Ausweglosigkeit gibt es aber auch in scheinbaren Friedenszeiten. In den 90er Jahren schlossen landauf, landab die Betriebe: abgewickelt, Ende Gelände, Hunderttausende wurden arbeitslos. Wenn in einer so getroffenen Familie danach auch noch die Tochter ins Drogenmilieu abrutschte und die Ehe auseinander ging, was ging in den so Getroffenen vor?

Wenn im engsten Familienkreis eine Krebserkrankung diagnostiziert wird? Wenn die Tochter durch Magersucht in die Nähe des Todes gerät? Wenn sich aus der Parallelklasse ein Junge vor den Zug wirft? Wenn Erpresser die 18jährige Tochter eines sächsischen Unternehmers mit einer Plastetüte ersticken (wie vor 4 Jahren in Meißen geschehen)?

 

Dann, immer dann gellt in uns die eine Frage, und diese Frage besteht aus einem einzigen Wort: WARUM? Waaarum? Warum, Gott? Warum, Gott, lässt Du das zu?

Dann sind wir bei Hiob.

 

Ich lese den Predigttext, er steht im Alten Testament im Buch Hiob im 23. Kapitel:

„Hiob antwortete [seinem Freund Elifa] und sprach:

2 Auch heute lehnt sich meine Klage auf; seine Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss.

3 Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seiner Stätte kommen könnte!

4 So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen

5 und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde.

6 Würde er mit großer Macht mit mir rechten? Nein, er selbst würde achthaben auf mich.

7 Dort würde ein Redlicher mit ihm rechten, und für immer würde ich entrinnen meinem Richter!

8 Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht.

9 Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht.

10 Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold.

11 Denn ich hielt meinen Fuß auf seiner Bahn und bewahrte seinen Weg und wich nicht ab

12 und übertrat nicht das Gebot seiner Lippen und bewahrte die Reden seines Mundes bei mir.

13 Doch er hat's beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht's, wie er will.

14 Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn.

15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm.

16 Gott ist's, der mein Herz mutlos gemacht, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat;

17 denn nicht der Finsternis wegen muss ich schweigen, und nicht, weil Dunkel mein Angesicht deckt. „

 

Wie können Menschen Unglück ertragen? Wie können sie es verkraften?

Hiob sagt zu seiner Frau:

„Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ (2, 10)

 

Da hatte er schon alles verloren:

seine 11.000 Kamele, Schafe, Rinder und Esel,

seine Mägde und Knechte,

seine 3 Töchter,

seine 7 Söhne,

seine Gesundheit.

 

Nimmt er die Schicksalsschläge wirklich so klaglos an? „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen. Der Name des Herrn sei gelobt.“ (1, 21) Verharrt er ewig in dem Schweigen, das er mit seinen Freunden sieben Tage und sieben Nächte aushält? (2, 13) In seinem Leid brechen sich Bitterkeit und Anklage Bahn. Er verflucht den Tag seiner Geburt, „ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin.“ (2, 3)

Hiob bekommt Besuch von drei Freunden, die namentlich genannt werden: Elifas, Bildad und Zofar. Sie reisen extra an, um Hiob zu trösten. Und im Verlauf von dreimal drei Reden und Gegenreden ringt Hiob mit ihnen, ringt er mit Gott.

Hiobs Freunden scheint der Fall klar auf der Hand zu liegen: Hiob hat ganz offensichtlich gegen Gottes Gebot verstoßen. Also erhält er nun seine gerechte Strafe. Und seine Vergehen müssen besonders groß gewesen sein, sonst wäre das Leid, das Gott ihm zumutet, nicht so unglaublich groß.

Mir stellen sich die Nackenhaare auf, wenn ich die Maßstäbe, die Hiobs Freunde anlegen, zu Ende denke:
Die Krebserkrankung der Kollegin, der Tod der Tochter, die sich vor den Zug warf, die Langzeitarbeitslosigkeit – alle diese Arten von Leid: Sollte das eine Strafe sein, die Gott geschickt hat? Aber wofür? Wie groß muss das Vergehen dann sein? Gibt es kleine Strafen für kleine Vergehen und große Strafen für großes Vergehen? Kann ich am Maß des Leids, das ich bei anderen sehe, erkennen, wie weit sie sich von Gottes entfernt haben?

Nein, nein, nein!  - Nein, es gibt diesen Zusammenhang nicht.

 

Auch Hiob rebelliert gegen Gott, er lehnt sich gegen ihn auf. In unserm Predigttext geht er hart mit Gott ins Gericht. „Auch heute lehnt sich meine Klage auf“, sagt Hiob. Er ist verzweifelt darüber, dass er Gott nirgendwo finden kann, dass Gott sich offensichtlich nirgendwo finden lässt. Sonst würde er ihm seinen Fall noch einmal im Detail darlegen. Hiob möchte Beweise dafür anführen, dass er dieses Ausmaß an Leid nicht verdient. In einem Rechtsstreit mit Gott würde er bestimmt gewinnen, glaubt Hiob.

 

Aber: Gott hält sich verborgen. Gott lässt sich nicht finden. Er erscheint nicht zum Gerichtstermin mit Hiob. Hiob beschreibt seine verzweifelte Suche: „Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht. Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht.“

 

Unsere Anklagebank gegen Gott: Sie bleibt leer. Gott erscheint nicht. In der Anklage ist Gott nicht dort, wo wir ihn suchen.

 

Aber WO ist Gott? Wo ist Gott im Leid? Wo ist Gott im Schmerz? Wo ist Gott im Unrecht? Wo ist Gott in schwerer Krankheit? Wo ist Gott in tiefer Depressio? Wo ist Gott im Sterben? 

Wo ist dann Gott?

[Schweigen] Gott ist im Leid verborgen. [Schweigen]

 

Es ist schon ein paar Jahre her, da besuchte ich einen Mann aus unserer Gemeinde, der wegen einer Erkrankung ins Pflegeheim gekommen war. Ich mochte ihn sehr, wir hatten lange im Gemeindeaufbauausschuss zusammengearbeitet, und er hatte mit seiner Klugheit und mit seinem Humor so manche festgefahrene Situation gerettet. Nun war er pflegebedürftig, schwach und seiner Krankheit ausgeliefert. Was konnte ich ihm schon sagen? „Es wird schon wieder alles gut“, das wäre mir falsch vorgekommen. Ich sagte - gar nichts. Ich hatte mein Gesangbuch mitgenommen und fragte ihn nach seinem Lieblingslied. Das habe ich dann für ihn gesungen.

Liebe Gemeinde, auch heute habe ich mein Gesangbuch mitgenommen und ein Lied für uns ausgesucht. Was lässt sich angesichts von unerträglichem Leid schon sagen? Nützt uns wirklich eine Antwort auf die Frage nach dem Warum? Suchen wir nicht vielmehr Trost und Halt? Auch wenn wir nicht begreifen, warum dieses Leid geschieht? Was tröstet, was hält uns? Die 5 Strophen des Predigtlieds, das wir gleich gemeinsam singen werden, zählen genau das auf, was uns tröstet und uns hält und unsern Schmerz heilt.

(Auch im Predigttext gibt es ein solches Trostlied: Die letzten fünf Verse sind [V. 13-17] sind ein Hymnus.)

 

Liebe Gemeinde, machen wir es wie Hiob! Rebellieren wir gegen Gott!

Liegen wir Gott in den Ohren! Mit unserm Gebet, mit unserer Klage, mit unserem Fragen, unserm Vorwurf.

Schleudern wir es vor die Altäre unserer Kirchen! Schreien wir es heraus aus unseren Herzen! – WARUM, Gott, warum nur?

Warum lässt Du Menschen leiden? Warum lässt Du MICH leiden?

Warum gibt es körperliche Qualen in Krankheit, Krieg, Verbrechen?

Warum ist unser Leben nicht vollendet schön, glatt und ohne Komplikationen?

Warum nur zerbrechen wir? An gescheiterten Beziehungen? An vergeblicher Hoffnung? An seelischer Not?

Was macht unser Leben häßlich? Warum gibt es das Böse?

 

Du bist es, o Gott. In all dem bist Du. Ich begreife das zwar nicht, aber Du bist es, Du bist in dem allen, o Gott.

Im Leiden bist Du mir verborgen, Gott. Ich kann Dich dort weder greifen noch begreifen. Im Leiden bist Du für mich unfassbar.

Verborgen ist mir mein Gott im Leiden. Ich wende mich ab

 

und schaue hinauf zum Kreuz.

 

[Stille]

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu.

Amen