Predigt im Abendgottesdienst über Lukas 18,9-14

  • 23.08.2020 , 11. Sonntag nach Trinitatis
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

Der Predigttext steht bei Lukas im 18. Kapitel (9-14):
9 Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:
10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
11 Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.
12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“'

Liebe Gemeinde,

sitzen Sie gut? Haben Sie die richtige Position eingenommen, um Gottes Wort und der Auslegung der Bibelverse lauschen zu können. Wissen Sie, von hier oben habe ich einen ganz guten Beobachtungsposten. Manche von Ihnen sitzen zusammengesunken wie in einem verinnerlichten Hören. Andere wiederum sind ganz angespannt, ja recken die Köpfe in Richtung Kanzel, um so besser sehen und eben auch besser hören zu können. Jede Haltung ist möglich und erlaubt. Hören, was von Gott kommt – das tun wir zum einen in jedem Gottesdienst. Zum anderen – und davon handelt unser Predigttext – geht es im Gottesdienst[1] um die andere Seite unserer Gottesbeziehung, um das Reden zu Gott hin, also um das Beten.
Der Evangelist Lukas legt Jesus dafür ein Gleichnis in den Mund. Und wenn ich genau sein wollte, müsste ich sagen, es sind zwei Gleichnisse vom Beten, die da bei Lukas aufeinander folgen. Zuerst, in den Versen unmittelbar vor unserm Predigttext, lässt Lukas eine Witwe immer wieder bei einem Richter ihr Recht einklagen,
… was uns sagen will, dass wir Gott unablässig mit unserm Gebet in den Ohren liegen sollen. Wir dürfen Gott sozusagen 'nerven' mit unsern Anliegen.
Das ist also das erste, was wir festhalten können zum Thema Gebet: ohn' Unterlass beten!

Das zweite Thema wirft unser heutiger Predigttext auf. Es ist die Haltung, und zwar – das haben wir gehört – die äußere Haltung, die oftmals ganz gut Ausdruck einer inneren Haltung ist. Wie gegensätzlich diese Gebetshaltung in ihrer konkreten Ausformung sein kann, zeigt Lukas an den beiden Protagonisten unseres Predigttextes: am Pharisäer und am Zöllner.
Eigentlich müsste ich sagen: an einem Pharisäer und an einem Zöllner. Lukas greift aus der Menge an Pharisäern und an Zöllnern, die es in seiner realen Umgebung gab, je einen heraus und buckelt diesem klischeehaft alle Eigenschaften auf:
Der Pharisäer ist von sich überzeugt, er blickt abschätzig auf die anderen, ja er betrachtet sie als ein Nichts und straft sie so mit Todesverachtung; er erhebt sich über die kleinen Leute seines Umfelds. Außerdem brüstet sich der Pharisäer seiner Verdienste: doppelt so viel Fasten wie durch das Gesetz vorgegeben, Abgabe des zehnten Teils seines Einkommens. Der Pharisäer betet klipp und klar: 'Ich bin besser als die da.'
Der Zöllner dann bietet in allem den scharfen Gegenentwurf. Jeder, der zu Lukas‘ Zeit nur dies' Wort 'Zöllner' hörte, dachte an die verhasste Berufsgruppe der Steuereintreiber, die als gewinnsüchtig und stur galten. Der Zöllner traut sich nicht einmal richtig in den Tempel hinein und stammelt mit gesenktem Blick seine Bitte um Erbarmen. (auffällig: Zöllner hat hier keinen Namen [anders zB Zachäus], ist also ein Stereotyp)

Das, was uns Lukas da als Gleichnis anbietet, ist ziemlich holzschnitthaft – hier schwarz, da weiß - erzählt und zieht das literarische Register der Karikatur. Ein solches Stilmittel setzt er ein, um den Aha-Effekt des Gleichnisses umso deutlicher sein zu lassen.
Wie verfehlt war es da, dass über Jahrhunderte dieses Gleichnis judenfeindlich ausgelegt wurde! Pharisäer=Jude=von Gott verworfen.
→ Davon, von solch einer Auslegung, distanzieren wir uns in aller Entschiedenheit!!

… und kehren zu unserer eigenen Haltung beim Beten zurück.
Denken wir doch einmal an unsere äußere Haltung beim Beten. Die kann ganz unterschiedlich aussehen:
Im Gottesdienst etwa
- beten wir im Stehen, zB beim Vaterunser. Wir stehen aufrecht, halten den Kopf gesenkt, die Hände sind gefaltet.
- oder im Sitzen, zB bei Fürbitten. Viele sitzen in sich zusammen gesunken, haben geöffnete Ohren.
Aus der Geschichte sind uns ebenfalls unterschiedliche Gebetshaltungen bekannt:
- in der Synagoge: stehend, Fersen zusammen, Arme erhoben
- antik überliefert: Orantenhaltung
- beim Klostereintritt (Gebet u.a. um Gehorsam): flach auf dem Boden mit ausgebreiteten Armen, die Stirn fest auf den kalten Stein gepresst (s. Martin Luther Augustinerkloster Erfurt)
- andere Formen im Alltag:
zB Auwald verzweifelte „Herr, erbarme Dich!“ und dabei Holz auf Holz zertrümmernd;
„ich danke Dir, ich lobe Dich“- Gebet mit einer derwischartigen Drehung um die eigene Achse.

Wir merken längst, dass die äußere Haltung immer Ausdruck einer inneren Haltung ist.
- Bin ich konzentriert aufs Beten? Stehe ich aufrecht und mit Körperspannung?
- Bin ich weggesackt in eine Routine des Betens und schweife in Gedanken ganz woandershin?
- Schwingen je nach Anlass und Anliegen meines Gebets Gefühle in mir mit, die sich in meiner Haltung ausdrücken: Freude (Gebetstaumel), Angst (platt auf dem Boden), Wut (holzhackend im Auwald).

So, wie wir sind, können wir uns im Gebet an Gott wenden.
Es braucht keine festgelegte Haltung, es braucht nicht unbedingt formelhaften Wendungen, es braucht nicht einmal immer den Ort Tempel (= Kirche), wenn ich mich nicht überwinden kann, hinein zu gehen. Das sehen wir in unserm Gleichnis an dem Zöllner. Auch ein Gebet, das von draußen oder mit der Klinke in der Hand und ohne ritualisierte Sprache gesprochen wird, und auch die Gebete, die wir zu Hause beten, erreichen Gott. Das ist schon mal eine GUTE NACHRICHT.

Das Gleichnis endet mit einer verallgemeinernden Aussage: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“ Das ist die Summe des Gleichnisses.
Sich selbst erhöhen. – In der Karikatur des Pharisäers, der Arroganz ausstrahlt und andere Menschen mit seiner Überheblichkeit verachtet, können wir ganz gut erkennen, wie das aussieht.
Sich selbst erniedrigen. – Das wird vor allem offenbar an dem kurzen Satz, den der Zöllner betet: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Das ist nicht identisch mit dem schlichten „Erbarme dich – Kyrie eleison“, das wir in jedem Gottesdienst beten. Es ist viel mehr. Der Zöllner, der Südner, die Sünderin … ich! … Ich suche nach Versöhnung mit Gott: „Ach Gott, sei wieder versöhnt mit mir. Ich fühle, ich spüre die Trennung. Ich will es anders. Ich will raus aus der Distanz. Ich will in Beziehung mit Dir, Gott, wieder in Kontakt mit Dir kommen, Gott. Hilf mir.“ = Gott sei mir Sünder gnädig. -
Und Gott nimmt im Gleichnis zum Zöllner, Gott nimmt auch in unserm Fall die Beziehung wieder auf. Wir können täglich Verlorene Söhne und Verlorene Töchter sein und heimkehren. Gott heißt uns willkommen.

Und Gott ist es ganz recht, dass wir so glauben: so zerbrechlich, so gefährdet, so behutsam und immer wieder als neuen zaghaften Versuch, es mit ihr, Gott, aufzunehmen.
Dann wird es so sein: Aus dieser Niedrigkeit wird uns Gott emporheben zu sich. Das hat schon Maria gewusst, als sie im Magnificat betete:
„Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu.

Amen

Dr. Almuth Märker, Prädikantin an St. Thomas
almuth.maerker@web.de