Predigt im Abendgottesdienst über Markus 4,26-29

  • 19.02.2017 , 2. Sonntag vor der Passionszeit - Sexagesimae
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Liebe Gemeinde,

noch 60 Tage bis Ostern - Sexagesimae. So, wie wir letzten Sonntag - leicht gerundet - noch 70 Tage bis Ostern gezählt haben: Septuagesimae.

Diese Wegstrecke auf Ostern hin ist sozusagen eingeteilt in Streckenabschnitte. Ostern kristallisiert sich heraus als das Ziel einer der wichtigsten Kirchenjahreszeiten. Mit Ostern findet die Passionszeit ihre Erlösung, die Passionszeit wird eingeleitet durch die Vorfastenzeit, in der wir jetzt gerade leben.

Auf Abschnitten und unterwegs, immer, wenn wir einen Schritt weiter kommen wollen auf unserm Weg zum Ziel, braucht es Wegzehrung. Es braucht eine Nahrung für die einzelnen Stationen unterwegs.
Diese Nahrung ist uns mitgegeben durch Gottes Wort. Für die Station an Sexagesimae ist diese Nahrung gegeben durch den heutigen Predigttext. Der steht bei Markus im 4. Kapitel, Vv. 26-29:

Das Gleichnis vom Wachsen der Saat

26 Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft

27 und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht wie.

28 Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.

29 Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

„Das Reich Gottes. Gottes Reich.
Das ist so, wie wenn ..."

Jesus ist im Neuen Testament nicht müde geworden, seinen Jüngerinnen und Jüngern, all denen, die seinem Wort lauschten und ihm anhingen, das Reich seines Vaters in Bildern zu erklären.
Es gibt tatsächlich so abstrakte Begriffe in unserer Sprache, die für sich genommen nicht ausreichend verständlich sind. Diese Begriffe sind so harte Kost, dass sie unerklärt unverdaulich blieben.
„Recht und Gerechtigkeit" wäre so ein Riesenausdruck. „Weltfrieden" ein anderer. Aber auch im ganz persönlichen Bereich brauchen große Worte manchmal eine Erklärung, ein dazugehöriges Gefühl oder ein Bild: „meine große Liebe zu Dir" ... bleibt eine bloße Worthülse, wenn sie nicht belebt und vor allem: wenn sie nicht gelebt wird.

Nun, ein solches großes Wort, das immer wieder der Erklärung bedurfte, war in Jesu Zeit und Umgebung der Ausdruck „das Reich Gottes". Um Männern, Frauen und den Kindern klar zu machen, was er denn meinte, wenn er vom „Reich Gottes" sprach, redete Jesus davon in Gleichnissen. Beinahe unzählige Gleichnisse vom Reich Gottes gibt es im Neuen Testament. Und mit Sicherheit fällt Ihnen eins davon zumindest als Stichwort sofort ein. Vielleicht auch haben Sie ein Lieblingsgleichnis darunter:
- Das Gleichnis vom Senfkorn. Da wächst etwas riesig und machtvoll herauf aus einem winzig kleinen Korn.
- Das Gleichnis vom Sauerteig. Da durchdringt etwas eine ganze, viel größere Masse und verändert sie durch und durch, sogar wesensmäßig.
- Das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Auf jeden einzelnen kommt es Gott an, keine wird als verloren aufgegeben.
Und ähnlich in der Ausrichtung, aber wesentlich emotionsvoller in der Bildsprache:
- Das Gleichnis vom verlorenen Groschen.

Vielleicht haben Sie ein Lieblingsgleichnis. Vielleicht teilen Sie aber sogar eine Lebenserfahrung mit einer dieser Reden vom Reich Gottes. Etwa, wenn sie Ihr Talent - anstatt es zu vergraben - im Dienst der Gemeinde einsetzen, mit ihren Pfunden wuchern und so daran mitarbeiten, dass Gottes Reich unter uns wirkt.

Hören wir also auf die gleichnishafte Erklärung des „Reichs Gottes" aus dem heutigen Predigttext.

„Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft."
Das Reich Gottes wird mit einem der selbstverständlichsten Vorgänge der ländlichen Welt gleichgesetzt. Als Frau, die in der Stadt lebt - und die heute auf einer Innenstadtkanzel predigt -, machte ich mich zunächst auf die Suche nach einem anderen Bild, das aus dem städtischen Umfeld vielleicht eher vertraut ist.

Wie wäre das zum Beispiel: „Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem hohen Gebäude aus Stein, für das ein Baumeister einen Haufen Steine ablädt ..." - Ja, und dann? Dann müsste der Baumeister den Zement anrühren, Stein um Stein aufschichten und vermörteln; er müsste wieder und wieder das Lot anlegen, ob das Gebäude auch gerade emporwächst. Er hätte keine ruhige Minute, bis der Bau beendet wäre, vielleicht sogar so manche schlaflose Nacht.

Sofort falle ich heraus aus diesem Bild. Sofort merke ich, dass ich mit meinem Versuch, mich mit dem Gleichnis von der Aussaat in die Stadt und in scheinbar vertrautere Zusammenhänge zu flüchten, zum Scheitern verurteilt bin.

Zurück also aufs Land! Den Sack mit dem Getreide umgebunden! Die Hand mitten hinein zwischen die rieselnde Winzigkeit der Körner!

Der Sämann wirft den Samen aufs Land. Dafür braucht Gott ihn. In dieser wichtigen Weise sind wir als Menschen ins Wachsen und Großwerden von Gottes Reich eingebunden. Ganz am Anfang. Und am Ende: Der Mensch ist es, der in der Ernte die Sichel führt. Beides wichtig, zweifelsohne.

Aber dazwischen? Gibt es zwischen Saat und Ernte nicht tausend Dinge zu tun und zu beachten, damit die Ernte auch ja groß genug wird?!!
Muss nicht der Boden immer wieder gelockert und gewässert werden? Braucht es nicht ab und an Dünger? Oder soweit ich weiß doch auch Schädlingsbekämpfung? Ja, die Feinde vom Reich Gottes, die müssen doch bekämpft werden? Sind wir uns darin nicht einig?

In unserm Predigttext passiert zwischen Saat und Ernte ... nichts. Wirklich! Das einzige, was geschieht, ist völlig unspektakulär und im Wortsinn natürlich:
- Es wird Nacht, und es wird Tag.
- Der Sämann schläft, und er steht wieder auf.
- Der Same sprosst, und er geht auf.
Da findet sich Null Aktivität von außen. Da ist kein Dazutun nötig. Der Sämann wird nicht ansatzweise gebraucht, während das Entscheidende passiert: dass das Reich Gottes wächst.
Und am Feldrand wird keine Hüpfeburg aufgebaut.

Der Same geht vielmehr auf - von allein.
Der Same wächst höher - von allein.
Und mit Liebe beschreibt ein Vers des Predigttexts, was sich in diesem Wachsen eigentlich Wunderbares vollzieht: Der Halm wächst, dann bringt er eine kleine Ähre hervor, und in der Ähre wächst nach und nach das volle Korn. Und das tausend-, millionenfach!
(kleine Filmchen im Netz, die dieses Wachstum im Zeitraffer zeigen. Rührt das Herz eines jeden Teenagers an ...)

Ich lasse dieses Bild in mir wirken:
Das Reich Gottes wächst von ganz allein.
Dass es wächst, kann keine Kraft von außen verhindern, nichts und niemand.
Niemand aber kann dieses Wachstum auch nur ein wenig beschleunigen.
Gott hat den Plan, wann und wie und wo sein Reich wächst.

Sie kennen vielleicht die in Großfamilien immer wiederkehrende Diskussion:
- „Der Junge ist doch konfirmiert, warum ist er denn jetzt nicht in der JG?" - Gott weiß und Gott hat den Plan, wann die Saat der Konfirmation aufgeht, wann sich ein junger Mensch der Jugendarbeit anschließt oder seinen Lebensweg mit einem klaren Bekenntnis zu Gott weitergeht.
- „Dieses junge Paar hat bei uns in der Gemeinde eine so rauschende Hochzeit gefeiert. Warum ist es denn nie im Gottesdienst zu sehen?" - Gott weiß und Gott hat den Plan, wann die Saat aufgeht, die gelegt wurde, als sich dieses Paar unter den Segen Gottes stellte. Vielleicht ja mit der Taufe des ersten Kindes.
- „Wieso hat denn der Verstorbene im Testament einen so großen Betrag der Kirchgemeinde zugesprochen? Wir dachten immer, er hätte sich von der Kirche als Institution distanziert?" - Gott weiß und Gott hat den Plan, wann sich ein Mensch Kirche und Gemeinde zu- oder abwendet.


Das Reich Gottes - ein Automatismus. (so könnte man in provozierender Sorglosigkeit ausrufen)
Das Reich Gottes - ein Selbstläufer? (so könnte man auch kritisch dem Gleichnis von der Aussaat nach-fragen)

Das Reich Gottes - es wächst auf. von allein. Aus Gottes Gnade und durch Gottes Willen.


Einer, der wie selten ein anderer das Wort Gottes zu vermitteln und in eine neue poetische Sprache umzusetzen wusste, war Kurt Marti. Der Schweizer reformierte Pfarrer, der theologische Schriftsteller und Poet Gottes, starb am vergangenen Sonnabend im Alter von 96 Jahren.
1971 hat er in fünf Liedstrophen verdichtet, was ihm das Reich Gottes damals bedeutete. Das Lied findet sich heute in unserm Gesangbuch unter der Nr. 153. Ich schließe mit diesem Text die heutige Predigt:

1. Der Himmel, der ist, ist nicht der Himmel, der kommt, wenn einst Himmel und Erde vergehen.
2. Der Himmel, der kommt, das ist der kommende Herr, wenn die Herren der Erde gegangen.
3. Der Himmel, der kommt, das ist die Welt ohne Leid, wo Gewalttat und Elend besiegt wird.
4. Der Himmel, der kommt, das ist die fröhliche Stadt, und der Gott mit dem Antlitz des Menschen.
5. Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist, wenn die Liebe das Leben verändert.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu. Amen


Dr. Almuth Märker, Prädikantin an St. Thomas, Leipzig
almuth.maerker@web.de