Predigt im Abendgottesdienst über Markus 8,1-9

  • 04.10.2020 , 17. Sonntag nach Trinitatis
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus.

 Der Predigttext steht bei Mk. im 8. Kapitel (1-9).

 „Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Wege verschmachten; denn einige sind von ferne gekommen. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen? Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben. Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten, und sie teilten sie unter das Volk aus. Sie hatten auch einige Fische; und er sprach den Segen darüber und ließ auch diese austeilen. Und sie aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrigen Körbe auf, sieben Körbe voll. Es waren aber etwa viertausend; und er ließ sie gehen.“

 „Schon wieder!“, möchte ich fast sagen. Schon wieder erzählt Mk – wie übrigens seine Evangelistenkollegen Matthäus, Lukas und Johannes ebenfalls – eine Speisungsgeschichte. Hier in Kap. 8 und zuvor in Kap. 6 (35-44) seines Evangeliums. Das ist erstaunlich. Und dabei klingt die Nennung der Zahlen - „Speisung der 4000, Speisung der 5000“ - danach, als ginge es um Überbietung: An welchem Ort und zu welcher Zeit hat Jesus mehr Menschen zu essen gegeben? So ist es aber nicht gemeint. Es geht nicht um reißerische Nachrichtenmeldungen über den Wunderwirker Jesus. Vielmehr geht es darum, dass Jesus die Not der Menschen um ihn herum wahrnimmt. Er nimmt sie wahr, und er nimmt sie für wahr. Jesus geht auch den nächsten Schritt nach dem Wahrnehmen der Not: Er lindert Not, hier: den Hunger: Er gibt den Menschen zu essen.

Wenn Markus von einer Speisung mehrerer Tausend Menschen gleich zweimal erzählt, dann können wir daraus lernen: Jesu aktive Fürsorge für das Volk ist kein aufgesetztes Verhalten für einen Pressetermin. Vielmehr gehört die Fürsorge für Notleidende zu seinem Wesen. Jesus begegnet dabei einer Not, die in mehreren Schichten ihre schmerzenden Spuren hinterlässt:

- Diese Not lässt sich zu allererst sehr konkret beobachten und beschreiben. Die Menschen – Männer, Frauen, Kinder – sind schon drei Tage lang hier. Wenn sie sich jetzt auf den Nachhauseweg machten, würden sie unterwegs zusammenbrechen. Vor dem anstrengenden Rückweg brauchen sie dringend und zwingend eine Stärkung. Zumal die Gegend, in der Jesus gepredigt hatte, unbewohnt war. Die Menschen saßen auf dem blanken Boden, sie hatten nichts. Die Gründe, die Jesus den Jüngern hier aufzählt, sind alle nur zu gut nachvollziehbar.

- Mit der Erfahrung unserer Markus-Lektüre können wir die Not, auf die Jesus so mitfühlend reagiert, aber auch weitreichender und grundsätzlicher wahrnehmen und beschreiben. Die Mitmenschen  von Markus waren von einer tiefen Sehnsucht erfüllt. Sie lechzten nach Hilfe, sie wollten einen Ausweg, denn es ging ihnen dreckig. Mit dieser Sehnsucht nach Errettung hatten sie drei Tage lang den Worten von Jesus zugehört. Wie ein ausgetrockneter Schwamm hatte ihre Seele Gottes Hoffnungswort aufgesaugt. Die Menschen um Markus sehnten Gottes Eingreifen herbei und wünschten sich, dass er wirkmächtig handele.

In dieser Sehnsucht nach Veränderung, die als Wunsch und starker Wille in den Friedensgebeten artikuliert wurde, bin ich an den Sommer und Herbst '89 und auch noch an das Frühjahr 1990 erinnert.

Der Evangelist Markus, der das älteste Evangelium schreibt, stand unter dem Eindruck ganz konkreter Not der Menschen seiner Zeit: Die Juden und ganz Israel litten unter der Herrschaft der Römer.

Sie wurden unterdrückt und ausgebeutet.

Bisher war noch jede Form von Widerstand im Keim erstickt oder brutal niedergeschlagen worden. Ins Gedächtnis der Generation von Markus war eingebrannt, wie Tausende von Menschen, die sich der römischen Herrschaft widersetzt hatten, entlang der Straßen gekreuzigt wurden. Außerdem litten sie in allen Lebenslagen unter der römischen Ausbeutung: Steuern und Abgaben waren kaum zu ertragen. Den Menschen zu Markus' Zeit ging es erbärmlich, sie hatten nicht genug zu essen, sie litten unter Krankheiten. Als das Evangelium aufgeschrieben wurde, waren die Menschen nicht mal nur so von drei Tagen Kampieren im Freien k.o.,

sondern sie waren wirklich am Ende ihrer Kraft, sie  hatten wirklich nicht genug zu essen, sie sehnten sich nach Befreiung vom römischen Joch, nach Rettung und Heilung. Sie wollten endlich endlich satt werden. Deshalb – vor diesem Hintergrund – erzählt Markus diese Geschichte so eindringlich!

Wie lässt Markus Jesus, wenn er von seinem Schreibpult aufblickt und die Menschen auf der Straße in ihrem Elend sieht, auf diese tiefe reale Not reagieren? - Er lässt Jesus sagen: „Mich jammert das Volk“ haben wir vorhin die Lutherübersetzung 2017 gehört. Andere übersetzen: „ich habe Mitleid mit ihnen“. Jesu Mitleid und Mitgefühl wird im Griechischen mit einem ganz besonderen Wort benannt. Jesus sagt: splangchnizomai – das ist: „es geht mir an die Nieren, es fährt mir in die Eingeweide, ich leide mit euch mit, ich kann fühlen, wie schlecht es euch geht, solches Mitgefühl habe ich mit Euch“. Und ein so tief empfundenes Mitgefühl von Jesus entspricht ja Gottes Mitleid, Erbarmen und Fürsorge. Dieses Mitgefühl ist überhaupt erst die Voraussetzung für die Hilfe. Das tief hineingehende Mitfühlen. Nicht eine Zeitungsmeldung, die den Kopf erreicht. Sondern eine mitfühlende Erschütterung, die an die Nieren geht.

 

Jesus rafft dann bei der Speisung nicht einfach die noch vorhandenen Brote und Fische zusammen und teilt sie bröckchen- und schüsselweise aus. Vielmehr ist die ganze Speisung geistlich eingebunden: Jesus nimmt das Brot - spricht das Dankgebet – bricht das Brot. Er nimmt die Fische – und segnet sie.

Dann geschieht das Wunderbare: alle essen, und alle werden satt.

Ein Wunder vollzieht sich auch an den Jüngern selbst. Jesus handelt ja zunächst gegen das Unverständnis der Jüngerinnen und Jünger, die meinen: „Hä? Woher soll denn in dieser Gegend...?!!“ etc. Der Widerspruch der Jüngerinnen und Jünger wird von Jesus übergangen. Er nimmt sie anders wichtig; nämlich wichtig für das Realwerden des Wunders. Denn in welchem Moment ereignet sich das Wunder: im Moment des Austeilens durch die Jünger! Die Jüngerinnen und Jünger werden so die Mittler und das Werkzeug für das Wirken Gottes.

Liebe Gemeinde, können wir nicht ebenso Mittler und Werkzeuge für Gottes Wirken sein? Unter unsern austeilenden Händen ereignet sich das Wunder.

 Bleibt am Ende der Überfluss, das erstaunliche Übrigbleiben vom tausendfach Geteilten. Dieser Überfluss, dieses Überfließen erinnert an das „gerüttelt und überfließend Maß, das man in unsern Schoß geben wird“ (Lk. 6, 38)

Und für die randvollen Getreidescheffel steht ja auch der Altarschmuck heute, am Erntedankfest: die dicken Kürbisse, die erdigen Kartoffeln, die leuchtenden Sonnenblumen. Merkt es Euch, seht es, fühlt es, atmet den Duft ein: So überfließend ist das Maß, das uns von Gott zugeteilt wird.

Liebe Gemeinde,

ich schließe mit einer Beobachtung.

Immer wieder versuchen wir, eine solche Geschichte, wie die Speisung der 4000 oder 5000 hungernden Menschen rational zu erklären. Wir suchen nach rationalen Erklärungen.

- In der Christenlehre hieß es: Vielleicht hat jeder und jede das ausgepackt, was sie noch im Gepäck hatten.

- So ähnlich schreibt es auch der SONNTAG diese Woche in seiner Kolumne zum Predigttext.

Nein, wir müssen das Wunder nicht rational erklären. Sondern wir sollen glauben. Wir dürfen glauben. Glauben wir!

Wem Gott in der Not begegnet, dem begegnet er mit seinem tief empfundenen Mitgefühl, dem verheißt er auch seine Hilfe. Konkret und spürbar. Denn Gott macht satt. Gott rettet. Gott heilt.

Glauben wir das doch!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu. Amen

Prädikantin Dr. Almuth Märker
almuth.maerker@web.de