Predigt im Festgottesdienst zu Pfingsten über Joh 16, 5-15

  • 04.06.2017 , Pfingstsonntag
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt am Pfingstsonntag, 4.6.2017 im Gottesdienst mit Aufführung der Bachkantate „Erschallet ihr Lieder“, St. Thomas um 9.30 Uhr

Liebe Gemeinde,

gähnende Leere machte sich breit in den Herzen und Seelen der Jüngerinnen und Jünger Jesu. Schwebend zwischen zuversichtlicher Hoffnung und wehmütiger Erinnerung an ihren Lehrer und Herrn Jesus Christus, fraß sich die Angst in ihre Seelen und Furcht ergriff ihre Herzen. Was, wenn alles nicht so eintrifft? Was, wenn wir alleine bleiben werden? In ihren Ohren klangen Jesu Worte nach.

5 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin?

6 Doch weil ich dies zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer.

7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.

8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht;

9 über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben;

10 über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht;

11 über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.

12 Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen.

13 Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.

14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen.

15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er nimmt es von dem Meinen und wird es euch verkündigen.

Wohltuende Worte, Worte voller Verheißung. Doch den Jüngern und Jüngerinnen fehlte die Kraft zum Glauben. Eine ungewisse Gegenwart und Zukunft hat sie ergriffen. Geistlos war das - im wahrsten Sinne des Wortes. Und wie geht es uns heute, liebe Gemeinde?

Die todbringenden Kräfte treiben auf den Marktplätzen der Hauptstädte, auf den Festivalgeländen friedlich feiernder Menschen ihr böses Spiel und ihr Unwesen. Sie versuchen sich unser zu bemächtigen, indem sie Angst ausgießen. Deshalb brauchen wir den pfingstlichen Geist des Beistandes, von dem das Johannesevangelium erzählt. Die oftmals gebrauchte Übersetzung „Tröster“ greift m. E. zu kurz. Denn der „parakletos“ ist viel mehr als ein Tröster. Er will den Menschen beistehen, damit sie Kraft  und Zuversicht bekommen, wenn ihnen die Augen aufgetan werden und sie erkennen, was Wahrheit ist. Ebenso wird er anklagen und aufzeigen, was im Argen liegt. Dabei handelt es sich nicht um ein apokalyptisches Szenario am Ende der Zeiten, sondern sofort wird all das nach Jesu Tod und Auferstehung geschehen. Ein Wesensmerkmal christlicher Gemeinde unter der Führung des göttlichen Parakleten ist dies:

Sie eckt an, weil sie durch ihn aufdeckt, was ungerecht ist, Sie eckt an, weil sie durch ihn zur Sprache bringt, dass ein enthemmter menschlicher Egoismus sich nicht mit Gottes Zuspruch in Einklang bringen lässt. Und sie mahnt durch ihn, wo Gottes Zuspruch einzig und allein in selbstzufriedene Besoffenheit mündet und der daraus resultierende Anspruch, Licht und Salz der Welt zu sein, keine Relevanz mehr hat.

Gähnende Leere macht sich breit in den Gebäuden zum sonntäglichen Gottesdienst. Viele Menschen verschließen sich der Kraft, die zum Glauben und zur Veränderung führt. Die Bitte um den Heiligen Geist ist dringender denn je, betrachtet man unheilige Geister, die Kirche nur noch verwalten und nicht mehr gestalten wollen oder können. Wir brauchen den Aufbruch genauso dringend, wie die Jüngerinnen und Jünger von Jesus, wie die erste Apostelgemeinde in Jerusalem, ihn benötigte.   

 ecclesia semper reformanda est – die Kirche darf nicht aufhören, sich zu reformieren. 1947 hat der Theologe Karl Barth jenen Satz den Menschen ins Gedächtnis geschrieben, weil es notwendig war, den kirchlichen Irrungen und Wirrungen etwas entgegen zu setzen. Besonders notwendig war aber die Erinnerung daran, wer hier eigentlich Subjekt und Objekt ist;

„Die freie Gnade Gottes bringt immer wieder frische Luft in die Kirche. Weil sie Gnade ist, wird sie der Kirche auch neue Wege zeigen und eröffnen“ (Karl Barth)

Verstehen wir Karl Barth richtig, so lässt sich unschwer konstatieren, dass das Subjekt der permanenten Reformation die durch den Geist in Wort und Sakrament vermittelte Gnade Gottes ist und Objekt der permanenten Reformation ist die Kirche. So jedenfalls derjenige, der diese Formel geprägt hat. Damit führt Karl Barth das fort, was Martin Luther 1518 in seiner Erklärung zu den Ablassthesen formulierte.

Dort schreibt er zu These 89: „Die Kirche bedarf einer Reformation und diese ist nicht Werk eines einzigen Menschen, des Papstes, noch auch vieler Kardinäle, wie beides das jüngste Konzil erwiesen hat, sondern der ganzen Welt, ja Gottes allein. Die Zeit aber, wann solche Reformation vor sich gehen wird, kennt nur der, der die Zeit geschaffen hat“.

 Damit, liebe Pfingstgemeinde, ist der Bogen zum Predigttext und seiner vorpfingstlichen Aussage geschlagen, zeigt er uns doch, was es mit jenem reformatorischen Satz auf sich hat. Die Verheißung Jesu an seine Freunde ist nicht von exakter zeitlicher Datumsangabe geprägt, sondern als zugesprochene Verheißung eines Beistandes und Trösters will sie begründete Hoffnung geben. Darauf lässt sich vertrauen. Solches Vertrauen kann in Energie münden, die sogar gewohnte Pfade und eingeengte Räume verlässt.

Gähnende Leere macht sich breit in den Herzen der Menschen. Selbstoptimierung und Selbstrechtfertigung bestimmen ihr Leben und verbrauchen dafür alle Ressourcen. Nichts bleibt mehr übrig. Die Herzenswohnung ist leer, will ausgefüllt werden und bedarf einer dringenden Renovierung. In J. S. Bachs Kantate wird die Beziehung zwischen menschlicher Seele und göttlicher Kraft auf die Ebene einer innigen Liebesbeziehung gehoben. Man ist geneigt, sich an das alttestamentliche Hohelied der Liebe zu erinnern. Im Duett von Sopran und Alt hörten wir Heiligen Geist, der zärtlich, tröstend, die aufgewühlte und voll Sehnsucht sich verzehrende Seele beruhigt und stärkt.

Könnte das, liebe Gemeinde, Pfingsten im christlichen Alltag werden, wo der Tröster und Beistand meine aufgescheuchte Seele beruhigt und sie dadurch stärkt? Gehe ich diesem Gedanken nach, so gewinnen neben der musikalischen Schönheit, die Worte des spiritus sanctus eine besondere Bedeutung.

Ich erquicke dich mein Kind

Jeder Mensch braucht Vergewisserung. Und dort, wo es keine Vergewisserung mehr gibt, gerät vieles aus den Fugen, weil Vertrauen zerstört wird. Die Erlebnisse aus dieser Woche zeigen uns aufs Deutlichste, wie schwierig es ist, wenn Beziehung aufgekündigt, wenn Verträge für nichtig erklärt werden oder wenn schlicht der Sachverstand fehlt, um globale Zusammenhänge zu begreifen. Wer nur sich immer zuerst sieht, wird vor lauter Eitelkeit auf lange Sicht trübe Augen bekommen.

Vergewisserung ist notwendig, erst recht in Fragen des Glaubens. Denn er will gestärkt werden. Für manchen Zeitgenossen geschieht solche Vergewisserung im Gebet, für andere im Gottesdienst und wiederum andere finden sie in der Musik, die Gott in der Seele zum Klingen bringt. Wenn von Gottes Geist als Beistand und Tröster die Rede ist, wie im Predigtabschnitt des Johannesevangeliums, dann finde ich darin das Bild, welches in J. S. Bachs Kantate im ersten Seelendialog gemalt wird. „Ich erquicke dich, mein Kind.“ Das heißt doch nichts anderes als, dass mir Menschenkind Ruhe und Frieden gegeben wird. Nicht mehr das ewige Streben, Gott gefallen zu müssen, muss mein Tun bestimmen, sondern ich finde im Widerstreit von Angst und Hoffnung genau dort den Frieden, wo Gottes Geist durch meinen Herzensgarten weht.

Nimm von mir den Gnadenkuss

Einen Kuss kann ich mir nicht selber geben. Er wird mir geschenkt. Ich kann ihn auch nicht einfordern, weil es sonst kein freiwilliger Kuss mehr ist. Gott schenkt sich mir freiwillig, obwohl ich als Mensch so viel Dinge auf den Weg bringe, die alles kaputt machen, weil die Sicht auf das Eigene eine so große Kraft besitzt. Deshalb bedarf es der Kraft Gottes, meinen Blick zu wenden, weg vom eingeigelten, in engen Wänden gefangenen Blick, hinaus ins Weite. Der Gnadenkuss Gottes stärkt mich, auch auf dem Marktplatz der verschiedenen Möglichkeiten, den Mund aufzutun und von diesem Gott, der ein rettender und verändernder Gott ist, zu erzählen.

Ich bin dein, und du bist mein!

 Aus zwischenmenschlich, partnerschaftlichen Beziehungen nehmen wir die Erfahrung mit, dass derjenige, den ich liebe, mein Herz in Besitz nimmt und dadurch Gedanken und Gefühl bestimmt. Dadurch gebe ich auf in acht. Gleichgültigkeit wird verwandelt in Liebe. Jener Mensch ist mir nicht mehr egal, weil sein Leben mit meinem verknüpft ist. Gott möchte eine ähnliche Beziehung mit mir als Mensch eingehen, um mich dadurch zu verändern. Verändern soll sich der Blick auf meinen Nächsten, auf meine Umgebung und auf mein eigenes Sein. Damit das geschehen kann, braucht es einen kleinen Spalt der geöffneten Herzenstür. Wo solch geöffnete Herzenstür Gott Einlass gewährt, kann er Wohnung nehmen und aufräumen, kann er die Leere ausfüllen, die mich als Mensch doch nur permanent in die Irre führt. Ein unzertrennliches Band der Beziehung zwischen mir und Gott ist geknüpft. 

Darauf kann es nur die Antwort des Chorus aus der Kantate geben „Erschallet ihr Lieder, erklinget ihr Saiten! O seligste Zeiten! Gott will sich die Seelen zu Tempeln bereiten.“

Ja, Gott will in unseren Seelen wohnen, damit wir nicht verloren gehen im Gewirr einer auf sich selbst zentrierten Menschheit. Seine Intention ist die Rettung der Seele und zwar schon zu Lebzeiten, damit ich als Mensch Zeit meines Lebens als Geretteter und nicht Gerichteter meine Kraft und mein Vermögen einsetzen kann zu Dingen, die auch anderen nützlich sind.

So kann sich der Gnadenkuss Gottes in der Liebe, die ich meinem Nächsten entgegenbringe, entfalten.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen und begreifen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Martin Hundertmark, Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)