Predigt im Jugendgottesdienst

  • 12.03.2017 , 2. Sonntag der Passionszeit - Reminiszere
  • Pfarrerin Taddiken

Ansprache im Jugendgottesdienst 12. März 2017. Johannes 20,24-29

Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich's nicht glauben. 

26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! 27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Zunächst möchte ich Euch, Jule, Leah und Jannik, danken, dass Ihr etwas von dem, was Ihr glaubt und was Ihr bezweifelt, mit uns geteilt und dabei sicher manchem dabei aus dem Herzen gesprochen habt.

Ich will versuchen, etwas davon zu beziehen auf den Jünger Thomas, von dem wir vorhin schon gehört haben. Er ist ja der Namenspatron unserer Kirche - und auch des Thomanerchors und der Thomasschule. Er ist sozusagen der Prototyp des Zweiflers. Einen ungläubigen Thomas nennen wir einen Menschen, der über seine Zweifel schwer hinwegkommt und den man von einer Sache nicht leicht überzeugen kann. Er will nur begreifen, was er mit den Sinnen unmittelbar verarbeiten kann. Ich glaube nur, wenn mein Glaube durch meine Sinne bewiesen wird.

Das teilt Thomas mit vielen, und nicht zuletzt deshalb mag ihn die Bibel „Zwilling" nennen - vielleicht ist er einer der Jünger, der vielen von uns am nahesten steht, unser Zwilling auf der Suche nach dem, was wir glauben und worauf wir uns verlassen können. Wer danach sucht, tut es wie Thomas oft erst mal allein für sich. Das betont die Geschichte erst einmal: Thomas ist am Anfang nicht dabei, er steht der glaubenden Jüngerschar als einzelne Stimme gegenüber und kann nicht nachempfinden, was die anderen ihm erzählen: dass Jesus sich der Macht des Todes offenbar entzogen hat. Erst nach acht Tagen wird ihm das möglich, also nach einer gefühlten Ewigkeit, in der alles in dieser Frage offen ist. Die Acht ist in christlicher Tradition die Zahl der Ewigkeit im Gegensatz zur Sieben, der Zahl der Schöpfung (acht Ecken Taufbecken und Kirchturm). Eine gefühlte Ewigkeit also vermischen sich Zweifel und die Sehnsucht danach, etwas zu finden, was die anderen offenbar eint und stark macht - und den Fragenden nicht selten immer einsamer und auch verzweifelter.

Manche Geschichte von der einsamen Suche nach dem, was den Glauben ausmacht, geht leider deshalb auch zuende, ehe sie angefangen hat. Schon ist deswegen ist es gut, diese Suche immer wieder zusammen zu beginnen, in Gemeinschaft. Deswegen organisieren uns in der Kirche in Gemeinden, in Gruppen, in Kreisen, so dass wir einander helfen und tragen können. Wenn ich etwas beim Glaubensbekenntnis nicht mitsprechen kann oder will, dann tun es andere für mich mit und helfen mir über meine Lücke hinweg. Dass es mehr gibt, als ich im Moment verstehen und begreifen kann, das ist ja klar. Das Glaubensbekenntnis ist ja nichts anderes als der Versuch von Menschen, möglichst kurz die wesentlichen Dinge des chr. Glaubens auf den Punkt zu bringen. Wir schwer das ist, habt ihr selbst gemerkt, als ihr das zu formulieren versucht habt, was ihr glaubt. Und auch, dass es manchmal unheimlich lange dauern kann, bis etwas klick macht.

Was bei Thomas nun besonders ist: Er bleibt dran, trotz der langen Zeit, in der er warten muss. Setzt ihn vielleicht das in Bewegung, was Jule gesagt hat? Es gibt bei uns einen Platz im Herzen, der nur mit Gott gefüllt werden kann - und solange er das nicht ist, ist da eine leere Stelle, die wir zu füllen suchen? Die Stelle, die uns manchmal schmerzt, aber auch antreibt, weiterzusuchen trotz allem Zweifel? So geht Thomas seinen Weg und Jesus lässt ihn gewähren. Er lässt ihn seine Sinne einsetzen, auf die er sich verlässt. Denn natürlich sind wir als Menschen sinnliche Wesen, die die Berührung brauchen und das Sinnliche, auch in den Dingen des Glaubens. Jesus signalisiert ihm: Ich bin bereit, mich von Dir berühren zu lassen. Aber eben nur an bestimmten Stellen: Nämlich an den Stellen seines Körpers, die sichtbar seine Verletzungen zeigen. Die durchbohrten Hände und die verwundete Seite. Diese Seite von sich zeigt Jesus dem Zweifelnden. Diese Seite, die eigentlich kein besonders überzeugender Beweis für göttliche Macht und Unverletzbarkeit ist. Kein donnernder Beweis. Sondern ein leises Zeichen, eine Geste der Wahrheit des Glaubens. Der Wahrheit, dass dieser Jesus, dieser Gottes-Sohn, sich hat verwunden lassen. Er trägt dieselben Wunden wie die Menschheit, wie wir alle. Die Wunden von Hass und Gewalt, die Wunden die wir Menschen uns gegenseitig zufügen, wenn wir den Anderen in seiner Andersartigkeit nicht ertragen können, wenn die Aggressionen sich verselbständigen und der Verstand zwischenzeitig aussetzt. All das, was wir zu tun fähig sind, wenn wir uns bedroht und verunsichert fühlen und was auch nach Jahren nur oberflächlich vernarbt. All das, was auch Jesus letztlich ans Kreuz gebracht hat. All diese Verletzungen hält der Auferstandene dem Thomas entgegen und wird ihm gewissermaßen selbst zum Zwilling, zum Spiegel. „Du Thomas, kannst an mir Deine Wunden widerfinden. Ich trage sie mit dir und für dich. Auch alle Deine Zweifel und Abgründe. Ich trage sie, um sie für dich zu überwinden. Deshalb begegne ich Dir als der Lebendige. Vertraue mir, glaube mir." So wirbt Jesus um das Vertrauen des Thomas.

Thomas wollte einen Beweis. Aber hier wird nichts bewiesen. Die Wunden, in die er seine Finger legen darf, haben für Thomas nun keine Beweiskraft mehr. Er lernt sie vielmehr als Zeichen der Liebe Gottes zu deuten, die ihm im Auferstandenen begegnet: Als der, der die Wunden des Thomas kennt und die Schmerzen der Menschheit - und sie selbst darin aufsucht, um sie mit zu tragen. Die bewegendsten Texte zum Glauben sind in Zeiten entstanden, wo die Menschen die schlimmsten Dinge erlebt haben, z.B. im dreißigjährigen Krieg, weil sie ihre körperlichen und seelischen Wunden in den Wunden Jesu geborgen wussten.

Diese sichtbaren Zeichen der Nähe sind keine Versicherungsinstrumente. Auch sie müssen gedeutet werden als Zeichen der Liebe und sie ersetzen nicht das vorangehende Vertrauen. Und so kommt es gar nicht mehr dazu, dass Thomas die Wunden anfassen muss. Das wird in der Geschichte bewusst nicht erzählt. „Mein Gott und mein Herr", sagt Thomas. Er erkennt, dass Jesus ihn meint. Dass Gott in ihm die Beziehung zu uns Menschen sucht, immer schon, ob wir schon losgegangen sind oder nicht. Das glaube ich. Dass Gott sich finden lässt, auch wenn es dauert. Und dass er nicht damit aufhört, uns zu suchen. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org