Predigt im NachtEulenGottesdienst

  • 06.10.2019 , 16. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Die Frage nach dem täglichen Brot, liebe Gemeinde, ist eine Frage nach dem, was wir zum Leben brauchen. Dabei geht es in der Tat nicht zu allererst um ein physisches Sattwerden. Leben ist so viel mehr. Wir hörten im Anspiel Anklänge an Martin Luthers Auslegung zur Vater-unser-Bitte.

Nicht nur Essen und Trinken, Obdach und Kleidung, sondern auch gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn, gute Kinder, also alles, was sich unter der Überschrift „gute Lebensmöglichkeiten“ zusammenfassen lässt, ist in dieser Bitte enthalten.

Sie steht als vierte Bitte in der Mitte des Vaterunsers. Die drei Bitten zuvor haben meine Beziehung zu Gott im Blick und die drei noch folgenden Bitten umreißen unser Verhältnis zum Nächsten. Heute nun darf es um die eigenen Bedürfnisse gehen. Der Erntedanktag lädt ein, sich Gedanken zu machen, wo Dank angemessen ist und wo er allzu schnell vergessen wird, weil Sorgen über dem Alltag sich ausbreiten.

 Im Jesajabuch lassen sich Verse finden, die über den eigenen Tellerrand blicken und dass in den Blick nehmen, was für ein gelingendes, sattes Leben von elementarer Bedeutung ist – Gerechtigkeit. Nicht an Brotmangel gehen Menschen zugrunde, sondern am Mangel von Gerechtigkeit und Teilhabe.

Jesaja schreibt uns für den Erntedanktag ins Gedächtnis, was wir selber tun können:

7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.

 Hungrige speisen, Obdachlose beherbergen, Schwache stärken, Nachte kleiden – die Werke der Barmherzigkeit sind uns bekannt, nicht zuletzt durch die Heilige Elisabeth, die sie wie kaum eine andere Frau bis hin zur zerstörerischen Selbstaufgabe gelebt hat. Ich höre sie wohl, diese Worte der Barmherzigkeit und sie verklingen schnell, denn ich weiß: wir haben als Kirche unsere Institutionen, die sich genau darum kümmern.

Jesajas Worte wollen etwas anderes.

Sie sprechen DICH an.

Brich dem Hungrigen DEIN Brot, heißt es.

Das überfordert mich, möchte ich schnell einwenden. Ich kann die Welt nicht retten.

Ich kann nicht allen Hunger stillen.

„Doch“ sagt da Jesaja. Du kannst von Deinem Überfluss abgeben. Und du kannst Teilen lernen, ohne dabei selber arm zu werden.

Liebe Gemeinde,

Elisabeth von Thüringen war gewiss eine besondere Frau. Und für viele ist sie ein Vorbild. Manche beten deshalb sogar zu ihr.

Will Gott, dass wir alle zur Elisabeth werden?

Wohl eher, dass wir zur Einsicht kommen.

Zur Einsicht, dessen, dass mein Leben Geschenk ist und meine Lebensmittel keine Selbstverständlichkeit. Man mag sich auf dem Weg dieser Einsicht vor Augen halten, welche Auswirkungen zwei Dürresommer vor fünfhundert Jahren gehabt hätten. Ein beträchtlicher Teil der Einwohner wäre wohl verhungert. Und heute? Heute wird deshalb ein Brot evtl. zehn Cent teurer. Niemanden interessiert das wirklich. Brot ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Keiner muss an zu wenig Brot leiden. Trotzdem steht es immer noch auch symbolisch für unser menschliches Grundbedürfnis nach Nahrung und Sättigung.

 Gebrochenes Dasein

Das Brot wird im Orient gebrochen und nicht geschnitten. Aus Dankbarkeit reicht dann der Hausherr die gebrochenen Brotstücke an die Familie und an die Gäste weiter. Solches geschieht immer zu Beginn einer Mahlzeit. „Brich dem Hungrigen Dein Brot“ ist somit ein Symbol für eine ganze Mahlzeit. Es geht nicht um ein Almosen, um den Brotkrumen, der übrig ist und vom Tisch gefallen. Es geht um Gemeinschaft. Und da sind wir wieder bei der ganzen Bandbreite unserer heutigen Bitte aus dem Vaterunser angekommen.

Den Hungrigen im Blick zu haben bedeutet, den ganzen Menschen im Blick zu haben. Mit solch neuer Sichtweise wird Hilfe gezielt möglich. Dann füttere ich nicht mehr den Satten mit noch mehr, sondern schaue auf seinen Mangel. Mangel an Liebe und Zuwendung lässt sich durch Brot oder Schokolade nicht kompensieren. Mangel an Verständnis wird eher durch ein offenes Ohr beseitigt als denn durch Geschenke. Mangel an Zeit füreinander lässt sich nicht durch noch mehr Erlebenwollen in noch besser getakteter Freizeit ersetzen.

Brotmangel unserer Gegenwart ist die Zeit.

Erntedank ist auch die große Einladung an uns zum Ausruhen von aller Geschäftigkeit. Gelingt uns das, leuchten plötzlich die Farben unserer Lebensmittel kräftig und hell. Wir werden mit allen Sinnen wahrnehmen können, wie viel Schönes uns umgibt.