Predigt im NachtEulenGottesdienst über Ruth 1, 1ff zum Thema "Aufbruch"

  • 26.11.2017 , Ewigkeitssonntag
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt zum Nachteulengottesdienst am 26.11.2017, Ewigkeitssonntag um 18 Uhr in der Thomaskirche zu Leipzig

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Ruth bricht auf ins Ungewisse, liebe Gemeinde, umgeben vom Vertrauen, dass ihr Aufbruch begleitet und getragen wird. Sie kann Gewohntes hinter sich lassen, weil ihr der Mensch an ihrer Seite zu einem ganz wichtigen Menschen geworden ist. „Wo du hingehst, da will auch ich hingehen.“ Ruth, als ihre Lebendbedingungen sich veränderten, hat beispielsweise nicht dem Alten hinterhergetrauert, sondern sich auf die neuen Herausforderungen eingelassen. Sie ging sogar in die Fremde, weil dort Überleben gesichert werden konnte.

Am heutigen Ewigkeitssonntag sind viele Gedanken bei den von uns gegangenen Menschen. Mancher hat im abgelaufenen Jahr jemanden zu Grabe tragen müssen. Eine andere kämpft mit der Trauer, weil die Erinnerungen an gemeinsame Zeit heute besonders überwältigend sind. Auch gibt es diejenigen, denen es nicht gelingen will, den Schleier der Tränen abzulegen. Manches Leben bleibt so von Trauer bestimmt, das es wehtut, dies hilflos mitansehen zu müssen.

Die Eingangsbilder des heutigen Gottesdienstes sind bewusst so gewählt, dass Trauer und Hoffnung sich abwechseln. Denn wir glauben als Christen an eine Zeit nach der Trauer, an die Verwandlung von Tod in ein wie auch immer geartetes ewiges Leben. So dürfen wir am letzten Sonntag im Kirchenjahr auch den Aufbruch aus der Trauer wagen. Leiten lassen wir uns dabei von Biblischen Verheißungen. Sie gehen über den Tod hinaus. Sie verlieren sich gerade nicht im Katastrophalen, sondern erzählen von einer Hoffnung, die so unvorstellbar schön ist, dass sie auf viele unglaublich wirkt – Tränen werden abgewischt, Schmerz und Leid vergehen, der Tod hat keine Chance mehr, Mensch und Gott sind in enger Gemeinschaft miteinander verbunden. Mag sein, dass der Trost solcher Verheißung sich nur schwer Bahn brechen kann.

Er wird aber da nachhaltig sein, wo ich loslassen kann und Vergangenes auch als solches zu akzeptieren vermag. Denn Aufbruch aus der Trauer heißt auch, dass ich im Glauben weiß: Mein geliebter Verstorbener bricht selber auf in eine neue Gemeinschaft mit Gott.

Über unserem Gottesdienst steht das Thema „Aufbruch“. Neben dem Aufbruch aus der Trauer wollen wir in drei Richtungen fragen:  Wohin brechen wir auf als Gesellschaft?

Nachdem vor einer Woche die Gespräche zur Regierungsbildung gescheitert sind, fragen sich viele Menschen in unserem Land, wohin führt nun das Wahlergebnis? Wer wird uns regieren? Man darf erwarten, dass jeder, der ein Mandat bekommen hat, sich auch seiner Verantwortung dafür bewusst wird, besonders und ausdrücklich in Zeiten, da es schwierig ist.  

Vordringliche Aufgabe eines Staates ist es, sich um Sicherheit und Wohlergehen seiner Bürger zu kümmern und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, braucht es Mandatsträger, die parteitaktische Interessen hintenanstellen, damit Stabilität Vertrauen schafft. Wir haben genau das so bitter nötig – Vertrauen in politische Führung, die nicht nur nach persönlichen Interessen entscheidet, sondern sich dafür einsetzt, dass die ihr anvertrauten Menschen gut leben können. Wenig hilfreich ist es, wenn auf der durch vorausschauende Verantwortung geprägten Entscheidung von Siemens in Unkenntnis der Fakten herumgehakt wird, wie vom SPD-Vorsitzenden geschehen. Als Gesellschaft sind wir aufgebrochen in eine Energiewende, die notwendig und geboten ist. Dass dabei in der Umsetzung politisch Fehler gemacht werden, darf man natürlich nicht jetzt denjenigen ankreiden, die Gesetzesvorgaben umsetzen müssen. Und wer glaubt, dass Strukturwandel ohne Tränen vonstattengeht, ist wohl reichlich naiv. Für jeden einzelnen Siemensmitarbeiter in Leipzig, dessen Zukunftspläne nun durchkreuzt werden, ist die momentane Situation sehr schwer. Daher gilt es zu überlegen, wie gemeinsam persönliches Überleben gesichert werden kann. Verantwortungslos wäre es, wenn der Großkonzern das nicht täte bzw. nicht auch die über einhunderttausend anderen Mitarbeiter im Blick hätte. Schon einmal wurde ein Strukturwandel verschlafen als es um die rasante Entwicklung der Mobiltelefone ging. Siemens hat wenigstens aus begangenen Fehlern gelernt, eine Eigenschaft, die auf wenige Akteure zutrifft.

Schauen wir auf den großen gesellschaftlichen Zusammenhang, so wird unweigerlich klar, dass ich als kleines Individuum mich nicht davon stehlen kann, sondern selber mit eingebunden bin. Wer immer nur meckert und schimpft auf die da oben, sei es in der Politik oder in der Kirche, muss sich fragen lassen: Was kann ich tun? Wo kann ich mich einbringen mit Gaben und Möglichkeiten, die mir Gott mit auf den Weg gegeben hat?

Wenn wir von reformatorischem Aufbruch sprechen im Jubiläumsjahr, so ist neben aller Freiheit, eben genau jenes Moment der individuellen Verantwortung mindestens genauso wichtig. Sie zeigt sich im alltäglichen Umgang mit den mir anvertrauten Ressourcen. Wo setzte ich meine Kraft am nützlichsten ein? Wie gehe ich persönlich mit Energie um? Welche Zeit lasse ich sinnlos verstreichen? 

Wohin brechen wir auf als Kirche?

Nach den Reformationsfeierlichkeiten ist es am Ende des Jahres 2017 dringende geboten, dass wir im Sinne eines Aufbruchs weiterdenken. Kirche darf, kann und muss sich die Sinnfrage immer wieder stellen. Was wollen wir sein? Eine Kirche für andere? Eine Kirche, deren Hauptzweck es ist, in der Fläche präsent zu sein? Eine Kirche, die Menschen Orientierung und Hilfe auf ihrem Lebensweg gibt und dafür Zentren schafft, um sich zu konzentrieren? Wir werden als Kirche kaum Chancen haben, Mitglieder zu gewinnen, wenn wir nicht wieder die Sehnsucht der Menschen auf ihrer Suche nach Sinn und Halt in ihrem Leben aufgreifen, um daran anzuknüpfen. Denn Antworten können wir schon geben mit den vielen Hoffnungs- und Vertrauensgeschichten, die uns die Heilige Schrift bietet. Die heutige Erzählung von Ruth und Noomi ist nur ein Beispiel.

Ob es ein Zeichen des Aufbruchs ist, wenn die neue Universitätskirche zu Weihnachten geschlossen bleibt, darf bezweifelt werden. Ich hege die Hoffnung, dass sich hier in den nächsten vier Wochen noch eine Lösung finden lässt, mit der sich Leipzig nicht lächerlich macht. Aufbruch in der Kirche heißt auch, sich den Realitäten stellen. Diese sehen sehr unterschiedlich aus und müssen so auch wahrgenommen werden. Wir haben uns längst verabschiedet von einer Volkskirche, die in der Fläche wirkt. Das zu erkennen ist sehr schmerzlich. Sich von diesem Schmerz aber den Blick vernebeln zu lassen, ist nicht nur dumm, sondern in gleichem Maße auch verantwortungslos. Wir brauchen als Kirche unsere Kräfte dort, wo sich Menschen neu ansiedeln, um sie von Anfang an zu begleiten. Wir brauchen sie nicht mehr da, wo sich Menschen von der Kirche verabschiedet haben und ihr nichts mehr zutrauen.

Der Ewigkeitssonntag lehrt uns auch, dass Dinge erst sterben müssen, bevor in der Auferstehung neues Leben geschehen kann. Philippuskirche und Lutherkirche sind in unserer Stadt ein sehr gutes Beispiel dafür. Wo aber mangelndes Vertrauen in Gottes Wegweisung herrscht, werden am Ende Entscheidungen getroffen, die nicht der Zukunft dienen, sondern die Vergangenes zementieren. Die Hauptaufgabe unserer Kirche ist es, Evangelium, also frohe Botschaft von Gott zu verkünden. Dafür den Schwung eines Reformationsjahres mitzunehmen, um neue Wege zu wagen, sei uns ins Herz geschrieben.

 Mit Ruth möchte ich am Schluss noch einmal fragen: Wohin breche ich auf?

 Ist es das selbstbestimmte Leben mit aller dafür notwendigen Verantwortung oder ist es die Bequemlichkeit aus der heraus ich immer alles auf andere schieben kann?Ruth wagte den Neuanfang und ließ dabei die ihr anvertrauten Menschen nicht im Stich. Sie fand dabei nicht nur Überleben, sondern auch persönliches Glück. Aufbrüche als Umbrüche im Gewohnten bergen die Chance, sich neu auszurichten im Leben. Dabei muss ich mich auch trennen können von dem, was mich im gestern binden will. Gott geht mit seinem Volk seinen Weg, er geht ihn auch mit mir ganz persönlich. Seine Geschichte mit uns ist immer eine Aufbruchsgeschichte gewesen und wird es auch zukünftig sein. Trauen wir ihm zu, dass er es gut mit uns meint, wenn wir an den Weggabelungen unseres Lebens stehen und überlegen müssen, wohin wir jetzt aufzubrechen haben. Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit. Amen.