Predigt im Online-Gottesdienst

  • 10.04.2020 , Karfreitag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Johann Sebastian Bach

"Sehet! Wir gehn hinauf gen Jerusalem",  BWV 159


1.
ARIOSO (Basso) E RECITATIVO (Alto)

 Basso
Sehet!
Alto
Komm, schaue doch, mein Sinn,
wo geht dein Jesus hin?
Basso
Wir gehn hinauf.
Alto
O harter Gang! hinauf?
O ungeheurer Berg, den meine Sünden zeigen!
Wie sauer wirst du müssen steigen!
Basso
Gen Jerusalem.
Alto
Ach, gehe nicht!
Dein Kreuz ist dir schon zugericht',
wo du dich sollst zu Tode bluten;
hier sucht man Geißeln vor, dort bindt man Ruten;
die Bande warten dein;
ach, gehe selber nicht hinein!
Doch bliebest du zurücke stehen,
so müsst ich selbst nicht nach Jerusalem,
ach, leider in die Hölle gehen.

 2. ARIA (Alto) E CHORAL (Soprano)

Ich folge dir nach.
     Ich will hier bei dir stehen,
     verachte mich doch nicht!
Durch Speichel und Schmach;
     von dir will ich nicht gehen,
am Kreuz will ich dich noch umfangen,
     bis dir dein Herze bricht.
Dich lass ich nicht aus meiner Brust,
     wenn dein Haupt wird erblassen
     im letzten Todesstoß,
und wenn du endlich scheiden musst,
     alsdenn will ich dich fassen,
sollst du dein Grab in mir erlangen.
     In meinen Arm und Schoß.

  Liebe Gemeinde, 

ich glaube, am Karfreitag 2020 gilt es eins besonders zu betonen. Dass wir uns Tod und Sterben stellen. Mit ihrer ganzen Wucht. Dass wir uns stellen, wo wir am Rande unserer Kräfte sind oder drüber. Wenn jemand stirbt, den wir lieben. Und dass wir wie gelähmt sind schon dann, wenn der Tod uns nahe kommt mit seinem getreusten Vorboten – der Angst. Der Angst, ich könnte untergehen. Ich schaff das nicht mit dieser Krise. Ich könnte untergehen, finanziell, mit allem, was ich mir aufgebaut habe. Ich weiß nicht, wie ich den Tod meines Partners verkrafte, wir wollten alt werden zusammen. Der Tod trifft uns mit voller Wucht. Und jetzt im Moment – da können wir viel schlechter weglaufen als sonst. Sonst können wir uns viel besser ablenken. Rennen hier hin und dorthin. In Gedanken - aber auch ganz wörtlich. Weg, ich halte es nicht aus, muss mich ablenken, ich fliehe. Vor dem Tod – und letztlich vor mir selbst.
Den Tod aushalten. Darum geht es am Karfreitag. Jesus hat den Tod am Kreuz ausgehalten. Warum und wozu – das hören  wir in der Kantate. „Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem“. Die Jünger wollen das nicht. Sie haben es gehört eben im einleitenden Arioso und Rezitativ von Alt und Bass: Dieses immer nur widerwillige „Hinauf“. Die immer wieder abbrechenden musikalischen Bewegungen nach oben. Und schließlich die eindringliche Bitte des Alts: „Ach, gehe selber nicht hinein.“ 
Erst im nächsten Satz wird erkannt, worauf es ankommt für den Jünger Jesu oder die Jüngerin: „Ich will hier bei dir stehen, verachte mich doch nicht. Von dir will ich nicht gehen, bis dir dein Herze bricht.“ Es gibt die Zeit, da ist wie heute am Karfreitag unser Platz unter dem Kreuz. Dort, wo gestorben und gelitten wird. Wer die Passionsgeschichten kennt, weiß, es ist ein einziger Kampf in Jerusalem, die Jünger laufen immer weg, als Jesus festgenommen wird, als er verhört wird. Und auch am Kreuz ist er fast allein. Ausharren, wo gestorben wird. Darum geht es. Hingucken. Beistehen. Wo Menschen an Corona sterben. Oder mit Corona sterben. Und – immer noch die meisten – an ganz anderen furchtbaren Krankheiten. Die in Unfällen zu Tode kommen. Oder in ihrer Verzweiflung zugrunde gehen. Karfreitag ist: Hinschauen, wo Menschen dem ausgesetzt sind. Vor unseren Augen. Es wird irgendwann losgehen mit Covid 19 auf Lesbos und in den Flüchtlingslagern vor Europas Türen. Das wissen wir. Wenn  vom europäischen Gedanken noch irgendwas übrig ist in diesen Tagen, können wir nur appellieren: Holt endlich die unbegleiteten Kinder da raus. Nehmt den Tod ernst. Steht den Menschen bei. Rennt nicht weg.
Jesus rennt nicht weg. Er geht hinaus nach Jerusalem. Ans Kreuz. Sein Weg muss dieses Ziel haben: Denn erst hier kann das passieren, worum es am Ende wirklich geht: Dass er sich mit uns, mit unserem Leben, Sterben und Tod wirklich verbindet. Mit Haut und Haar. Der Weg nach Jerusalem hinauf – er ist ein Weg nach unten. Ein Weg zu allen, die sich noch in ihrem „Winkel grämen“. So heißt es im gleich folgenden Tenorrezitativ. Zu all denen, die sich nicht an ihren Tränen „laben“, wie hier gesungen wird. Sondern die daran vielmehr zu ersticken drohen. Er ist unterwegs zu allen, denen das fehlt, worauf es nicht nur in dieser Kantate ausläuft: Auf die Perspektive der Erlösung, der Wende des Leids. So hören wir es gleich in der Bass-Arie: „Es ist vollbracht, das Leid ist alle“. Jesus nimmt unseren Schmerz und unsern Tod mit hinein in seinen. Wir sind in ihm geborgen mit allem, was uns das Herz zerreißt und wovor wir wegrennen möchten weil wir denken, wir ertragen es nicht. Wir sind in seinem Tod geborgen. Mit unserm Tod und Sterben. Deshalb können wir unter seinem Kreuz stehen bleiben. Deshalb können wir ihm sagen und auch dem Menschen neben uns: „Von dir will ich nicht gehen, bis dir dein Herze bricht“. Daraus wird etwas Neues wachsen - aus dieser bitteren Erfahrung des Todes. 
In der Kantate klingt das schon durch. In der Bassarie und auch im Schlusschoral. Wenn wir es unter dem Kreuz aushalten, werden wir etwas erfahren, was man sonst so nicht erfahren wird. Befreit zu werden, mit dem eigenen Kreuz zu hadern. Befreit zu werden zu dankbarem Leben und Handeln. Befreit zu werden vom mühsamen ewigen Bergauf hin zu fröhlich eilenden Schritten der Seele, die „auf Rosen geht“. So heißt es am Schluss der Kantate. Hören wir es. Und lassen uns noch unter dem Kreuz doch schon aufrichten davon. An Leib, Seele und Geist. Amen. 
   
3. RECITATIVO (Tenore)

 Nun will ich mich,
mein Jesu, über dich
in meinem Winkel grämen;
die Welt mag immerhin
den Gift der Wollust zu sich nehmen,
ich labe mich an meinen Tränen
und will mich eher nicht
nach einer Freude sehnen,
bis dich mein Angesicht
wird in der Herrlichkeit erblicken,
bis ich durch dich erlöset bin;
da will ich mich mit dir erquicken.


4. ARIA (Basso)
Es ist vollbracht, 
das Leid ist alle,
wir sind von unserm Sündenfalle
in Gott gerecht gemacht.
Nun will ich eilen
und meinem Jesu Dank erteilen,
Welt, gute Nacht! Es ist vollbracht!
 
5. CHORAL
Jesu, deine Passion
ist mir lauter Freude,
deine Wunden, Kron und Hohn
meines Herzens Weide;
meine Seel auf Rosen geht,
wenn ich dran gedenke,
in dem Himmel eine Stätt
mir deswegen schenke.

Pfarrerin Britta Taddiken
taddiken@thomaskirche.org