Predigt im Online-Gottesdienst

  • 31.05.2020 , Pfingstsonntag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Liebe Gemeinde,

heute ist ein großer Tag für die Thomaskirche: Unsere Gloriosa läutet wieder! Gloriosa - „die Ruhmvolle, die Glorreiche“. Sie sehen sie in ihrem schönen neuen hölzernen Joch. Genau wie ihre etwas kleinere und jüngere Schwester, die Hilliger-Glocke. Heute hat unsere Gloriosa das Pfingstfest eingeläutet. So ist es seit dem Mittelalter üblich: Zu festlichen und freudigen Anlässen hat sie, die Ruhmvolle und Glorreiche, als größte und tontiefste Glocke das erste Wort. Und so haben wir es heute auch gemacht vor dem Gottesdienst. Sie hat zunächst allein geläutet, bevor alle anderen Glocken folgen durften und wir zum ersten Mal seit vielen Monaten unser volles Geläut wieder hören konnten. Stattliche 1,61m ist sie hoch und hat einen Durchmesser von 2041 Millimetern. Gute 5300 kg bringt sie auf die Waage. Gegossen wurde sie 1477 von Theodorus Reinhard. Von ihm wissen wir nicht viel, eigentlich nichts.

Was wir auch nicht genau wissen aber durchaus vermuten können: Martin Luther wird die Gloriosa gehört haben. Zum Pfingstfest 1539 hat er hier in der Thomaskirche gepredigt zur Einführung der Reformation. So ist Pfingsten lange schon ein wichtiger Tag für die Thomaskirche – zumal heute vor 20 Jahren die neu sanierte und renovierte Thomaskirche wiedereingeweiht wurde. Was damals noch nicht gemacht werden konnte, hat jetzt seinen Abschluss gefunden. So schließt sich ein Kreis – heute, wo die ganze Kirche Geburtstag hat! Zu Pfingsten hat der Heilige Geist die Jünger Jesu aufgestöbert - in ihrem Dachstübchen, wo sie sich nach Ostern aufgehalten hatten. Eine Gruppe, die sich alles andere als sicher war, wie es denn nun weiter gehen sollte. Und sie merkten, die Jünger: Bei den anderen konnten sie nicht so richtig landen mit den Geschichten, die sie mit Jesus erlebt hatten. Im Gegenteil. Und so richtig sicher waren sie sich ihrer Sache auch nicht. An Pfingsten hat sich das geändert. Sie haben‘s endlich rausbekommen. Konnten’s in Worte fassen, die sie vorher selbst nicht kannten. Konnten ihre Geschichte mit diesem Jesus sozusagen „rüberbringen“. Und die anderen: Die konnten‘s auf einmal verstehen. Leute aus allen damals bekannten Ländern. Und konnten es auf sich beziehen: Wir hören sie alle in unserer Muttersprache von den großen Taten reden, wie kann das sein?

Das gehört zu Pfingsten, liebe Gemeinde: Gottes Geist ruft uns heraus aus den engen Kämmerchen, in die wir uns immer wieder verkriechen. Er führt uns zusammen, die wir so verschieden sind. Er macht es möglich, dass wir sogar die  verstehen, von denen wir glauben: Das wird nie etwas. Er ruft uns heraus aus allem, wo es in unserem Leben eng ist – vor allem gedanklich. Wo wir nur noch Wände um uns sehen und die Decke niedrig hängt. „Raus aus dem Haus, rein in die Welt“ – so ruft der Geist die Jünger damals. Und heute uns. Und wir brauchen ihn dringend, diesen frischen Wind nach dem Corona-Lockdown, aus dem wir nach und nach erwachen. Und noch so sind wie die Jünger vor Pfingsten. Ich erlebe das jedenfalls an vielen und auch an mir selbst: dass wir so dünnhäutig sind, so verstört, so angestrengt. Weil es eben nicht so klar ist wie sonst, wie es weiter geht. Wir können nicht wirklich weit planen, wir wissen nicht, wie das alles noch wirtschaftlich ausgeht und und und. Der Heilige Geist ruft uns heraus aus diesem engen Haus, unter Menschen, ins Leben. Er bringt uns neu in Schwung! Denn es heißt in der Pfingstgeschichte und in den alten Verheißungen der Propheten: Wir werden Träume haben und Gesichte sehen. Der Heilige Geist gibt uns die Kraft, an ihnen festzuhalten. Vielleicht sogar etwas umzusetzen davon. Raus aus den Häusern mit den abgestandenen Gedanken, raus aus dem Mief unserer Sorgen.

Das ist auch die Botschaft der Glocken. Nicht nur unserer hier in der Thomaskirche. Raus aus den Häusern, kommt zusammen am Sonntag, lasst Euch gemeinsam erinnern an die großen Taten Gottes! Hört das Evangelium! Hört, dass Gott mit seinem Geist bei Euch ist und Euch immer wie neu ins Leben ruft. Lasst die Enge nicht über Euch herrschen. Verstummt nicht. Redet miteinander und zueinander. Und nicht zu viel übereinander. Raus aus dem Haus, rufen die Glocken. Hinein ins Leben. Jahrhunderte lang hat unsere Gloriosa diesen Ruf in die Stadt Leipzig hineingetragen. Und sie wird es noch viele Jahrhunderte tun und uns so miteinander verbinden. Mit denen, die vor uns waren. Mit denen, die nach uns kommen. Und mit denen, die jetzt da sind. Hier und in aller Welt. Pfingsten, das ist nichts anderes als eine „positive Pandemie.“ Alles Volk ist betroffen. Aber wenn’s der pfingstliche Virus ist, dann kann es alles gut werden. In diesem Sinne: Frohe und gesegnete Pfingsten 2020!

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche
taddiken@thomaskirche.org