Predigt in der Christvesper um 16.00 Uhr über Lukas 2,1-19

  • 24.12.2020 , Heiliger Abend
  • Prof. Dr. Andreas Schüle

Lesung: Lukas 2,1-7

1Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. 4Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, 5auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Meditation

Liebe Gemeinde,

Braucht man eigentlich Weihnachten, oder geht’s auch mal ohne, wenn es denn so sein muss? Muss man unbedingt in die Kirche gehen, oder fällt das eben genauso aus wie der Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt?

Diese Fragen drängten sich in den letzten Wochen auf. Und wir haben es ja von den höchsten politischen Stellen gehört, dass es dieses Jahr vernünftiger wäre, wenn wir alle miteinander in eine Art Winterschlaf fielen, bis wir dann zum Impftermin wieder aufwachen. Politiker und Prominente haben angekündigt, dass sie heute Abend zuhause bleiben und soziale Kontakte meiden. Was mich daran ein bisschen geärgert hat, war der heroische Ton solcher Ansagen. Manche haben es fast schon als Heldentat ausgegeben, Weihnachten auf Sparflamme zu feiern: ‚Ich bin verantwortungsvoll und denke an die Gesundheit meiner Mitmenschen und bleibe zuhause …‘ . So in der Art klang das. Aber mal ehrlich, eigentlich ist es doch anders: Wir wissen dieses Jahr einfach nicht, was richtig und was falsch ist, wie Nächstenliebe aussieht und wie wir mit unseren eigenen Bedürfnissen nach Geborgenheit und Nähe umgehen sollen. Ist es nun mutig oder fahrlässig, heute Abend zusammenzurücken? Ist es Feigheit oder Besonnenheit, wenn der Heilige Abend selbst in zahlreichen Kirchen der Republik ausfällt? Es ist ja oft so, dass man die souveräne Fassade der Vernunft nach außen kehrt, wenn man im Inneren unsicher ist. Da ist die unterschwellige Angst nicht nur am andere, sondern auch um einen selbst. Und da ist diese seltsame Lethargie, die einem in den Gliedern steckt.

Fangen wir ehrlicherweise doch genau da an mit Weihnachten! Gestehen wir es uns ein, dass wir nicht wissen, was gut ist und richtig. Menschen werden heute darunter leiden, dass es nicht so Weihnachten geworden ist, wie man das im Herzen und in der Seele gebraucht hätte. Der Preis für das, was wir heute tun und nicht tun, ist hoch. Über dem Glanz der Weihnacht liegt dieses Jahr ein grauer Schleier.

Aber, liebe Gemeinde, damit sind wir gar nicht so weit weg von der vertrauten Geschichte, die wir jedes Jahr hören. Die erste Heilige Nacht war kein Glückseligkeitsereignis - für keinen der Beteiligten. Es war eine Zeit staatlicher Anordnungen, was ja wieder seltsam aktuell geworden ist. Allerdings sollten Maria und Josef gerade nicht zuhause bleiben wie wir, sondern, umgekehrt, sich auf den Weg machen. So wollte es der Kaiser Augustus. Nicht schön, wenn man schwanger ist … .

Und so kommt in einer Notunterkunft ein Kind zur Welt. Nichts, aber auch gar nichts an den äußeren Umständen sprach dafür, dass diese Geburt und dieses Kind irgendetwas Besonderes waren. Ich stelle mir das so vor, dass da Menschen drum herumstanden und mal schauten, wer diese Leute aus Nazareth waren und ob sie Hilfe brauchten. Die Herberge, neben der Jesus geboren wurde, war ja voll, so sagt es unsere Geschichte. Da ist man selten allein. Es war eine Geburt unter seltsamen und notdürftigen Umständen. Aber eben auch nichts anderes als eine Geburt.

Weihnachten wurde es nicht durch das, was man sehen konnte und auch nicht wegen der Menschen, die darin involviert waren. Maria und Josef waren Leute wie du und ich, und auch wenn wir es jedes Jahr so singen, war das Jesuskind vermutlich doch kein „holder Knabe mit lockigem Haar“. Nein, Weihnachten wurde es nicht auf der Erde, Weihnachten fiel im wahrsten Sinne des Wortes vom Himmel, weil die Engel etwas über dieses Kind sagten und sangen, und weil es Menschen gab, die daran glaubten. „Euch ist heute der Heiland geboren“ – das ist ein Satz, den nur Engel sagen können und den man nur mit dem Herzen glauben kann.

Lied: Vom Himmel hoch da komm ich her

1. Vom Himmel hoch, da komm ich her.
Ich bring’ euch gute neue Mär,
Der guten Mär bring ich so viel,
Davon ich singn und sagen will.

2. Euch ist ein Kindlein heut’ geborn
Von einer Jungfrau auserkorn,
Ein Kindelein, so zart und fein,
Das soll eu’r Freud und Wonne sein.

Lesung Lukas 2,7-19

8Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

15Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 16Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. 

Meditation

Die Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums ist zum einen eine Geschichte von Engeln. Lange bevor man auf der Erde etwas davon ahnt, herrscht im Himmel schon Jubel über die Ankunft des Heilands. Die allererste Adventszeit, die Adventszeit der Stunde Null, wurde nicht auf der Erde, sondern im Himmel gefeiert. Die Engel jubeln, der Himmel ist in Bewegung, während drunten auf der Erde noch alles so abläuft, als würde dieser Heiland niemals kommen. Es hat mir persönlich in den vergangenen Wochen viel Trost gegeben, mir vorzustellen, dass trotz der ganzen Misere, die uns dieses Jahr sauer gemacht hat, die Engel das „Ehre sei Gott“ singen.  

Erst langsam und dann mit aller Macht schwappt die Freude über den himmlischen Tellerrand hinüber. Erst sind es die beiden Mütter, Elisabeth und Maria, denen die Engel erscheinen und ihnen ankündigen, was nun bald geschehen wird. Zwei Frauen aus dem gemeinen Volk sind die ersten, denen sich der Himmel für einen Moment öffnet. Und in der Heiligen Nacht ist es dann soweit: Der Himmel kommt wirklich auf die Erde. Es ist so, als könnten es die himmlischen Heerscharen nicht mehr länger für sich behalten und müssen es nun endlich singen und sagen, sodass es alle hören können und der Erdboden davon dröhnt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Weihnachten beginnt im Himmel und kommt auf die Erde.

Weihnachten breitet sich aus.

Die Weihnachtsfreude ist ansteckend und will anstecken.

Das sollten wir uns nicht nehmen lassen – gerade jetzt, wo wir mit Masken und Abstand so ziemlich alles von uns halten wollen, was ansteckt.

Wir müssen Weihnachten nicht machen, nicht planen oder inszenieren. Die frohe Botschaft von der Geburt des Heilands will zu uns kommen, so wie beim ersten Mal.

Die Weihnachtsgeschichte ist zum anderen eine Geschichte von Hirten. Mir geht es so, liebe Gemeinde, dass mich jedes Jahr andere Menschen in der Weihnachtsgeschichte besonders ansprechen. Es gibt Jahre, da ist es Maria. In anderen Jahren sind es die Weisen aus dem Morgenland. Manchmal frage ich mich auch, wie eigentlich Josef die Geburt seines Sohnes erlebt hat. Der (irdische) Vater Jesu hat in alle dem ja einen ziemlich schweren Stand … . Dieses Jahr sind die Hirten meine persönlichen Helden der Weihnachtsgeschichte. Ich stelle mir es so vor, dass sie in der Heiligen Nacht in einer ähnlichen Stimmung waren wie wir in den letzten Wochen auch. Man hofft, dass es irgendwann wieder Tag wird, dass man sich wieder strecken und die trüben Gedanken von sich abschütteln kann. Bis dahin döst man so ein bisschen vor sich hin. Nichts in ihrer Welt hat diese Hirten darauf vorbereitet, dass ihnen der gesamte himmlische Hofstaat die Geburt des Heilands der Welt ankündigt. Sie hätten ja weglaufen oder das Ganze für eine Illusion halten können, der man schon mal verfällt, wenn man zu wenig Schlaf hat. Aber nein, die Hirten lassen sich mitreißen, lassen sich anstecken vom Gesang der Engel, von der Freude des Himmels. Sie kommen an, sehen das, was andere auch schon gesehen haben – ein Kind und seine Eltern. Aber für sie passt nun alles zusammen. Was die Engel sagten und was sie nun sehen, macht Sinn. Gott ist zur Welt gekommen, Gott ist Mensch geworden – ein Mensch wie wir.

Lied: Ich steh an deiner Krippen hier

Ich steh an deiner Krippen hier,
o Jesu, du mein Leben;
ich komme, bring und schenke dir,
was du mir hast gegeben.
Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
Herz, Seel und Mut, nimm alles hin
und laß dir’s wohlgefallen.

Meditation

Damit sind wir nun an der Krippe angekommen, stehen selber da uns sehen für uns selbst. Die Wege zur Krippe waren diesmal andere als sonst. Und vielleicht haben wir die Krippe gefunden, wo wir sie gar nicht gesucht hätten und wo wir sie gar nicht haben wollten. Denken wir an diejenigen, die den Heiligen Abend in Quarantäne verbringen müssen, an Menschen in Kliniken, in Alten- und Pflegeheimen! Es war das Wunder der ersten Weihnacht, dass Menschen an der Krippe ankamen, die das weder besonders gewollt noch für möglich gehalten hätten. Und dieses Wunder soll auch in dieser Nacht geschehen.

Aber warum ist es wichtig, dass wir den Weg zur Krippe finden, egal wo und unter welchen Umständen? Dieses schöne Lied von Paul Gerhard, ‚Ich steh an deiner Krippen hier‘, gibt darauf eine unerwartete Antwort: Wir kommen nicht zur Krippe, weil es da ein süßes Baby und Stallromantik zu sehen gibt. Nein, was wir in diesem Kind sehen, wenn wir nur lange und tief genug hinschauen, das sind wir selbst: wir als die Menschen, die Gott aus uns machen will; die Menschen, die noch geboren werden, egal wie jung oder alt, wie fit oder verbraucht, wie angesagt oder abgeschrieben wir auch sein mögen – wir als die Menschen aus Glaube, Hoffnung und Liebe! Wenn ich das Kind in der Krippe anschaue, erlaube ich es mir, für wahr zu halten, dass ich das bin und dass Gott zu mir gekommen ist und in meine Wiege hineinschaut.  

Du hast mit deiner lieb erfüllt, mein Adern und Geblüte, dein schöner Glanz dein süßes Bild liegt mir ganz im Gemüte. Und wie mag es auch anders sein, wie könnt ich dich mein Herzelein, aus meinem Herzen lassen.

Zugegeben, das ist alte Sprache, fromme Sprache; aber sie bringt es doch auf den Punkt. Weihnachten ist das Geburtsfest Jesu; aber für uns wird das heute zur Wahrheit, weil es an der Krippe Jesu auch für uns Geburtstag wird: unser Geburtstag als die Menschen, die Gott aus uns machen will. Aus diesem Grund wurden in der frühen Kirche die Täuflinge oft in der Weihnachtszeit getauft. Damals waren das vor allem Erwachsene – Menschen, die mitten im Leben stehen, die schon das ein oder andere erlebt und erlitten haben; Menschen mit Narben an Leib und Seele; Menschen, die wissen, dass das Leben kein Krippenspiel ist, und dennoch wollen, dass es Weihnachten wird. „Ich steh an deiner Krippen hier“ – ich, der ich auch ganz woanders sein könnte, der schon vieles probiert hat, der gefallen und wieder aufgestanden ist. Ich stehe hier und will nirgends anders sein.

Weihnachten ist dieses Jahr anders, nicht so lieblich, aber vielleicht auch nicht so satt und so selbstverständlich wie sonst. Vielleicht ist es deswegen auch ein ehrlicheres Weihnachten. Vielleicht wird es uns diesmal mehr bedeuten können, dass Weihnachten eine gnadenbringende Zeit ist, auch wenn die Welt verlorenging. „Freue, dich, freue dich, o Christenheit!“ Amen.

Lied: O du fröhliche

O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren, Christ ist geboren:
Freue, freue dich, Christenheit!

O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Osterzeit!
Welt liegt in Banden, Christ ist erstanden:
Freue, freue dich, Christenheit!