Predigt über 1. Johannes1,1-4

  • 02.02.2020 , letzter Sonntag nach Epiphanias, Darstellung des Herrn – Lichtmess
  • Pfarrer Martin Hundertmark

r Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Liebe Gemeinde,

 Manchmal wartet man sehr lange auf die eine, entscheidende Begegnung.

Manches Warten dauert ein ganzes Leben lang.

Simeon wurde über sein Warten alt und trotzdem blieb er im Geiste jung, weil noch eins fehlte, bevor er in Frieden seine Straße ziehen konnte.

Ihm war versprochen, den Heiland zu sehen bevor er selber das zeitliche segnen würde.

Am heutigen Sonntag sind wir an der Schnittstelle zwischen Weihnachtsfestkreis und der dann folgenden Vorpassionszeit. Es lohnt, das heutige Evangelium als Sehhilfe zu nutzen, auch für den Predigttext, aber nicht nur.

 

sehend glauben – glaubend sehen

 

Simeons Vertrauen auf Gott lässt ihn den versprochenen Heiland sehen. Denn wie sonst, so möchte man fragen, konnte er erkennen, dass die beiden Eltern Maria und Josef, genau jenes Kind auf dem Arm trugen, um das es hier geht?

Die Darstellung eines Neugeborenen nach vierzig Tagen war religiöses Alltagsgeschehen; für die Familie zwar etwas Besonderes, für den Tempelbesucher aber nichts Außergewöhnliches.

Simeon „kam vom Geist geführt“ in den Tempel. Er vertraut demnach jener Kraft Gottes, die ihn unsichtbar begleitet. Aus solchem Glauben heraus vermag er zu sehen, was anderen noch verborgen ist. Mit dem Segenszeichen wird offenbar, worum es hier geht – Der Heiland der Welt, „ein Licht zur Erleuchtung der Heiden“ ist geboren. Hoffnung auf Erlösung aus allem, was dem Leben entgegensteht, wird in diesem Kind konkret. Es lohnt sich, darauf sein eigenes Vertrauen zu setzen. Die Zukunft wird gut und ist gesichert. Deshalb kann Simeon nun auch in Frieden aus der Welt scheiden.

Was er mit den Glaubensaugen sah, wird nun alle Welt sehen. Wer Christus begegnet, dessen Leben verändert sich. Für die ersten Gemeinden war es bedeutsam, dass diese Begegnung sichtbar geschah.

 Und damit sind wir bei den Verfassern unseres Predigttextes aus dem 1. Johannesbrief. Sie arbeiteten in der sogenannten Johanneischen Schule in Ephesus. Aus dieser Schule kommen die Johannesbriefe und das namensgleiche Evangelium. Viele Verbindungen zwischen diesen Schriften lassen sich erkennen.

Rufen wir uns zum Beispiel den Beginn des Johannesevangeliums ins Gedächtnis.

„Am Anfang war das Wort“

„In ihm war das Leben“

„Das Wort ward Fleisch“

„Wir schauen seine Herrlichkeit“

„Das Wort war bei Gott“

(aus Joh 1)

 

Im heutigen Predigttext klingen diese Themen dann so:

„1 Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens – 2 und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist –,

3 was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.

4 Und dies schreiben wir, auf dass unsere Freude vollkommen sei.“

 Sichtbare Begegnung mit Christus, um glauben zu können, dafür steht ein Jünger in besonderem Maße – der Namenspatron unserer Kirche, St. Thomas. So verwundert es nicht, dass seine Szene mit dem auferstandenen Christus Eingang fand in die Schriften der johanneischen Schule. Nur im Johannesevangelium lesen wir von Thomas und den Worten, die aus der Begegnung folgenschwere Bedeutung für alle kommenden Gemeinden haben: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“.

Wie verhält es sich nun mit „sehen“ und „glauben“, liebe Gemeinde? Die Verfasser unseres heutigen Predigttextes scheinen das eigene konkrete Sehen zum Fundament ihrer Verkündigung zu machen. Schauen wir also genau nach, was sich dahinter verbergen könnte.

Und schon kommen wir ins Stolpern. Denn von ihnen kann gar niemand den irdischen Jesus gesehen haben, weil die Schriften erst viel später entstanden sind. Es geht ihnen auch gar nicht um historische Einordnungen wie beim Evangelisten Lukas. Glaube führt zu besonderen Erfahrungen. Das ist zeitlos.

Also schreiben sie hier von einem anderen Sehen. Es ist das Sehen mit den Augen des Glaubens, ähnlich wie bei Simeon.

Anders ausgedrückt:

Wo ein Mensch zum Glauben an Jesus Christus kommt, beginnt alles neu. Er sortiert Erfahrungen in seinem eigenen Leben anders ein und bewertet sie auch dementsprechend anders.

Der beschriebene Anfang aus dem 1. Johannesbrief ist demnach der Angang des Glaubens und nicht der Anfang der Schöpfung, wie im Evangelium.

Wir, die wir hier heute sitzen und hören, sind ebenso Adressaten der Johannesbriefschreiber, wie ihre damaligen Gemeinden.

Dass Christus das Licht der Welt ist, darauf muss nicht noch einmal explizit hingewiesen werden. Vielmehr geht es nun darum, wie diese Botschaft an Kraft gewinnt im eigenen Alltag.

Bestimmen die Zweifel das Geschehen oder entwickelt der Glaube an jenen Christus seine Kraft als lebenstragendes Fundament?

Wird die Botschaft des Evangeliums der jeweiligen Zeit so angepasst, dass sie dadurch immer mehr verwässert oder bleibt sie klar und deutlich wie zu Beginn?

Und wo ist dieser verkündigte Christus überhaupt erlebbar?

 Zunächst dort, wo das Leben eines Christen beginnt – in der Taufe.

 Wir haben eben Jakob Jona getauft im Vertrauen darauf, dass er mit Christus seine Lebensbahn fröhlich und im Frieden ziehen kann. Dass dies nicht selbstverständlich ist, lehrt uns die manchmal bittere Lebenserfahrung.

Taufe bedeutet nicht automatisch Lebenssicherung und Wohlbehütetes Aufwachsen. Auch Getaufte Menschen können im und am Leben scheitern.

Was uns Christus in der Taufe aber mit auf den Weg geben will, lässt sich mit den folgenden Worten ganz gut zusammenfassen:

Durch die Taufe wandelt Gott die Unmöglichkeiten des Todes in die Möglichkeit des Lebens mit ihm. Diese endet nicht an den menschlichen Grenzerfahrungen, sondern führt über sie hinaus in die ewige Gemeinschaft mit Gott. Taufe ist keine Lebensversicherung, aber in ihr versichert uns Christus, dass unser Leben niemals verloren gehen wird, weil er jedes Leben seiner Menschenkinder in sich birgt.

In der Taufe vertrauen wir uns bzw. unsere Kinder diesem Christus an, damit dort, wo wir nichts mehr auszurichten vermögen, nicht alleine sind. Und umgekehrt traut Gott uns zu, das eigene Leben mit ihm in Gemeinschaft zu führen.

 Seine Gemeinschaft wird erlebbar, ja ich möchte sogar so weit gehen: Sie muss erlebbar und spürbar sein, damit aus ihr fruchtbares entstehen kann.

Die Verfasser aus der johanneischen Schule schreiben „was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben“, um dann mit dem Verweis auf die vollkommene Freude zu schließen.

Jesus Christus hat sie uns verheißen. Damit wir uns an seine Verheißung erinnern, schenkte er uns durch das Sakrament des Abendmahles gewissermaßen einen im wahrsten Sinne des Wortes, Vorgeschmack auf diese Freude.

Christus betrachten und betasten können wir heute dort, wo er sich uns selber schenkt.

Seine Worte wurden uns zu Worten des Lebens, weil wir die wunderbare Erfahrung machen dürfen,

-dass in der Tischgemeinschaft mit ihm alle menschengemachten Unterschiede aufgehoben sind

-dass wir dort nicht nach unseren Verfehlungen beurteilt werden

-dass uns Entlastung geschenkt wird von allem, was die Seele bedrückt.

 

Mit den Augen des Glaubens hat Simeon all das schon erblicken können und wurde zum Verkündiger solcher frohen Botschaft.

Sie hat am heutigen letzten Sonntag nach Epiphanias ihren Schwerpunkt in der Aussage, dass niemand, der von Christus redet, einen Anfang machen muss, weil aller Anfang schon gemacht ist. Aber dort, wo man anfängt, von ihm zu reden, kann bei anderen etwas Neues anfangen, auch bei denen, die zweifeln.

Mögen wir im Alltag vielerlei Simeonerfahrungen inmitten der Thomaszweifel machen.

 Amen.

  Und der Friede Gottes, der größer ist als unser Verstehen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Martin Hundertmark,

Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig

hundertmark@thomaskirche.org