Predigt über 1. Kö. 3, 5-15 und 16-28

  • 06.08.2023 , 9. Sonntag nach Trinitatis
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Predigt am 6. August 2023 über 1. Kö. 3, 5-15 und 16-28

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus.

 

Liebe Gemeinde, Gott hat uns geschaffen, hat uns Atem geschenkt und verhilft uns von Kindesbeinen an, dass wir Schritt vor Schritt setzen. Mit tapsigen Füßen haben wir einmal gelernt zu laufen. Heute gehen wir unseren Weg. Ein Wunder ist es, wie verschieden uns Gott dabei ausgestattet und begabt hat. Jede und jeder von uns ist mit etwas besonderem begabt. In der Vielfalt dieser Gaben und indem wir hoffen, sie zur Entfaltung zu bringen, gestalten wir nicht nur im Kleinen  unser persönliches Leben, sondern wir wirken auch an etwas Größerem, an unserm Zusammenleben als Menschen mit.

Das klingt nach einer idealen Beschreibung von Biografie und Gesellschaft. Dass das Ideal oftmals gestört, ja empfindlich erschüttert wird durch die Realität, wissen wir aus eigener Lebenserfahrung und aus den Nachrichten.
Wenn Unrecht geschieht – wer spricht da Recht?

Wenn Meinung gegen Meinung steht – wer weiß da die richtige von der falschen Meinung zu unterscheiden?

Wenn die scharfen Kanten von schwarz und weiß grell aufscheinen – wer vermag hier zu differenzieren und die Linien weich zu zeichnen?

Hier ist das Recht, dort das Unrecht. Hier ist das Gute, dort das Böse. (???)

Oder etwa: Hier ist das Unrecht, dort das Recht. Hier ist das Böse, dort das Gute. (!!!)

 

Wer hilft mir, das Gute vom Bösen zu unterscheiden?

 

Der zweite Teil des Predigttextes für den 9. So.n.Tr. steht im 1. Kö. 3, 16-28:

 

„Zu der Zeit kamen zwei alleinstehende Frauen zum König und traten vor ihn. 17Und die eine Frau sprach: Ach, mein Herr, ich und diese Frau wohnen im selben Hause, und ich gebar bei uns im Hause. 18Und drei Tage nachdem ich geboren hatte, gebar auch sie. Und wir leben zusammen, und kein Fremder war mit uns im Hause, nur wir beide. 19Und der Sohn dieser Frau starb in der Nacht; denn sie hatte ihn im Schlaf erdrückt. 20Und sie stand in der Nacht auf und nahm meinen Sohn von meiner Seite weg, als ich schlief, und legte ihn an ihre Brust, und ihren toten Sohn legte sie an meine Brust. 21Und als ich des Morgens aufstand, um meinen Sohn zu stillen, siehe, da war er tot. Aber im Licht des Morgens sah ich ihn genau an, und siehe, es war nicht mein Sohn, den ich geboren hatte. 22Die andere Frau sprach: Nein, mein Sohn lebt, doch dein Sohn ist tot. Jene aber sprach: Nein, dein Sohn ist tot, doch mein Sohn lebt. Und so stritten sie vor dem König.

23Und der König sprach: Diese hier sagt: Mein Sohn lebt, doch dein Sohn ist tot. Jene sagt: Nein, dein Sohn ist tot, doch mein Sohn lebt. 
24Und der König sprach: Holt mir ein Schwert! Und als das Schwert vor den König gebracht wurde, 25sprach der König: Teilt das lebendige Kind in zwei Teile und gebt dieser die Hälfte und jener die Hälfte. 

26 Da sagte die Frau, deren Sohn lebte, zum König – denn ihr mütterliches Herz entbrannte in Liebe für ihren Sohn – und sprach: Ach, mein Herr, gebt ihr das Kind lebendig und tötet es nicht! Jene aber sprach: Es sei weder mein noch dein; lasst es teilen! 27Da antwortete der König und sprach: Gebt dieser das Kind lebendig und tötet’s nicht; die ist seine Mutter.

28Und ganz Israel hörte von dem Urteil, das der König gefällt hatte, und sie fürchteten den König; denn sie sahen, dass die Weisheit Gottes in ihm war, das Recht zu pflegen und Gericht zu halten.“

 

Der Herr segne an uns sein Wort.

 

Um Gut und Böse voneinander unterscheiden zu können, brauchen wir ein weises und verständiges Herz. Um unsere Gaben zur Entfaltung bringen zu können, brauchen wir eine Herzensklugheit, die nicht aus uns selbst kommt. Gott gibt diese Klugheit, Gott schenkt die Unterscheidungskraft, diskret die Geister zu unterscheiden.

Das 1. Buch der Könige erzählt eine Geschichte, in der ein König diese Kraft der discretio spirituum besitzt. Gott hat sie ihm geschenkt. Die Geschichte erzählt vom sprichwörtlichen salomonischen Urteil. Sie wird also dem König Salomon aus dem Alten Testament zugeschrieben. Und doch ist die Erzählung von zwei Frauen, die sich in ihrem Streit für die Rechtsprechung an den König wenden, viel älter. Auch kulturgeografisch hat sie einen viel weiteren Ursprung. Sie wurde schon im Alten Orient und im nördlichen Afrika erzählt. Eine uralte und tiefweise Erzählung also.

Was hören wir, was erfahren, was erleben wir da?

 

Zwei Frauen leben zusammen.

Sie sind zur gleichen Zeit schwanger.

Im Abstand von nur drei Tagen bringen sie ihr Kind zur Welt.

Der einen der beiden Frauen passiert genau das, was sich jede frisch entbundene Mutter in dunklen, gleichsam apotropäischen Träumen ausmalt, inständig hoffend, dass es nicht passieren möge: ihr Kind stirbt. Ob es der plötzliche Kindstod war; ob sie es versehentlich im Schlaf erdrückt, wie es die Geschichte erzählt: Wir wissen es nicht.

Klar ist nur – und die Geschichte erzählt davon nicht explizit, doch ihr Verhalten der Frau spricht diese Sprache: Der Verlust ihres Neugeborenen bewirkt in ihr einen Sprung, einen Knacks, einen Riss. Sie stürzt offensichtlich in einen Abgrund aus Verzweiflung, Trauer, Wut. Geleitet von diesem Cocktail der Gefühle, außer sich und allein, entschließt sie sich zum Unglaublichen: Sie tauscht die beiden neugeborenen Kinder. Vorsichtig steht sie auf. Dass bloß ihre Gefährtin nichts merkt! Sie schleicht auf Zehenspitzen und hofft, dass die Dielen nicht knarzen. Es zerreißt ihr das gebrochene Mutterherz, doch sie legt ihr totes Kleines an die Brust der Freundin. Das schlummernde warme Körperchen der anderen nimmt sie mit auf ihre Lagerstatt.

Die Freundin erkennt früh am Morgen beim ersten Stillen, dass und was nicht stimmt.

Die Frauen streiten bis aufs Blut.

Sie gehen vor den König.

Der König hört beide Seiten an.

Er befiehlt ein Schwert zu holen. Jeder von beiden die Hälfte des Kindes: Das sollte gerecht sein. Der Mutter, die gerade ihr eigenes Kind verloren hat, der Mutter, die vor Schmerz und Trauer außer sich ist, ist dies Recht. Das Kind wird in die Höhe gehoben. Es brüllt wie am Spieß. Die kalte  Klinge berührt kurz die rosige Haut. Das Kind schreit. Schon wird das Schwert emporgehoben, es holt aus zum tödlichen Schnitt.

Die Freundin ruft: Gebt der anderen das Kind lebendig und tötet es nicht.

Aufatmen. Ausatmen.

Des Königs Weisheit ist bewiesen. Er legt das Neugeborene in die Arme der Mutter.

 

Der König in unserer Erzählung vermag Gut und Böse zu unterscheiden. Jedoch stellt er für die Findung des richtigen Urteils eine grauenvolle Versuchsanordnung her.

Die Frau, deren Kind stirbt, stürzt in einen tiefen emotionalen Abgrund, in dem sie allein gelassen nicht überleben könnte.

Die andere Frau weiß ganz genau, dass ihr Kind am Leben ist. Was aber hat sie bewegt, zurückzutreten? Lieber zu verzichten als ihr Kind sterben zu sehen?

Ihr mütterliches Herz entbrannte.

 

Liebe Gemeinde,

Ihr mütterliches Herz entbrannte.

Ach, entbrennte doch unser mütterliches Herz! Ach wenn sie doch entbrennen würden, unsere Herzen. Sollte das der Schlüssel sein, um Gut und Böse voneinander unterscheiden zu können? Dass unser Herz die Temperatur von lau zu heiß wechselt?! Dass wir uns rühren lassen und entsprechend hemmungslos reagieren?! Für das vernünftige Urteil ist ganz offensichtlich das heiße Herz das entscheidende Organ.

 

Die Geschichte von König Salomon, von den beiden Frauen und der rettenden Reaktion der Mutter ist nur eine Beispielerzählung unseres Predigttextes. Der eigentliche Aufhänger ist der Traum des Salomon im ersten Teil unseres Predigttextes [1. Kö. 3, 5-15]. Salomon ist als Nachfolger seines Vaters David frisch auf den Thron berufen. Zweifel und Skrupel plagen ihn, ob er diese Position gut und richtig wird ausfüllen können. Er ist noch sehr jung. Es heißt, er wisse weder aus noch ein. Er bittet Gott um ein gehorsames Herz und darum zu verstehen, was gut und was böse ist.

Salomon bittet Gott darum. Gott beschenkt ihn mit mit dem Erbetenen: Er gibt ihm ein weises verständiges Herz. Und schenkt ihm darüber hinaus – in diesem Passus gleicht die biblische Geschichte einem Märchen – Reichtum, Ehre und ein langes Leben.

Salomon wird ein guter König, den das Volk achtet und fürchtet.

 

Um die Weisheit und Klugheit Salomons zu verdeutlichen, ist die Erzählung der beiden Frauen, die im Streit vor den König kommen, in den Text eingeschoben.

 

Liebe Gemeinde, die Sehnsucht, Gut und Böse voneinander zu unterscheiden, der Wunsch danach ist heute umso größer und intensiver, je verwirrender Meinungen, Einschätzungen und Beurteilungen sind.

Streiten können auch wir bis aufs Blut. Es müssen nur die richtigen Themen angeschnitten werden.

Ost streitet mit West, hier in Deutschland wie auch weltweit die sogenannte westliche und die andere Welt.

Links streitet mit rechts.

Global gesehen streiten Nord und Süd.

Wer ist schuld an Klimawandel? Wer hat die soziale Ungerechtigkeit auf dem Gewissen? Die ökologische Katastrophe ist den anderen anzulasten, nicht mir.

- Ihr seid schuld! Nein, Ihr!
- Du verbrauchst zuviel! Nein, Du.

- Ihr habt die falsche Einstellung zum Reisen. Ach Quatsch, ist doch piepegal!

- Dein Fleischkonsum ist schuld, dass unsere Welt krachen geht. Ach, geh mir doch fort.

 

Das Kind wird emporgehoben. Der König hebt das Schwert. Das Kind brüllt wie am Spieß. Es ist überhitzt. Ihm schmelzen die Pole. Es erstickt an Wüsten. Es wird überflutet. Es schreit und schreit. Die Stimme kippt. Das Schreien wird frenetisch, die Stimme des Kindes weiß vom Inferno.

Der König hebt das Schwert. Die andere Frau in mir spricht: Es sei weder mein noch dein; schlag zu, lass es teilen!

 

Ach wenn doch unser Herz mütterlich entbrannte.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere mütterlichen Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu. Amen

 

Prädikantin Dr. Almuth Märker

almuth.maerker@web.de